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Wissenschaftliche Analyse Apostroph

Der Apostroph findet sich vereinzelt bereits in mittelhochdeutschen Handschriften, in denen er als Abbreviaturzeichen, also abkürzendes Schriftzeichen, diente und in dieser Funktion bis ins 16. Jahrhundert verwendet wurde (vgl. Bankhardt 2010: 18).
Der heutige Apostroph wurde im 17. Jahrhundert vorerst in lateinischer und französischer Form in den erweiterten, fachsprachlichen Standartwortschatz des Deutschen aufgenommen. Ab dem 18. Jahrhundert war die heutige Schreibweise ohne e-Endung üblich. Entlehnt aus <apostrophus>, welches aus dem griechischen <apóstrophos> stammt, kann es mit „abgewandt“ übersetzt werden. Ursprünglich wurde der Apostroph als Attribut in Wendungen für ‛ausgelassener Buchstabe’, dann ‛das Weggelassene’, schließlich ‛das Zeichen für etwas, das ausgelassen wurde’ verwendet (vgl. Kluge 2002: 54).
Schon damals wurde der Apostroph von den Griechen in mehr als nur einer Funktionsweise benutzt. Zum einen als Auslassungszeichen, hier vor allem in der Metrik, zum anderen diente er auch schon zu dieser Zeit als Grenzzeichen (Klein 2002: 183).
1782 erwähnt Johann Christoph Adelung in „Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache“ die Verwendung eines Genitiv-s in Verbindung mit dem Apostroph, um die richtige Grundform des Wortes zu kennzeichnen und die Aussprache festzulegen. Hier entstand also eine weitere Gebrauchsmöglichkeit des Apostrophs im Hinblick auf die Eindeutigkeit der geschriebenen und gesprochenen Sprache. Die dichterische Sprache prägt die Entstehung des Apostrophs und dient in diesem Kontext als Zeichen, um Wortformen zu generieren bzw. zu verschriftlichen, die in das jeweilige metrische Maß eines Gedichts passten (vgl. Klein 2002: 184). Dieser phonographischen Erweiterung folgte erst im 19. Jahrhundert die Zuweisung einer grammatischen Funktion des Apostrophs. (vgl. ebd.)


Der Apostroph wird seit geraumer Zeit in einem öffentlichen Rahmen thematisiert. Insbesondere der durch die Rechtschreibreform sanktionierte Genitivapostroph bei Eigennamen ist ein heiß diskutierter Fall (vgl. Bankhardt 2010: 5).
Geschriebenen Sprachen steht ein Inventar an Zeichen zur Verfügung, mit dem zusätzliche grammatische oder lexikalische Informationen vermittelt werden können. Dem Apostroph entspricht kein Pendant der gesprochenen Sprache und somit steht er, häufig den Syngraphemen zugeordnet, im Spannungsfeld von gesprochener und geschriebener Sprache (vgl. Bankhardt 2010: 11).
Der Apostroph nimmt zusammen mit dem Abkürzungspunkt und dem Binde- und
Trennstrich eine gesonderte Rolle im System der Interpunktion ein. Diese Zeichen
gehören zwar nicht zu den Buchstaben, werden jedoch trotzdem auf die Wortschreibung und nicht auf die Syntax bezogen. Die Existenz des Apostrophs wird in der einschlägigen Literatur stets von der Funktion beschrieben, Auslassungen anzuzeigen. Die Funktion als Elisionsapostroph stellt demnach die Grundform des Apostrophgebrauchs dar. Der Leser muss hier nun allerdings selbst zur Tat schreiten und einen Wortdefekt reparieren, er rekodiert nicht einfach, sondern enkodiert (Bredel 2008: 191).

Die aktuelle Fassung des amtlichen Regelwerks (2006) definiert den Apostroph explizit als Elisionszeichen: “Mit dem Apostroph zeigt man an, dass man in einem Wort einen Buchstaben oder mehrere ausgelassen hat.” (DR: 100)
Des Weiteren wird zwischen Fällen unterschieden, in denen das Apostroph gesetzt werden muss oder gesetzt werden kann. Obligatorisch ist der Apostroph demnach im Genitiv bei alleinstehenden Eigennamen auf s-Laut, bei missverständlichen Auslassungen und bei orthographischen Wortauslassungen im Wortinneren.

“§ 96 Man setzt den Apostroph in drei Gruppen von Fällen.
Dies betrifft
(1) Eigennamen, deren Grundform (Nominativform) auf einen s-Laut (geschrieben: ‑s, ‑ss, ‑ß, ‑tz, ‑z, ‑x, ‑ce) endet, bekommen im Genitiv den Apostroph, wenn sie nicht
einen Artikel, ein Possessivpronomen oder dergleichen bei sich haben:
Aristoteles’ Schriften, Carlos’ Schwester, Ines’ gute Ideen, Felix’ Vorschlag, Heinz’ Geburtstag, Alice’ neue Wohnung […] (2) Wörter mit Auslassungen, die ohne Kennzeichnung schwer lesbar oder missverständlich sind:
In wen’gen Augenblicken … ’s ist schade um ihn. Das Wasser rauscht’, das Wasser
schwoll.
(3) Wörter mit Auslassungen im Wortinneren wie:
D’dorf (= Düsseldorf), M’gladbach (= Mönchengladbach), Ku’damm (= Kurfürstendamm)” (DR: 100)
Der Apostroph kann zur Verdeutlichung von Auslassungen in gesprochener Sprache gesetzt werden.

§ 97 Man kann den Apostroph setzen, wenn Wörter gesprochener Sprache mit Auslassungen bei schriftlicher Wiedergabe undurchsichtig sind.
der Käpt’n, mit’m Fahrrad
Bitte, nehmen S’ (= Sie) doch Platz! Das war ’n (= ein) Bombenerfolg!” (DR: 100 f.)

Als zusätzliche Erläuterung findet sich abschließend ein Hinweis zu dem Grenzapostroph.
E: Von dem Apostroph als Auslassungszeichen zu unterscheiden ist der gelegentliche
Gebrauch dieses Zeichens zur Verdeutlichung der Grundform eines Personennamens
vor der Genitivendung ‑s oder vor dem Adjektivsuffix ‑sch:
Carlo’s Taverne, Einstein’sche Relativitätstheorie” (DR: 101)


Die Verwendung des Apostrophs ähnelt der des Gedankenstrichs. Beide können innerhalb des Wortes stehen, der Apostroph markiert dabei eine Auslassung. Der nächste Buchstabe des Wortes schließt direkt an den Apostroph an. Eine weitere Auffälligkeit ist die Möglichkeit des direkten Anschlusses an ein weiteres Zeichen, wie zum Beispiel das Komma, sofern der Apostroph an der Wortgrenze steht (vgl. Bredel 2008: 191). Bredel kategorisiert den Apostroph, den Divis, den Gedankenstrich sowie die Auslassungspunkte als „Filler“, die ein ähnliches Verhalten aufzeigen und von zwei Zeichen des gleichen Typs umgeben sein können: Apostroph und Divis zum Beispiel von Buchstaben, Gedankenstrich und Auslassungspunkte von Leerzeichen.
Klein unterscheidet zwischen einem Elisionsapostroph, der für Auslassungen sowohl phonetischen als auch graphematischen Materials steht, und einem Stammapostroph, der morphologische Grenzen zeigt. Die Elisionsfunktion sei laut Klein die „Grundform des Apostrophgebrauchs“ (Klein 2002, S. 172).


Die einzig korrekte Schreibweise des Apostrophs ist <ʼ>.
Nicht korrekt, aber häufig gebraucht werden das Minutenzeichen <ʹ>, einfache
Anführungszeichen <‚ʻ> oder die Akzentzeichen Akut <´> und Gravis <`>.
Ähnlichkeit von Form und Position zu anderen Zeichen könnte ein Grund für die inkorrekten Schreibweisen sein. Die Verlagerung vom handschriftlichen Schreiben zum Tippen auf der Tastatur eines Computers wirft ebenfalls Schwierigkeiten auf, da der Apostroph auf der deutschen Tastatur keine direkte Entsprechung hat. So können das Frage- oder Ausrufezeichen durch eine Taste, der Apostroph jedoch lediglich über eine Tastenkombination oder die Schaltfläche der Sonderzeichen hinzugefügt werden. Die heutzutage üblichen Verwendungsformen haben sich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Anfangs wurde der Apostroph tatsächlich als das heutige Minutenzeichen <‘> dargestellt.


Bei der Apostrophsetzung gibt es mehrere Stellen mit Zweifelpotential. Als Zweifel gelten die Fälle, in denen strukturell zwei oder mehr ähnliche Varianten möglich sind, deren Gebrauch auch bei kompetenten Sprecher_innen für Unsicherheit sorgen (vgl. Klein 2003). Laut Scherer (2013) kommt der Genitivapostroph heute am häufigsten vor und ist zudem der historisch am frühesten belegte morphographische Apostroph. Sie legt das Augenmerk ebenfalls auf die Polyfunktionalität des s-Graphems:
„Neben dem Genitiv‑s existiert eine ganze Reihe homographer morphologischer Elemente, etwa das Plural‑s, die s-Fuge oder das Adverbien-ableitende Derivationssuffix ‑s, was die Übertragung auf andere Kontexte fördert.“ (Scherer 2013: 107) So könnte es ihrer Meinung nach sein, dass der Apostroph sich von seinem prototypischen Kontext in Genitivkonstruktionen im Rahmen der Flexion auf den s-Plural ausgedehnt hat und von dort auf weitere Flexionsformen übertragen wurde. (vgl. ebd.)

Scherer (2013) äußert folgende Vermutung: „Im Rahmen der Wortbildung wurde der Apostroph zuerst auf Fälle übertragen, die eine semantische und/oder syntaktische Nähe zu Genitivkonstruktionen aufweisen, nämlich Komposita mit s-Fuge (die Bahnhof’s Gaststätte / des Bahnhofs Gaststätte), denominale Adverbien (abend’s / eines Abends) sowie sekundäre Präpositionen (namen’s / des Namens) und Konjunktionen (fall’s / des Falls)“.

Nach Scherer könnte es also sein, dass die genannten Ähnlichkeiten Fehlinterpretationen ermöglichen, die zum Zweifeln im Sprachgebrauch führen. Der Grund, warum Schreibende Apostrophe – auch über die genormten
Kontexte hinaus – verwenden, scheint das Bestreben zu sein, Informationen
über morphologische Strukturen explizit zu kennzeichnen (Scherer 2010: 22).

Für die vermehrt auftretende Apostrophnutzung wird oftmals die Orientierung am englischen Sprachgebrauch genannt.
Im Englischen wird der Genitiv, sofern es sich nicht um Personalpronomina handelt, grundsätzlich mit <‘s> gebildet, der Genitiv des Plurals mit <s’>. Daher wird teilweise die Sorge eines „Sprachverfalls“ geäußert (vgl. Bankhardt 2010: 82).

Der Apostroph wird allerdings nicht ausschließlich nach englischem Vorbild und nur im Genitiv verwendet, sondern systematisch an Stamm- bzw. Morphemgrenzen eingesetzt (Klein 2002: 182).
Mit Rückblick auf die historische Betrachtung des Apostrophs wird ebenfalls deutlich, dass dieser von Beginn an in deutschen Grammatiken enthalten ist. Noch dazu tritt insbesondere der Genitivapostroph im Deutschen als auch im Englischen zur gleichen Zeit auf (vgl. Bankhardt: 82).


So wie sprachliche Erscheinungen bestimmten, gesellschaftlich determinierten
Entwicklungsgesetzen unterworfen sind, so ist auch die historische Entwicklung der
Zeichensetzung von den Anforderungen und Bedürfnissen der Sprachgemeinschaft
bestimmt (vgl. Baudusch 2007: 193). Die Funktion des Apostrophs hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert, indem sie einen polyfunktionalen Charakter angenommen hat (vgl. Bredel 2008: 103).
Die Auslassungsfunktion wurde durch den Genitivapostroph bei Eigennamen erweitert und daraufhin wurde ersichtlich, dass dies eine Erweiterung der amtlichen Regeln erfordert. Das Amtliche Regelwerk zeigt auf, dass der Apostroph in den drei genannten Fällen obligatorisch verlangt wird.
Besonders im Hinblick auf die Verschriftlichung der gesprochenen Sprache sorgt er für ein besseres Textverständnis der Leserschaft. Die Abschaffung des Elisionsapostrophs würde beispielsweise zu einer Verschmelzung der gesprochenen und geschriebenen Sprache führen, was unter anderem Folgen für den orthographischen Bereich mit sich ziehen würde.


Literatur und Quellen

Bankhardt, Christina (2010): Tütel, Tüpflein, Oberbeistrichlein: Der Apostroph im Deutschen. Mannheim: Inst. für Dt. Sprache.

Baudusch, Renate (1978): Zu den sprachwissenschaftlichen Grundlagen der Zeichensetzung. In: Nerius, Dieter (Hrsg.): Theoretische Probleme der deutschen Orthografie. Rostock 1978.

Bredel, Ursula (2008): Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositionelles System zur Online-Steuerung des Lesers (zugl. Linguistische Arbeiten, Band 522), Tübingen.

Gallmann, Peter (1989): «Syngrapheme an und in Wortformen. Bindestrich und Apostroph im Deutschen». In: Eisenberg, Peter / Günther, Hartmut (Hrsg.): Schriftsystem und Orthographie. Tübingen (= Reihe Germanistische Linguistik 97) Seiten 85–110.

Kluge, Friedrich (2002): etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24., durchges. und erweiterte Auflage, Berlin/New York.

Klein, Wolf Peter (2002): Der Apostroph in der deutschen Gegenwartssprache. Logographische Gebrauchserweiterungen auf phonographischer Basis. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 30.2:, S. 169-197.

Nübling, Damaris (2014): Sprachverfall? Sprachliche Evolution am Beispiel des diachronen Funktionszuwachses des Apostrophs im Deutschen. In: Albrecht Pewnia & Andreas Witt (Hrsg.), Sprachverfall? Dynamik – Wandel – Variation, 99-123 (Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 2013). Berlin & Boston: de Gruyter.

DR: Rat für deutsche Rechtschreibung (2018): Regeln und Wörterverzeichnis. Aktualisierte Fassung des amtlichen Regelwerks entsprechend den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung 2016. Mannheim.

Scherer, Carmen (2010): Das Deutsche und die dräuenden Apostrophe. Zur Verbreitung von ’s im Gegenwartsdeutschen. Zeitschrift für germanistische Linguistik 38. 1–24.

Scherer, Carmen (2013): Kalb’s Leber und Dienstag’s Schnitzeltag: Zur funktionalen Ausdifferenzierung des Apostrophs im Deutschen, Zeitschrift für Sprachwissenschaft, 32(1), 75-112.

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