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Chemie oder Kemie?

Stellen sie sich einmal folgende Situation vor:

Anna und Mira gehen in der Stadt spazieren und treffen auf Lisa eine alte Schulfreundin:

Anna: Hey Lisa, was machst du eigentlich jetzt da unten im Süden? Wir haben uns ja ewig nicht gesehen!

Lisa: Ja stimmt. Ich studiere Chemie und bin bald sogar schon fertig mit dem Bachelor.

Anna: Wow, wie schnell die Zeit vergeht, ist bestimmt schön da unten und ja irgendwie auch mal was anderes als das langweilige Norddeutschland.

Lisa: Ja das stimmt! Nur an die Sprache der Bayern werde ich mich wohl nie gewöhnen. Alleine wie die Chemie aussprechen. Die sagen da tatsächlich Kemie zu, wie bei Kamel!

Anna: Oh man, das würde mich auch nerven. Wobei ich auch manchmal da eher undeutlich spreche und ein Schemie statt Chemie daraus mache. Mira, du studierst doch Deutsch. Du musst doch wissen, welche Aussprache richtig ist! Klär uns doch mal auf?

Was denken sie wie wird Chemie korrekt ausgesprochen?

Da steckt Mira jetzt in einer Zwickmühle. Antwortet sie ausführlich und hält beim kurzen Wiedersehen einen Monolog über die Aussprache von Fremdwörtern oder winkt sie ab und sagt den beiden die einfache Möglichkeit, die im Duden steht? Vermutlich würden die meisten einfach schnell nachschauen und die offizielle Möglichkeit nennen. Aber im Folgenden soll einfach mal über den Duden hinaus gedacht werden und überlegt werden, woher diese Variationen in der Aussprache überhaupt kommen.

Fremdwörter sind etwas ganz normales in unserem Sprachgebrauch. Sie ergänzen den deutschen Wortschatz und sorgen so für differenziertere Aussagen. Beim Lesen sind Fremdwörter für die meisten kein Problem und zur Not wird das Wort kurz nachgeschlagen. Doch beim Aussprechen kommt man schnell in eine unangenehme Situation. Nachdem man das Wort für einen Vortrag bereits tausende Male nachgeschlagen und gelesen hat, kommt es einem gar nicht so fremd vor. Und plötzlich hört man eine ganz andere Aussprache als erwartet. Und dies passiert nicht nur bei vermeintlich schwierigeren Wörtern wie Skeuomorphismus sondern auch bei ganz alltäglichen Wörtern.

Nehmen wir das Wort „Chemie“: Die meisten von uns sollten es als Unterrichtsfach in der Schule kennen oder sich über die „chemischen Inhaltsstoffe“ in Fast-Food oder Softdrinks aufgeregt haben. Aber sobald ein norddeutscher einmal im Süden unterwegs war oder jemand aus Baden-Württemberg dem Bremer zugehört hat, kommt es zu einem Problem. Denn anscheinend ist die Aussprache des doch so alltäglichen Wortes nicht klar.

Bekannt sind zum Beispiel die folgenden Formen die wir im weiteren uns näher anschauen wollen:

Nun tatsächlich sind alle drei dargestellten Varianten im Deutschen geläufig. Und je nachdem wo sie aufgewachsen sind, haben sie direkt die Variante c) ausgewählt oder sie waren am Schwanken zwischen a) und b).

Aber woher kommt das und wer hat denn nun Recht? Zuerst als Beruhigung alle drei Formen können mit gutem Gewissen genutzt werden. Weder das im Süden übliche „Kemie“ als auch das nordwestliche „Schemie“ sind der offiziellen Form, die laut dem Duden „Chemie“ lautet, unterlegen.  

Ein Fremdwort ist ein Wort, welches zwar aus einer anderen Sprache stammt, aber im deutschen Sprachgebrauch mit der Zeit eine bestimmte Rolle übernommen hat. Oft passen Fremdwörter aufgrund verschiedener Merkmale nicht ganz in das deutsche Sprachsystem. Das bedeutet sie haben unbekannte Laute, Lautkombinationen oder grammatikalische Auffälligkeiten, die zum Beispiel in der Flexion auftreten.

 Bei „Chemie“ sorgt der Anlaut „ch“ der in phonetischer Schreibung [ç] geschrieben wird, für deutsche Sprecher für ein Fremdheitsgefühl. Auch wenn es den meisten Muttersprachlern nicht bewusst ist, gibt es ganz klare Regeln wie der Bereich vor dem Vokal in einer Silbe aufgebaut sein darf. Dies bezieht sich sowohl auf eine festgelegte Reihenfolge der Laute als auch für die Konsonanten die an dieser Stelle stehen dürfen. Und im deutschen gehört der Laut, der im Griechischen für [ç] an dieser Stelle steht und den wir aus Wörtern wie „Ich“ kennen, nicht zu den erlaubten Konsonanten im Anfangsrand.  Das heißt diesen Anlaut des Wortes gibt es bei uns gar nicht. Deshalb neigen wir dazu das Wort an den deutschen Sprachgebrauch anzupassen. Dieser Vorgang wird auch als lautliche Integration bezeichnet und ist abhängig von den regionalen Variablen in der Dialektsprache, sowie den Aussprachen von Mitmenschen an die sich automatisch angepasst wird. Deshalb sprechen es auch Sprecher aus dem Süden Deutschlands einheitlich mit dem Plosiv [k] als „Kemie“ aus, während die norddeutschen Sprecher den Frikativ [ç] zu dem gewöhnlicheren Frikativ [ʃ] in „Schemie“ umwandeln. Die lautliche Integration findet dabei nicht bewusst statt, sondern wird nach und nach dem gewohnten Sprechen und Hören angepasst.

Ander als bei dem Laut [ç] gibt es in vielen Sprachen auch Laute, die wir im Deutschen gar nicht kennen. Diese werden auch als Xenophone bezeichnet. Als bekanntes Beispiel kann der Anlaut [ð] in vielen Anglizismen wie in „Thumbnail“ gesehen werden. Hier ist es abhängig von der Herkunftssprache des Wortes ob wir probieren den Laut originalgetreu auszusprechen oder dieser über lautliche Integration dem Deutschen angepasst wird. Wörter, die aus dem Englischen stammen werden beispielsweise meist möglichst wie in der Originalsprache ausgesprochen, während Wörter aus dem Französischen dem Deutschen stärker angepasst werden.  Unabhängig von der Ausgangssprache neigen wir aber auch dazu Wörter, die sich fremder verhalten, weniger den Regeln des Deutschen anzupassen als solche die viele Merkmale des Deutschen aufweisen. Zu den Merkmalen, die ein Wort für uns fremd wirken lassen, gehören auch Xenophone an anderen Stellen, fremde Flexion oder auch ein nicht gewöhnlicher Wortakzent.  Wörter, die mehrere solcher Merkmale aufweisen, werden eher nah an der Ursprungssprache ausgesprochen und weniger lautlich integriert als Wörter, bei denen nur ein Merkmal anders ist als im nativen Deutschen.

Als Orientierung für Regelfälle helfen oft Aussprachewörterbücher, wie zum Beispiel das Aussprachewörterbuch des Dudens. Es gibt neben dem Duden noch zwei weitere große Aussprachewörterbücher. Aber alle drei geben ungenaue und voneinander abweichende Angaben für Wörter, vor allem aus dem Fremdwortbereich, an.

Um zu einem Fazit zu gelangen:  die Aussprache des Anlautes in einem Fremdwort hängt von mehreren Faktoren ab. Als Überblick soll die folgende Grafik noch einmal zusammen fassen:

Als Tendenz gilt: Je fremder ein Wort durch seine Merkmale erscheint und je bekannter die lautlichen Regeln der Ursprungssache dem Sprecher sind, desto näher wird es an der Ursprungssprache ausgesprochen. Für das Beispiel „Chemie“ erklärt es auch, wieso alle drei Formen geläufig sind.

Form a) à nah an der Ursprungsform und laut Duden offizielle Aussprache

Form b) und c) jeweils lautliche Integration nach den jeweiligen Sprachregionen

Also sind alle drei Formen wie erwähnt korrekt und können austauschbar genutzt werden. Der Zweifelsfall wird hier so lange bestehen bleiben, bis durch den Sprachwandel eine oder mehrere der Formen nicht mehr genutzt werden.

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