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Die gesundeste und einzigste Lösung

von Niklas Reinken

»Du bist die Einzigste für mich!“ säuselte er in ihr Ohr.

»Dirk, Stopp! So nicht!«

»Wie, was ist denn los?«

»Einzig kann man nicht steigern!«

»Hä? Kathrin, du machst die ganze Stimmung kaputt! Ich wollte dir nur sagen, dass du am vollkommensten bist.«

»Von wegen Stimmung. Wenn du nicht endlich mal vernünftig Deutsch sprichst, dann war’s das aber mal mit uns. Das ist gesünder für uns alle. Vor allem für meinen Blutdruck.«

»Heißt es nicht ›gesunder‹?«

Kathrin wird immer roter im Gesicht. Oder röter?

»Du bist ja noch dummer als mein Ex!«

Herrje. Bei einem solchen Dialog muss man ja erstmal verzweifeln. Dirk bildet den Superlativ, die höchste Steigerungsform, von Adjektiven, die gar nicht gesteigert werden können. Mehr einzig als einzig geht ja nicht. Und Kathrins Steigerungsformen sind irgendwie auch falsch. Die brauchen einen Umlaut.

Helfen wir beiden doch mal auf die Sprünge.

Wir haben hier zwei unterschiedliche Probleme. Die erste Frage ist, ob ein Adjektiv überhaupt gesteigert werden kann. Die zweite ist, wie dieses Steigerung grammatisch am Adjektiv gezeigt wird, welche Form die Steigerung also hat.

Zum ersten Problem:

Wenn wir Adjektive steigern (wir sagen auch Komparation), dann können wir das in zwei Stufen. Drei, wenn man die Grundstufe mitzählt. Der Streit von Dirk und Kathrin ist wohl ziemlich lächerlich (Grundstufe). Vielleicht ist Kathrin dabei etwas lächerlicher als Dirk (zweite Stufe, Komparativ). Vielleicht ist aber Dirk auch am lächerlichsten (dritte Stufe, Superlativ).

Aber funktioniert das mit allen Adjektiven?

Bei vielen Adjektiven funktioniert das problemlos. Etwas ist lang, länger, am längsten. Etwas ist alt, älter, am ältesten. Oder hoch, höher, am höchsten. Diese Adjektive nennt man relative Adjektive. Sie bezeichnen nicht ein einziges, punktuelles Merkmal, sondern sie machen gewissermaßen eine Skala von zwei Merkmalen auf, zwischen denen sich das bezeichnete Substantiv befindet.

Schwierig wird es bei sogenannten absoluten Adjektiven. Absolute Adjektive bezeichnen Merkmale, Eigenschaften im engeren Sinne. Für sie gilt, dass ein Gegenstand entweder dieses Merkmal hat oder eben nicht. Ein Glas, eine Tasche, ein Koffer, ein Flugzeug, ein Kneipengänger sind entweder voll oder eben nicht. Eine Form ist rund oder eben nicht. Zwei Menschen sind verheiratet oder eben nicht. Eine Anmerkung ist die einzige oder eben nicht.

Das ist ja erstmal ganz einleuchtend. Aber ganz so einfach dann vielleicht doch nicht – denn natürlich kann ein Kino an einem Samstagabend richtig voll sein. Aber Sonntag ist es ja vielleicht noch voller? Und der schöne Farbton, den ein wolkenloser Himmel an einem Sommertag hat, der ist doch viel blauer als an einem diesigen Herbsttag?

So ganz klar scheinen die Grenzen zwischen absoluten und relativen Adjektiven nicht zu sein. Je nach gemeinter Bedeutung lassen sich schon noch Kontexte finden, in denen eine Steigerung möglich ist. Eine Schwangere im dritten Monat ist ja schon ganz schön schwanger, aber im neunten Monat wird sie noch schwangerer sein. Und kurz vor der Geburt am schwangersten? Hier wird es dann doch schräg.

Grammatisch ist die Steigerung jedenfalls auch bei absoluten Adjektiven problemlos möglich. Die Formen können wir ja ohne großes Nachdenken bilden. Ob Sie auch inhaltlich (semantisch) Sinn macht, ist eine andere Frage. Meistens lassen sich aber Kontexte finden, in denen die Steigerung nicht nur Sinn macht, sondern sogar geboten ist.

Ein solcher Fall liegt vielleicht beim einzigsten vor. Denn ein Superlativ will uns nicht nur sagen, dass etwas in der absolut größten Ausprägung vorliegt. Er gibt uns auch immer eine Wertung mit. Sprecher*innen, die diesen Superlativ verwenden, wollen eben nicht nur sagen, dass eine Sache einmalig vorkommt. Sie wollen auch noch sicherstellen, dass man Ihnen nicht widersprechen kann, sie wollen ihre Aussage noch verstärken. Kathrin dürfte sich glücklich schätzen, einen so verliebten Mann zu haben.

Übrigens ist das keineswegs ein neues Phänomen oder gar ein Sprachverfall: „Einzigstes“ steht auch schon bei Goethe, und der dürfte über den Verdacht des Sprachpanschers recht erhaben sein: „Durchgrüble nicht das einzigste Geschick, Daseyn ist Pflicht und wär’s ein Augenblick“ (Faust II, Dritter Akt).

Wenn wir nun aber einen Kontext haben, in dem eine Steigerung möglich ist, wie sieht die richtige Form denn dann aus?

Meistens gibt es da wenig Zweifel, die Formen des Komparativ werden mit -er (lang länger) gebildet, die des Superlativs mit -st (lang am längsten). Die Frage ist hier eher, ob die Form mit einem Umlaut gebildet wird oder nicht. Bei manchen Adjektiven ist das total klar: Ich bin alt, meine Eltern sind älter und meine Großeltern am ältesten. Aber es gibt auch eine ganze Reihe von Adjektiven, bei denen es Schwankungen gibt:

  • blass, glatt, karg, nass, schmal, fromm, rot, krumm, gesund, bang

Wie ist das bei Ihnen? Team ›roter‹ oder Team ›röter‹?

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Die oben genannten Adjektive haben zwei Gemeinsamkeiten: 1. Sie sind (bis auf gesund) einsilbig. 2. Die meisten haben als Stammvokal ein „a“.

Der Prototyp, bei dem dieser Zweifel auftritt, ist also ein einsilbiges Adjektiv mit „a“. Aber wie häufig kommt das eigentlich vor?

Dafür müssen wir eine wichtige Unterscheidung treffen, wir können nämlich zwei unterschiedliche Häufigkeiten nehmen. Wir können zum einen zählen, bei wie vielen Adjektiven ein Umlaut vorkommt (Typefrequenz). Wir müssen dann aber auch zählen, wie häufig diese Adjektive mit Umlaut vorkommen (Tokenfrequenz). Ein anderes Beispiel: Es gibt nur ein einziges Verb, dessen 1. Person Singular Präsens mit „bin“ gebildet wird, das Verb „sein“. Also würde man jetzt systematisch sagen, die Häufigkeit von „bin“ beträgt 1 (Typfrequenz). Allerdings kommt dieses Verb sehr häufig vor, deshalb ist die Tokenfrequenz wesentlich höher und geht, je nach Textmenge, in die Millionen.

Wenn wir also jetzt vier Adjektive haben, die einen Umlaut in der Steigerung haben, dann ist das erstmal nicht viel. Wenn diese vier Adjektive aber zigfach in der Sprache vorkommen, dann haben wir eine ganz andere Häufigkeit.

Gut, wir schauen mal an, wie einige Adjektivsteigerungen gebildet werden und geben an, wie häufig diese Adjektiv in Type- und Tokenfrequenz. Die Angaben stammen aus einer Textsammlung mit 8 Milliarden deutschen Wörtern. Die hier dargestellten Ergebnisse stammen aus Nowak (2019).

  1. Als erstes haben wir die ganz normalen Adjektive, die ihre Steigerung mit -er/-sten bilden. Das sind genau 436 Adjektive, die allerdings pro einer Millionen Wörter weniger als einmal vorkommen.
  2. Es folgen zehn Adjektive, die manchmal einen Umlaut nehmen, manchmal aber nicht – unsere Zweifelsfälle. Diese sind ebenfalls seltener einmal pro Million.
  3. Die Adjektive, die immer einen Umlaut nehmen, sind insgesamt schon etwas häufiger: 8 mal pro Million finden wir eines der 17 Adjektive, die so funktionieren.
  4. Manche Adjektive wechseln bei der Steigerung sogar ihren Konsonanten aus: hoch – höher – am höchsten ist so ein Beispiel. Solche Adjektive sind schon sehr häufig: Unter 1 Million Wörtern finden sich 147 solcher Adjektive.
  5. Die häufigsten Adjektive steigern am unregelmäßigsten, nämlich mit ganz anderen Wörtern: viel, mehr am meisten. Gut, besser, am besten. Sie kommen 276 mal pro 1 Millionen Wörter vor.

Also, wir sehen: Je häufiger ein Adjektiv in der Sprache vorkommt, desto mehr darf es sich erlauben, desto seltsamer darf seine Steigerung werden. Wenn wir jetzt beobachten, dass einige der eher seltenen Adjektive so frech sind und sich (manchmal) einen Umlaut nehmen, dann deutet das vielleicht darauf hin, dass diese Adjektive nicht ganz so selten sind wie diejenigen, die keinen Umlaut nehmen. Sie fühlen sich vielleicht nicht ganz so wohl in ihrer Gruppe. Sie sind die Könige unter den seltenen Adjektiven – deshalb wollen sie gewissermaßen auch etwas besonderes sein. Und wenn Kathrin ›gesünder‹ benutzt, dann erkennt sie diese Sonderstellung an. Die Tendenz wird aber wohl dahin gehen, diese Adjektive zurecht- und in ihre Schranken zu weisen, sprich: Sie wie die ganz normalen Adjektive ohne Umlaut zu flektieren.

Also: Dirk will metaphorisch zeigen, wie sehr einzigartig Kathrin ist. Kathrin lässt ihre Fürsorge aber lieber an Adjektiven mit auffälligem Sozialverhalten aus. Die Tragik einer Beziehung.

Wer es etwas genauer wissen will, kommt hier zur wissenschaftlichen Analyse und hier zu Literaturhinweisen. Und wer wissen will, ob man mit „als“ oder „wie“ steigert, der kann hier nachschauen.

Niklas Reinken