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Wissenschaftliche Analyse: Komparation, Graduierbarkeit und Steigerungsumlaut

Bei der Adjektivkomparation gibt es mehrere Stellen mit Zweifelpotential. Als Zweifel gelten die Fälle, in denen strukturell zwei oder mehr ähnliche Varianten möglich sind, deren Gebrauch auch bei kompetenten Sprecher*innen für Unsicherheit sorgt (vgl. Klein 2003). In der Adjektivflexion ist das zum einen die Frage, ob eine Komparation bei bestimmten Adjektiven überhaupt stattfinden kann oder nicht (tot, voll, leer) und zum anderen die Frage, ob die komparierten Formen mit einem Umlaut gebildet werden oder nicht. Ein anderer Zweifelsfall betrifft die Frage, ob eine Komparation durch als oder wie abgeschlossen wird. Hier soll es jedoch nur um die beiden erstgenannten Phänomene gehen.

Dazu wird zunächst die Wortart Adjektiv genauer bestimmt und intern differenziert. Anschließend werden zwei Klassen von Adjektiven (absolute und relative Adjektive) angenommen, deren Steigerungsfähigkeit untersucht wird. Die Steigerungsfähigkeit der absoluten Adjektive wird als metaphorische Graduierung bzw. als Intensivierung gedeutet. Im zweiten Teil der Analyse werden die Umlautschwankungen als ein frequenzbasierter Sprachwandelprozess gedeutet (vgl. Nowak 2019).

Adjektive lassen sich morphologisch danach bestimmen, dass sie neben den Nominalkategorien Kasus, Numerus und Genus auch noch eine Kategorisierung Komparation haben; m.a.W.: sie lassen sich steigern (zur Diskussion, ob es sich bei der Komparation um Flexion oder um Wortbildung handelt vgl. Eisenberg 2013a: 176f.). Die Kategorisierung Komparation summiert drei Einheitenkategorien, den Positiv, den Komparativ und den Superlativ.

Die Bildung des Komparativs erfolgt fast immer durch das Morphem -er, die des Superlativs durch (-st). Dazu tritt bei einigen Adjektiven auch ein Umlaut auf, Thieroff/Vogel (2009: 61) nennen die folgenden:

(1) alt, arg, arm, dumm, grob, groß, hart, hoch, jung, kalt, klug, krank, kurz, lang, nahe, scharf, schwach, schwarz, stark, warm

Sowohl Thieroff/Vogel (2009: 61) als auch Nowak (2019:184) nennen zehn Adjektive, die mal mit und mal ohne Umlaut gebildet werden:

(2) bang, blass, fromm, glatt, karg, krumm, nass, rot, schmal

In manchen Fällen wird der Superlativ nicht nur mit -st gebildet, sondern mit -est; nämlich dann, wenn der Positiv auf einen koronalen Obstruenten endet (vgl. Eisenberg 2013a: 176). Eine Ausnahme davon ist größt statt größest. In wenigen Fällen kann auch eine Frontierung des auslautenden Konsonanten auftreten: hochhöherhöchst, nahnähernächst[1]. Einige besonders frequente Adjektive nutzen Suppletivformen (gut besser best, viel mehr meist, gern lieber liebst).

Eine weitere Eigenschaft der Adjektive ist es, dass sie je nach syntaktischem Kontext drei unterschiedliche Flexionsreihen haben. In Kombination mit einem Substantiv, aber ohne Artikel, flektiert das Adjektiv stark (heißer Tee). Mit einem bestimmten Artikel flektiert es schwach (der heiße Tee). Mit einem unbestimmten Artikel wählt es die gemischte Flexion (kein heißer Tee).

Die morphologischen Bestimmungen stoßen jedoch an ihre Grenzen, wie Thieroff/Vogel (2009) zeigen. Nicht alle Adjektive sind ohne Weiteres komparierbar (s.u.) und nicht alle Adjektive können flektieren – manche kommen nur unflektiert vor (prima, klasse, lila, super). Thieroff/Vogel (2009: 335) definieren die Wortart Adjektiv deshalb syntaktisch:

(3) „Adjektive sind nicht-genusfeste Wörter, die immer zwischen Artikel oder Pronomen und Substantiv stehen können.“

So viel zur grammatischen, gewissermaßen externen, Einordnung der Adjektive. Wir können sie unter Rückgriff auf semantische Kriterien auch intern differenzieren.

Eine semantische Einteilung der Adjektive in verschiedenen Gruppen wird u.a. von Trost (2006), Thurmair (2001) oder Eisenberg (1976, 2013b) vorgenommen. Meist werden Absolutadjektive, Relativadjektive und Qualitätsadjektive unterschieden.

Wenn für ein Objekt unabhängig vom Kontext entschieden werden kann, ob es zu einer bestimmten Klasse gehört, dann lässt sich diese Klasse durch ein Qualitätsadjektiv beschreiben. Wenn es also ein Objekt {Tisch} gibt, dann sind die Eigenschaften, für die wir jederzeit sagen können, ob {Tisch} diese Eigenschaften erfüllt oder nicht, die absoluten Eigenschaften, die durch ein Absolutadjektiv ausgedrückt werden. Das sind z.B. {+braun}, {+vierbeinig}, +{hölzern}. M.a.W. wenn man auf die Frage „Ist dieses Objekt X?“ eindeutig mit „Ja“ oder „Nein“ antworten kann, dann ist X ein Absolutadjektiv.

Bei einigen Adjektiven wie lang, schön, groß, hoch, weit ist das nicht ohne Weiteres möglich. Hier kommt es auf eine Relation an, die das Objekt zu anderen gleichartigen Objekten hat. Ob ein Tisch groß ist, lässt sich nicht absolut beantworten, sondern nur in Relation zu anderen Tischen. Dies sind die relativen Adjektive. Sie haben keine feste Referenz, sondern eröffnen für Ihre Bezugswörter eine graduelle Referenz.

Aus dieser Unterscheidung wird manchmal abgeleitet, dass eine Komparierung nur bei relativen Adjektiven möglich sei (Duden 2005: 382f., Rothstein 2018: 76.). Dem widerspricht u.a. Strecker (2007) und zeigt an Korpusbelegen, dass die Steigerung trotzdem vorgenommen wird. Auch scheint es bei der Form eines solchen ‚unmöglichen‘ Komparativs oder Superlativs recht große Einigkeit zu geben (das einzigste, leerer, voller usw.). Das deutet darauf hin, dass eine grammatische Steigerung der absoluten Adjektive kein Problem darstellt.

Dieses Dilemma können wir möglicherweise mit einer Begriffsdifferenzierung, wie sie z.B. Thurmair (2001: 104) vornimmt, lösen: Wir unterscheiden zwischen Komparation und Graduierung. Komparation meint die grammatische Steigerung von Adjektiven, also im Großen und Ganzen das Anhängen der Komparationssuffixe -er und -st mit den beschriebenen Ausnahmen. Die Graduierung ist die semantische Dimension bei der Steigerung der Adjektive, also die semantische und sachlogische Steigerungsfähigkeit.

Zugespitzt formuliert: Absolute Adjektive sind vielleicht nicht unbedingt graduierbar, sie sind aber meist problemlos komparierbar.

Wenn die Graduierbarkeit nun mit der Semantik zusammenhängt, dann folgt daraus, dass die Graduierbarkeit eines Adjektivs nicht a priori gegeben ist, sondern dass sie von der jeweiligen konkreten Bedeutung des Adjektivs in einem bestimmten Kontext abhängt. Ein absolutes Adjektiv ist also grundsätzlich nicht graduierbar, kann aber in bestimmten Kontexten mit einer Bedeutung assoziiert werden, in denen eine Graduierbarkeit möglich wird.

Es lassen sich z.B. für „voll“ Kontexte wie folgender konstruieren (Strecker 2007: 18): „So wird man etwa davon sprechen, ein Saal sei voll, wenn alle Sitzplätze besetzt sind. Wenn weitere Personen in den Saal drängen, wird er, gemessen an diesem Standard, noch voller, und wenn er dann am Ende aus allen Nähten platzt, ist er am vollsten.“ Wenn sich also ein Bezugsstandard verschiebt, lässt sich auch bei absoluten Adjektiven eine Graduierbarkeit feststellen.

Ein ähnlicher Fall liegt vor, wenn es sich um eine metaphorische Verwendung handelt (vgl. Thieroff/Vogel 2009: 64). Das liegt z.B. vor, wenn ein Adjektiv wie lebendig und tot nicht auf einen Zustand referieren, sondern auf ein Gefühl – man kann sich nach einem Halbmarathon ziemlich tot (oder lebendig) fühlen, aber nach einem ganzen Marathon fühlt man sich etwas toter (oder noch lebendiger).

Drittens kann ein Adjektiv auch zur Intensivierung eines Sprechinhalts gesteigert im Superlativ verwendet werden. Es hat dann eine pragmatische Funktion: Die vollkommenste Grammatik, das perfekteste Ergebnis haben andere pragmatische Funktionen als die nicht gesteigerten Formen Varianten: die vollkommene Grammatik, das perfekte Ergebnis (vgl. Strecker 2007).

Unter bestimmten Bedingungen ist also bei Absolutadjektiven nicht nur eine grammatische Steigerung möglich, sondern auch eine semantische Graduierbarkeit.

Wenn eine Graduierung und eine Komparation möglich sind, dann bleibt noch die Frage, wie diese Komparation grammatisch erfolgt. In den meisten Fällen – s.o. – gibt es da keine Zweifel. Schwankungen können jedoch mitunter bei der Frage auftreten, ob das Adjektiv mit einem Umlaut gesteigert wird oder nicht. Das betrifft sowohl Absolut- als auch Relativattribute. Oben wurden zehn Adjektive genannt, die dieser Schwankung oft unterliegen, weitere Schwankungen kommen jedoch auch vor, wie Nowak (2019) herausstellt.

(4) bang, blass, fromm, glatt, karg, krumm, nass, rot, schmal

Wie diese Schwankungen grammatisch zu erklären sind, ist unklar („[…] zeigt, dass Umlaut bei der Komparation als morphologisches Mittel nicht konsequent grammatikalisiert ist“, Eisenberg 2013a: 175). Auf die fehlende Untersuchungslage weist auch Klein (2018: 223) hin. Mittlerweile liegt aber mit Nowak (2019) eine sprachhistorisch orientierte Frequenzanalyse vor, die eine schlüssige These vorstellt:

Schon im Althochdeutschen finden sich Adjektive mit Steigerungsumlaut und Adjektive ohne Steigerungsumlaut. Diese scheinen durch Unterschiedliche Komparationsmorpheme ausgelöst worden zu sein: ōro/ōsto löste keinen Umlaut aus (managfaltmanagfaltōromanagfaltōsto, ‚mannigfaltig‘), -iro/-isto dagegen schon (alteltiroeltisto, ‚alt‘) (vgl. Nübling et al. 2013: 261f.) Die Nebensilbenabschwächung führte dazu, dass beide Endungsvarianten zusammenfielen (-er(e)/-est(e)). Der Umlaut blieb jedoch erhalten – allerdings mit einer großen Variationsbreite. Auch vorher umlautlose Steigerungen konnten im Mittelhochdeutschen einen Umlaut tragen, z.B. grōß groeßer (vgl. Nowak 2019: 187). Noch im Frühneuhochdeutschen gab es rund dreimal mehr Schwankungsfälle als heute (Nowak 2019:188).

Die Stabilisierung dieser Umlautschwankungen könnte durch Frequenzeffekte erklärt werden. Nowak (2019) stellt fest, dass gerade die Adjektive, die besonders häufig vorkommen (Token), auch tendenziell einen höheren morphologischen Fusionsgrad haben. M. a. W.: Je häufiger ein Adjektiv vorkommt, desto stärker ist seine Komparation markiert (Abb. 1):

Abb. 1: Zusammenhang zwischen Frequenz und irregulärer Adjektivsteigerung (Nowak 2019: 192)

Die Adjektive in der zweiten Gruppe wie bang sind diejenigen, bei denen diese Schwankungen auftreten. Es ist anzunehmen, dass die Schwankungen sich in Richtung der umlautlosen Varianten konsolidieren werden – die Frequenz spricht dafür.

Diese Analyse hat einerseits gezeigt, dass auch die Absolutadjektive unter bestimmten Bedingungen graduierbar sind. Sie sind metaphorisch und intensivierend einsetzbar. Grammatisch komparierbar sind sie darüberhinaus fast immer. Andererseits konnte durch Nowak (2019) gezeigt werden, dass der Steigerungsumlaut vor allem bei niedrigfrequenten Adjektiven ein Zweifelsfall ist, der durch einen phonologischen und morphologischen Wandel bedingt ist.

Literatur und Quellen

  • Duden (2005): Die Grammatik. 7. Aufl. Mannheim: Dudenverlag.
  • Eisenberg, Peter (1976): Oberflächenstruktur und logische Struktur. Untersuchungen zur Syntax und Semantik des deutschen Prädikativadjektivs. Tübingen: Niemeyer.
  • Eisenberg, Peter (2013a): Das Wort. Grundriss der deutschen Grammatik. 4. Aufl. Stuttgart: Metzler.
  • Eisenberg, Peter (2013b): Der Satz. Grundriss der deutschen Grammatik. 4. Aufl. Stuttgart: Metzler.
  • Klein, Wolf Peter (2003): Sprachliche Zweifelsfälle als linguistischer Gegenstand. In: Linguistik Online 16(4). S. 5–33.
  • Klein, Wolf Peter (2018): Sprachliche Zweifelsfälle im Deutschen. Theorie, Praxis, Geschichte. Berlin/Boston: de Gruyter.
  • Nowak, Jessica (2019): Fälscher als falsch? Der Steigerungsumlaut als grammatischer Zweifelsfall. In: Schmitt, E./Szczepaniak, R./Vieregge, A. (Hg.): Sprachliche Zweifelsfälle. Definition, Erforschung, Implementierung. Hildesheim: Olms. S. 181­–210.
  • Nübling, Damaris/Dammel, Antje/Duke, Janet/Szczepaniak, Renata (2013): Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. 4. Aufl. Tübingen: Narr.
  • Rothstein, Björn (2018): Syntax – die Analyse des Satzes und seiner Bestandteile. In: Dipper, S./Klabunde, R./Mihatsch, W. (Hg.): Linguistik. Eine Einführung (nicht nur) für Germanisten, Romanisten und Anglisten. Berlin: Springer. S. 71–85.
  • Strecker, Bruno (2007): Zur vollsten Zufriedenheit? – Zur Stärkung von Superlativen. In: Sprachreport 3/2007. S. 16–18.
  • Thieroff, Rolf/Vogel, Petra M. (2009): Flexion. Heidelberg: Winter.
  • Thurmair, Maria (2001): Vergleiche und Vergleichen. Eine Studie zu Form und Funktion der Vergleichsstrukturen im Deutschen. Tübingen: Niemeyer.
  • Trost, Igor (2006): Das deutsche Adjektiv. Untersuchungen zur Semantik, Komparation, Wortbildung und Syntax. Hamburg: Buske.

[1] Obwohl die Form am nahesten auch vorkommt, das könnte man als Analogie zu den regelmäßigen Formen betrachten.