Super-Mega-Monstrositäts-Wörter

von Kathleen Plate

Dass die Bindestrichschreibung gar nicht so einfach ist, wie viele immer denken, wird mir immer häufiger bewusst. Letztens erreichte mich zum Beispiel eine Nachricht von meiner Schwester:

Hey du!
Kannst du mir einen Gefallen tun und morgen in der Zoohandlung in der Johann Wolfgang Goethe Straße eine neue Hundehalsbandleinenöse kaufen? Die alte ist kaputt. Das liegt 100 prozentig daran, dass der Hund immer so stark zieht. Ich habe letztens in einer Hunde-Zeitschrift Tipps zur besseren Leinenführigkeit gelesen.
Hast du eigentlich auch den Artikel über das neue Arbeiterunfallversicherungsgesetz in der Zeitung gelesen?
Ach und noch was! Ich habe mir neue Kopfhörer für mein Keyboard bestellt. Damit wird das Musikerleben bestimmt viel besser.

Oh man oh man! Nicht nur ihre Aufgabenverteilung macht mich verrückt, sondern vor allem auch ihre falsche Anwendung der Bindestrichschreibung. Wie kommt sie bitte auf die Idee, dass Arbeiterunfallversicherungsgesetz zusammengeschrieben wird, aber so was wie Hunde-Zeitschrift schreibt sie auseinander und mit Bindestrich? Ich glaube, ich muss ihr dringend mal die Regeln der Bindestrichschreibung erklären…

Hallo Schwesterherz!
Sag mal, hast du schon mal was von dem Bindestrich gehört? Wenn ja, kannst du mir verraten, warum du ihn so selten benutzt?
Aber ja, ich kann morgen in die Zoohandlung fahren und die Hundehalsband-Leinen-Öse besorgen.

Super, das ist lieb von dir!
Und was meinst du damit, dass ich den Bindestrich so selten benutze? Kann man den nicht nach Lust und Laune setzen? Und warum wird Hundehalsband-Leinen-Öse nicht zusammengeschrieben, sondern mit Bindestrich? Das ist doch alles ein Wort.

Du hast Recht damit, dass das alles ein Wort ist. Allerdings wird empfohlen, dieses mit einem Bindestrich zu schreiben. Ansonsten wäre das Wort zu unübersichtlich und recht schwer zu lesen. Genauso ist es auch bei Arbeiter-Unfallversicherungsgesetz . Auch dieses Wort wäre sonst viel zu lang und undurchschaubar.

Und nein, den Bindestrich kann man meistens nicht nach Lust und Laune setzen! Es gibt vom Rat für deutsche Rechtschreibung einige festgesetzte Regeln.

Oh, das wusste ich gar nicht. Ich glaube, du musst mir die Regeln dann mal erklären.
Aber was genau bedeutet der Bindestrich eigentlich? Oder was für welche Funktionen hat er überhaupt?

Der Bindestrich ist ein einfacher Mittelstrich, der etwa in halber Höhe des Kleinbuchstabens geschrieben wird. Er wird in drei Subtypen unterteilt:
1. Trennstrich: Dieser wird gesetzt, weil der Schreiber um ein ausgeglichenes Schriftbild bemüht ist. Du kennst das bestimmt selber: Um alle Zeilen ungefähr gleich lang halten zu können, ist man manchmal gezwungen, das Zeilenende mitten in einer Wortform anzusetzen. Somit markiert man das Zeilenende mit dem Trennstrich. Dieser sagt dem Leser, dass das Zeilenende nicht mit der Wortgrenze zusammengehört. Ein Beispiel hierfür wäre, dass du das Wort Schwimmbad zwischen den Wortteilen Schwimm und bad trennst und es zu Schwimm-bad wird, weil der hintere Teil des Wortes nicht mehr in die Zeile passt.
2. Ergänzungsstrich: Er steht in Wortzusammenstellungen von zusammengesetzten oder abgeleiteten Wörtern. Diese haben einen gemeinsamen Bestandteil. Dies kann sowohl der letzte oder der erste aber auch der erste und letzte Bestandteil eines Wortes sein. Der Kürze oder des Wohlklangs wegen, wird der gemeinsame Bestandteil nur einmal genannt und stattdessen sinngemäß ergänzt. Beispiele hierfür sind Grün- und Buntspecht oder Holztüren- und Fenster.
3. Bindestrich (Koppelungsstrich): In erster Linie bietet der Bindestrich dem Schreibenden die Möglichkeit, die Zusammengehörigkeit der zusammengefügten Bestandteile zu kennzeichnen, diese aber zugleich deutlich als einzelne Bestandteile zu markieren. Er erleichtert somit dem Leser die Lesbarkeit und die Bedeutungserschließung durch die Hervorhebung der einzelnen Wortbestandteile. So ist es unter anderem bei Puppenwagen-Zubehör oder Brillen-Putztücher.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung unterscheidet beim Bindestrich in drei unterschiedlichen Bereichen:
1. Zusammensetzungen und Ableitungen, die keinen Eigennamen als Bestandteil enthalten
2. Zusammensetzungen und Ableitungen, die Eigennamen als Bestandteile enthalten
3. Gruppen, in denen man den Bindestrich setzen muss und solche, in denen der Gebrauch des Bindestrichs dem Schreibenden freigestellt ist.

Die Bindestrichschreibung steht im engen Zusammenhang zur Getrennt- und Zusammenschreibung. Sie stellt eigentlich sogar einen speziellen Teilbereich der Zusammenschreibung dar.

Ah okay, das ergibt Sinn. Jetzt verstehe ich die Schreibung von Hundehalsband-Leinen-Öse und Arbeiter-Unfallversicherungsgesetz. Und Zoohandlung wird zusammengeschrieben, weil das Wort kurz ist und deshalb auch ohne Bindestrich gut lesbar ist. Dann wird Hundezeitschrift vermutlich auch ohne Bindestrich geschrieben. Aber ab wann gilt ein Wort als zu lang, um ohne Bindestrich geschrieben zu werden?
Und bei welchen Wörtern habe ich die Bindestrichschreibung noch falsch angewendet?

Genau! Die beiden Wörter werden aus diesem Grund ohne Bindestrich geschrieben. Deine Frage, ab wann ein Wort als zu lang gilt, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Dazu gibt es keine genauen Angaben. Es lässt sich auch nicht einfach anhand der Regeln des Rates für deutsche Rechtschreibung erarbeiten. Aus diesem Grund handelt es sich hierbei gerade um einen Zweifelsfall.

Und nun zu deinen weiteren Fehlern: zum einen hast du 100-prozentig auch ohne Bindestrich geschrieben, obwohl dort einer hinkommt. Das Wort fällt in den ersten Bereich Zusammensetzungen und Ableitungen, die keinen Eigennamen als Bestandteil enthalten. Hierbei gilt unter anderem die Regel, dass ein Bindestrich in Zusammensetzungen mit einer Ziffer (wie es bei 100-prozentig der Fall ist) einem Einzelbuchstaben (z.B. i-Punkt) oder einer Abkürzung und Initialwörtern (z.B. Kfz-Schlosser) gesetzt werden muss. Auch Wörter wie 80er-Jahre, bei denen eine Verbindung aus Ziffern und Buchstaben besteht, werden mit einem Bindestrich verschriftlicht.

Demnach werden also alle Wörter wie A-Dur, T-Shirt, 3-Tonner, 5-mal oder LKW-Fahrer und Fußball-WM mit Bindestrich geschrieben?

Ja!

Kommen wir nun zu einem weiteren Fehler: Johann-Wolfgang-Goethe-Straße wird ebenfalls durch Bindestriche miteinander verbunden. Das Wort gehört zu dem zweiten Bereich Zusammensetzungen und Ableitungen, die Eigennamen als Bestandteile enthalten. Hierbei gilt die Regel, dass diese zwischen allen Bestandteilen mehrteiliger Zusammensetzungen, deren erste Bestandteile aus Eigennamen bestehen, mit Bindestrichen geschrieben werden. Weitere Beispiele hierfür sind: Albrecht-Dürer-Allee oder Albert-Einstein-Gedenkstätte.
Aber auch Zusammensetzungen, die als zweiten Bestandteil einen Eigennamen enthalten oder aus zwei Eigennamen bestehen, werden ebenfalls mit Bindestrich geschrieben. So ist das zum Beispiel bei Bäcker-Anna oder Eva-Maria.
Generell werden Zusammensetzungen mit Personennamen, wie Frau Müller-Weber, mit Bindestrich geschrieben.
Ebenso gilt dies für Zusammensetzungen mit geografischen Eigennamen, wie bei Baden-Württemberg.

Okay, das ist gut zu wissen. Habe ich noch etwas falsch geschrieben?

Etwas komplizierter ist es bei dem Wort Musikerleben. Meintest du damit das Musiker-Leben oder das Musik-Erleben? Hierbei handelt es sich um eine unübersichtliche Zusammensetzung. Die Wortbedeutung ist nicht mehr ersichtlich, weil du keinen Bindestrich verwendest hast. Aus diesem Grund wird bei solchen Wortketten, wo der Schreiber befürchten muss, dass die Wortbedeutung nicht mehr deutlich ist, empfohlen, einen Bindestrich zu setzen. Dies ist jedoch kein Muss.
Die Setzung eines Bindestrichs wird ebenfalls beim Zusammentreffen von drei gleichen Buchstaben in Zusammensetzungen empfohlen. Beispiele hierfür sind: Hawaii-Inseln oder See-Elefant.

Oh stimmt! Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Ich meinte natürlich das Musik-Erleben. Das kann ganz schön für Verwirrung ohne den Bindestrich sorgen.
Mir ist dazu noch ein Wort eingefallen, bei dem das auch so ist: Drucker-Zeugnis oder Druck-Erzeugnis.

Weitere Fehler hast du in deiner Nachricht nicht gemacht. Es gibt jedoch noch weitere Regeln. Zum Beispiel müssen bei einer durchgekoppelten Aneinanderreihung mehrerer Bestandteile zu einer Zusammensetzung Bindestriche gesetzt werden. Eine solche Aneinanderreihung wäre Mund-zu-Mund-Beatmung oder An-den-Haaren-Herbeiziehen.
Dann werden noch Bindestriche gesetzt zum Zwecke der Hervorhebung einzelner Bestandteile, die besonderen Aussageabsichten entsprechen. Ein Beispiel dafür ist Ich-Erzählung.

Und wie ist das bei Fremdwörtern? Wir haben mittlerweile ja auch einige Fremdwörter, vor allem englische Wörter im Deutschen.

Für Fremdwörter gelten die gleichen Bindestrich-Regeln wie für das Deutsche. Beispiele hierfür sind 7-Bit-Code oder Stand-by-System.

Wer hätte das gedacht, dass es so viele verschiedene Regeln für die richtige Anwendung von Bindestrichen gibt? In Zukunft werde ich immer daran denken, wenn ich einen Bindestrich setze.

Ja das ist super spannend! Weißt du, was noch interessant ist? Der Gebrauch der Bindestrichschreibung ist bereits in frühmittelalterlichen deutschen Texten nachweisbar, so zum Beispiel im Edikt des langobardischen Königs Rothari von 643. Dort findet man die Wörter pfader-fio (Vieh des Vaters) und ari-schild (Heerschild).
Auch im Frühneuhochdeutschen fand die Verwendung von Bindestrichen eine weite Verbreitung. Dort wurden substantivische Zusammensetzungen zum Teil getrennt geschrieben (z.B. Schutz Engel), andere Zusammensetzungen wurden jedoch teils durch die Großschreibung des Anfangsbuchstabens des letzten Bestandteils (z.B. VaterLand) oder eben durch die Verwendung des Bindestrichs (z.B. Abend=Stunde) kenntlich gemacht. Bevor du dich über den Doppelstrich wunderst, der Bindestrich wurde damals häufig als Doppelstrich verschriftlicht.
In der Folgezeit, vor allem im 20.Jahrhundert, nahm die Verwendung des Bindestrichs nochmal stark zu.

Das ist echt interessant. Heute habe ich dank dir wirklich viel über den Bindestrich erfahren. Mit dem Wissen kann ich im Deutschunterricht nächstes Mal prahlen. Danke dafür!

Da nicht für! Und falls noch Fragen zu der Bindestrichschreibung aufkommen sollten, kannst du mich gerne (über die Kommentarfunktion) fragen.

Wenn du möchtest, kannst du zur Wissensabfrage noch das Quiz machen:

Falls dieser Beitrag eure Neugierde zu dem Thema geweckt hat, könnt ihr euch gerne die wissenschaftliche Analyse und die Bibliographie angucken.

Hier findet ihr auch nochmal Informationen über die Autorin.