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Sägen und Segen

Auf’m Kudda allet in Budda in Norddeutschland

Delmenhorst, in Niedersachsen; Norddeutschland (Abgerufen am 20.07.2020)

Leser mit gutem Gedächtnis werden sich an unseren armen Pfarrer erinnern. Josef aus Delmenhorst. Also ist Josef ein norddeutscher Sprecher unserer schönen Sprache.

Wer mir nicht glauben will, dass Delmenhorst in Norddeutschland liegt möge dieses Kartenwerk studieren:

Als waschechter Norddeutscher hat es Josef in Bayern nun gar nicht so einfach… Abseits von der fehlenden Küste und der Unauftreibbarkeit eines Krabbenbrötchens spricht er auch noch anders! Norddeutsche Sprecher nutzen als sprachliche Realisierung für den Buchstaben Ä in der Regel einen Laut, den wir einzeln stehend eher mit dem Buchstaben E verbinden würden.


Ä-Aussprache: Vom Hamburger Hafen bis zu den Gipfeln der Alpen

Das Leibnitz-Institut für Deutsche Sprache [IDS] hat in einer Studie herausgefunden, dass der Buchstabe Ä im deutschen Sprachgebiet tatsächlich bis zu fünf (!) verschiedene Ausspracherealisierungen hat.

Die Laute zum Ä

Leser, die nur Hieroglyphen in der Kartenlegende erkennen können, kann ich beruhigen, denn die Forscher des IDS haben für ihre Studie auch Tonaufnahmen gemacht. Diese verdeutlichen die unterschiedlichen Aussprachevarianten wirklich gut.

Hier die Aufnahmen für das Wort “sägen” (was für ein Zufall!):

[‘zeːgŋ̍]NOR1geschlossen
[‘z̥e̞ːgŋ̍],BSW2leicht offen
[‘zɛːgən]WAR3offen
[‘zɛ̞ːgŋ̍]BFD1sehr offen
[‘sæːgən]THU2überoffen
NOR1
BSW2
WAR3
BFD1
THU2

Die “richtige” Aussprache

Spätestens jetzt sollte klar sein: Aussprache ist nicht gleich Aussprache! Und das Ä ist ein besonderer Zweifelsfall. Wie “sollen” denn Wörter, die mit Ä geschrieben werden, ausgesprochen werden?

Eine Antwort darauf ist garnicht so einfach, zumindest für die Sprachwissenschaft. Denn die Aufgabe von Sprachwissenschaftlern ist eigentlich nicht, Regeln aufzustellen und so die Sprache zu normieren, sondern das Regelsystem zu beschreiben und versuchen, es zu erklären. Wer sich aber unsicher ist, ob er Wörter wie sägen, Zeh, Sträßchen oder Käse “richtig” ausspricht, der kann entweder in ein Aussprachelexikon schauen, oder sich auf sein eigenes Sprachgefühl verlassen. Zumindest aus sprachwissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Grund, Aussprachevariationen zu ächten.

Es gibt […] einige Wörterbücher zur Standardaussprache des Deutschen. […]Oft sind sie […] mit der Normierung der Bühnenaussprache von Theodor Siebs im Jahre 1898 verbunden. […] Welche empirische Basis die in den Wörterbüchern verzeichneten Aussprachen besitzen, ist allerdings – gerade in den strittigen Fällen – oft nicht ganz klar[…].

Sprachliche Zweifelsfälle im Deutschen von Wolf Peter Klein (2018): S.124

Die meisten Wörterbücher nutzen übrigens das /ɛː/ für Wörter mit Ä.


Wer es etwas genauer wissen will, kommt hier zur wissenschaftlichen Analyse und hier zu Literaturhinweisen.