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Wissenschaftliche Analyse zum Thema “Genusschwankungen”

Bei dem Thema geht es um die Fragestellung, wie es möglich ist, dass bei der Zuweisung des Genus eines Substantivs im Deutschen Zweifelsfälle entstehen. Es lässt sich beobachten, dass für einige Substantive mehrere Genera produktiv sind und sich dadurch Genusschwankungen ergeben, die im Folgenden als Zweifelsfälle in diesem Bereich bezeichnet werden. Dafür ist es zunächst einmal relevant, die Bezeichnung ‚Zweifelsfälle‘ zu definieren.

Bei der Beurteilung von Zweifelsfällen wird von „kompetenten Sprechern“ (Antomo/Leyendecker) ausgegangen, d.h. von entweder nativen Sprechern des Deutschen oder Sprechern, die die Sprache auf einem hohen Niveau beherrschen.

Dies ist wichtig, da abgesehen von Schwankungen Zweifel bei der Genusvergabe bei Deutschlernen natürlich und unumgänglich sind, unter anderem, da das Deutsche mit drei Genera (Maskulinum, Neutrum, Femininum) ausreichend Potential für Zweifel und Fehler besitzt. So können individuelle Zweifelsfälle entstehen, obwohl das Genus eines Wortes eigentlich keinen darstellt und von einem kompetenten Sprecher auch nicht als solcher eingestuft würde. Dazu stellt Klein die Phrase auf; „Wer Deutsch spricht, weiß in aller Regel, welches Genus ein Substantiv besitzt.“ (197 f.); eine Theorie, die er allerdings selbstständig wiederlegt, sobald er auf die Gründe für Genusschwankungen zu sprechen kommt.

Laut Klein spielen sowohl semantische (z.B. Sexus) als auch morphologische (z.B. Endungen) Kriterien  und auch phonetische Regularitäten bei der Vergabe des Genus bei deutschen Substantiven eine Rolle (vgl.S.298)

Es gibt jedoch im Deutschen keine allgemeingültigen Regeln zur Herleitung des Genus (vgl. ebenda), sondern nur Prinzipien und Leitbilder zur Orientierung, wobei die Semantik unter Umständen außenvor gelassen wird . Ein bekanntes Beispiel für eine solche Unregelmäßigkeit ist das Substantiv „das Mädchen“, das semantisch ein Femininum erfordert, jedoch morphologisch betrachtet durch das Suffix „-chen“ zurecht ein Neutrum nach sich zieht. Diese Art von Unregelmäßigkeiten sind deswegen relevant zu erwähnen, da es den Nährboden für eine scheinbar arbiträre Herleitung der Genera bildet, die die Klärung von Zweifelsfällen behindern können.

Klein weist auf die Bedeutsamkeit der Genera in der deutschen Grammatik hin, in denen große Teile des Satzes, nämlich die Nominalphrase, durch das Genus des Nomens beeinflusst werden (Klein 2018, 297) und fasst zusammen : “Das substantivische Genus besitzt also beim Schreiben deutscher Sätze und Texte eine sehr große, obligatorische Funktionalität.” (297.f.) Bei Eisenberg werden die Typen der Genera noch einmal aufgelistet und diese Relevanzfür die Grammatik und Bildung ganzer Sätze vor allem noch einmal theoretisch erläutert, da die Genera über die Kasus bestimmen (Eisenberg 2013, 153 ff.). Diese Zusammenhänge weiten die Relevanz des richtigen Genus auf den gesamten Satz aus und verdeutlichen damit den äußerst relevanten Standpunkt von Genera in der Forschung.

Nachdem die Herleitung des Genus nun umrissen wurde, soll sich im Folgendem seinen Schwankungen zugewandt werden. Da in der Forschung in diesem Bereich meist zwischen nativen und Fremd- bzw. Lehnwörtern unterschieden wird (vgl. u.a. Klein 298), soll diese Unterscheidung auch hier unternommen werden, um im Folgenden die Entstehung von Schwankungen beziehungsweise Zweifelsfällen zu erklären.

Im nativen Bereich sind sowohl diatopische als auch diachronische Genusschwankungen bekannt (vgl. Donalies 2017; Klein 2018, 299). So kommt es vor, dass bestimmte Dialekte des Deutschen ein anderes Genus für ein Nomen bevorzugen als beispielsweise die Standardsprache und es gibt auch Fälle, in denen das Substantiv mitsamt seiner Bedeutung identisch blieb, das als korrekt geltende Genus sich jedoch änderte.

Variierende Genera können auch verschiedenen Bedeutungen eines Wortes zugrunde liegen, was als Homonymie bezeichnet wird: So wird „das Band“ als Neutrum jedem kompetenten Sprechern des Deutschen als eine Art Seil bekannt sein, „die Band“ mit lediglich anderem Genus als eine Musikgruppe. Dabei ist weiteres tatsächlich ein Lehnwort aus dem Englischen. Diese sollen später im Text genauer erläutert werden.

Donalies’ Klassifikation der Homonyme als Zweifelsfälle ist eher mit Skepsis zu betrachten, da diese lediglich einen Bedeutungsunterschied darstellen und kein Zweifelsfall per se vorhanden ist- ein Umstand, der von Klein unterstrichen wird (Klein 2018 300). Auch Antomo/Leyendecker beschreiben diese als Elemente, die “von echten Fällen von Genusschwankungen zu unterscheiden sind.” (396). Zuletzt gibt es im nativen Bereich unabhängig von den erwähnten Faktoren Substantive, die Genusschwankungen unterworfen sind und bei denen zwei verschiedene Genera in Gebrauch sind (Klein 301).

Bei Lehnwörtern gibt es verschiedene Prinzipien, die bei der Genuszuweisung aktiv werden. Die Zuweisung kann über Analogien erfolgen, beispielsweise lexikalisch über die Suche nach bereits vorhandenen deutschen Synonymen zu dem neuen Wort. Dieses Prinzip hat jedoch seien Grenzen, da das Deutsche mit drei vorhandenen Genera vielseitig ist. Zum Vergleich hat das Französische wie viele andere romanische Sprachen zwei Genera, männlich und weiblich. Dadurch funktioniert die Orientierung am Genus der Ursprungssprache des Substantivs nur unter Vorbehalt, da das Neutrum von dem Vorgang ausgeschlossen wäre.

Andere Sprachen haben kontrastiv dazu mehr Genera als das Deutsche (vgl. Klein 301), wobei dieser Text sich eher auf die Sprachen konzentrieren soll, aus denen die meisten Lehn- bzw. Fremdwörter kommen, d.h. auf die romanischen und englischen Sprachen.

Englische Wörter stellen dabei einen Sonderfall bei der Genuszuweisung dar, da die Sprache nur einen Artikel kennt und kein grammatisches Geschlecht nutzt (vgl. Yang 2010, 153). Stattdessen orientiert sich die Sprache am natürlichen Geschlecht (Yang 2010, 155). Da zum jetzigen Zeitpunkt die meisten, vor allem neueren, Entlehnungen aus dem Englischen kommen und stetig neue nachkommen, wird die Frage der Genuszuweisung relevant. Wie erläutert, ist das Genus in der deutschen Grammatik bedeutsam und einflussreich und ein Verzicht bei der Übernahme eines Fremdwortes schlicht unmöglich.

Schwankungen entstehen dadurch, dass mehrere Analogien zutreffen: So bietet sich in einem Fall beispielsweise durch die lexikalische Ähnlichkeit (Yang 2010, 153), bei der ein bereits bestehendes deutsches Wort dieselbe Bedeutung hat wie das Fremdwort, ein Femininum an. Aber die Morphologie des Wortes könnte eher für ein Maskulinum sprechen, z.B. durch die Anzahl der Silben oder die sogenannte Suffixanalogie.

Bei letzterem wird das Suffix auf etwaige Klassifikationen im Genus-System überprüft, es ist ebenfalls eine Orientierung an der Ursprungssprache möglich und sehr wahrscheinlich. So tendieren Wörter mit dem Suffix „-us“, die aus dem Lateinischen übernommen wurden, zum Neutrum, da sie anhand dieses morphologischen Faktors dort als solches klassifiziert wurden.

Yang erläutert detailliert andere Analogien und Prinzipien zur Bestimmung des Genus eines Anglizismus (vgl. Yang 2010, 153-157), wobei einige wie die Gruppenanalogie, bei der nach einem thematischen Oberbegriff gesucht wird, sich durchaus auch auf Fremdwörter aus anderen Sprachen beziehen lassen.

 Wenn durch die Semantik und die Morphologie zwei verschiedene Genera möglich sind und beide produktiv werden, ergibt sich eine Ambivalenz, die auch bei kompetenten Sprechern zu Zweifelsfällen führen kann. Antomo und Leyendecker sprechen in diesem Fall von “konfligierenden Genuszuweisungen” (397). Dies ist der Kern der Zweifelsfälle, die in diesem Text behandelt werden. Die meisten Schwankung ergeben sich dabei zwischen Maskulinum und Neutrum, das Femininum ist eher seltener in Genusschwankungen involviert (Antomo/Leyendecker 2018 396).

 Ob Zweifelsfälle ihre verschiedenen Genera behalten oder schließlich nur eines als das “korrekte“ genutzt wird und sich durchsetzt, wird in der Forschung diskutiert. Antomo/Leyendecker stellen die Diskussion darüber dar, in der einige Forscher sich für ein einziges Genus aussprechen, andere das Argument anbringen, auch seit längerem gebrauchte Anglizismen hätten manchmal zwei Genera (vgl. ebenda 397 f.).

 

Literatur

Antomo, Mailin / Leyendecker, Silke (2019): Genusschwankungen als Gegenstand im Deutschunterricht. In: Sprachliche Zweifelsfälle. Definition, Erforschung, Implementierung. Germanistische Linguistik 244-245. Schmitt, Eleonore/Szczepaniak, Renata/Vieregge, Annika [Hrsg.]. Hildesheim: Georg Olms Verlag. S. 385–410.

Donalies, Elke (2017): „Genusschwankungen“. https://grammis.ids-mannheim.de/systematische-grammatik/2278 (16.07.2020)

Eisenberg, Peter (2013): Das Wort. Grundriss der deutschen Grammatik. Kapitel 5.2.1.: „Das Substantiv“ u. Kapitel 5.2.2. Artikel, Artikelpronomen, Pronomen. Metzler: Stuttgart. 4. Aufl.S.152-170. In diesem Grundwerk

Klein, Wolf Peter (2018): Sprachliche Zweifelsfälle im Deutschen. Theorie, Praxis, Geschichte. Kapitel 9: Lexikalische Zweifelsfälle. Berlin: De Gruyter. S.288-324.

Yang, Wenliang (2010): Anglizismen im Deutschen. Am Beispiel des Nachrichtenmagazins ‘Der Spiegel’. Berlin: De Gruyter. Kapitel 6: Das Genus der substantivischen Anglizismen.

Den Blogeintrag, dem diese wissenschaftliche Analyse zugrunde liegt, finden Sie hier:

https://wp.uni-oldenburg.de/zweifelsfaelle/der-die-das-nutella/

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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