Allgemeines

Lehrende
Prof. Dr. Gunilla Budde

Foto von Prof. Dr. Gunilla Budde.

Björn Jeddeloh

Foto von Björn Jeddeloh.

Veranstaltung
Briefe aus dem Ersten Weltkrieg; Zwei Brüder im Krieg

Module
ges142/3 Geschichte des 19./20. Jahrhunderts
ges144 Westeuropäische Geschichte des 19./20. Jahrhunderts

Studiengänge
Zwei-Fächer-Bachelor: Geschichte
Master of Education (Gymnasium, Sonderpädagogik, Wirtschaftspädagogik): Geschichte
Fach-Master: Europäische Geschichte

Fakultät
Fakultät IV – Human- und Gesellschafts­wissenschaften

Institut
Institut für Geschichte

Semester
WiSe 2017/18,
SoSe 2018

Turnus
Wöchentlich / Blockseminar

Anzahl Studierende
18, 8

KP des Moduls
6 KP, 9 KP

Prüfungsform
Portfolio: aus individuellen und teambasierten Leistungen; aktive und regelmäßige Teilnahme

Preis der Lehre 2017/18
Kategorie “Forschungsbasiertes Lernen”

Kategorien
Forschendes Lernen
Lehrkräftebildung
Preis der Lehre
Projekt
Seminar
Theologie, Geschichte und Philosophie

Grundidee des Seminars war es, die Studierenden über zwei Semester auf dem Weg von einem Quellenfund, über dessen Aufarbeitung und Analyse hin zu unterschiedlichen Varianten der öffentlichen Präsentation der wissenschaftlichen Befunde mitzunehmen.

Zwei wesentliche konzeptionelle und didaktische Stoßrichtungen bildeten dabei die Basis und strukturierten die Seminarsitzungen.

Neue Erkenntnisse durch innovative Blickwinkel

Sich dem Ersten Weltkrieg vor allem durch Erkundung der „Gefühlslandschaften“ seiner Akteurinnen und Akteuren anzunähern, war das Leitmotiv des Seminarkonzepts, das sich damit in das relativ neue Forschungsgebiet der Emotions-Geschichte einordnete.

Forschungsgegenstand war ein jüngst von mir wiederentdeckter Quellenfundus: 550 handgeschriebene Briefe von zwei Brüdern (Ernst, Jg. 1894 und Gerhard, Jg. 1897) und ihrer Mutter (Elsbeth, Jg. 1866), die während des Ersten Weltkriegs hin und her gingen.

Die Quellenbasis bot die Chance, den wechselnden Gefühlen von Akteuren an Front und Heimatfront nahe zu kommen und wies ein gewisses Alleinstellungsmerkmal auf – in der Regel fehlen die Briefe von der „Heimatfront“. Es ging darum, Gefühlskurven und ihre Veränderungen während des vierjährigen Krieges zu identifizieren und auf dem Hintergrund der Kriegserlebnisse und -erfahrungen den Wandel der familiären Konstellationen und Relationen zu analysieren.

Forschungserkenntnisse eigenständig für die Öffentlichkeit aufbereiten

Die Studierenden sollten geleitet von der „Philosophie“ der „public history“ von Beginn an die Vermittlung in den öffentlichen Raum im Blick haben und entsprechend Wege finden, eigenständig ihre Befunde für eine Präsentation in eine breite Öffentlichkeit aufzubereiten.

Dazu wurden zunächst aktuelle Forschungen zum Genre „Feldpostbrief“ als historische Quelle sowie zu Krieg und Emotion gemeinsam erarbeitet. Eine Gruppe von Studierenden übernahm überdies die Aufgabe, bereits edierte Feldpostbriefe auch aus anderen sozialen Schichten als Vergleichsmaßstab zu sichten.

Zunächst ging es darum, den umfangreichen Quellenfundus selbstständig und gemeinsam mit mir als Lehrende zu erschließen. Ganz bewusst hatte ich die 550 Originalbriefe vor dem Start des Seminars nur punktuell und kursorisch selbst durchgesehen und transkribiert, um gemeinsam mit den Studierenden den Prozess der Erschließung gleichsam als „Uraufgabe“ von Historiker*innen möglichst authentisch und auf Augenhöhe zu gestalten.

Bei den Briefen handelte es sich um Briefe in Originalumschlägen, die gut 100 Jahre unberührt auf einem Dachboden verwahrt waren und über die Schreiben hinaus häufig noch Fotografien, Zeichnungen, getrocknete Blumen oder Ansichtskarten enthielten. Erschwerend kam hinzu, dass die Briefe in Sütterlinschrift verfasst und zum Teil schwer entzifferbar waren, oft unter unwirtlichen Umständen wie beispielsweise im Schützengraben geschrieben.

Die Neugier der Quellenerschließung überstrahlt die Mühsal des Entzifferns

Die Chance, mit Originalquellen zu arbeiten, sie haptisch zu „begreifen“ und die Aura des lange Unberührten zu spüren, beflügelte die Studierenden, die bislang kaum Berührung mit Quellen in Sütterlin-Schrift hatten. Ein bewegendes Beispiel: Das Original-Telegramm vom August 1915, offenbar Schlimmes ahnend von der Mutter hastig aufgerissen, das lapidar den Tod des ältesten Sohnes bei Warschau mitteilte.

In dieser ersten Phase machten sich die Studierenden mit der Quellenschrift vertraut und erlernten die Praxis der Transkription. Ziele der begleiteten Gruppenarbeit waren,

● Themenschwerpunkte aus den Briefen heraus zu destillieren,

● die Briefe der Brüder gemäß der komparativen Methodik nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zu untersuchen und Gefühlskurven der Schreibenden zu erstellen und

● diese mit aktuellen Forschungsbefunden und publizierten Feldpostbriefen aus anderen sozialen Kreisen in Beziehung zu setzen.

Die Schlüsselfrage der Quellenkritik, nach der Aussagekraft von Briefen, nach ihren Chancen und Grenzen stand dabei im Mittelpunkt. Überdies ging es darum, Themenfelder aus den Briefen heraus zu identifizieren und entsprechende „Expertengruppen“ zu bilden.

Bild von übereinander liegenden Feldpostbriefen.
Schwarz-weiß Bild von zwei Jungen. Der eine hat seinen Arm über die Schultern des Anderen gelegt.

Poster als begehbare Bilder-Geschichte

Die Expertengruppen waren verantwortlich für die Erstellung der Poster zu Themen wie Frontverlauf, Stationen der Brüder an West- und Ostfront, Herausforderungen der Heimatfront, Armeehierarchie und Ordensvergabepraxis, Versorgung, Kommunikation durch Briefe und Pakete oder Lazarettwesen und -erfahrungen.

Die „Botschaften“ der einzelnen Poster sowie geeignete Zitate und Bildmaterial wurden zuvor gemeinsam diskutiert, erste Entwürfe in den Plenumssitzungen erstellt und schließlich in den Gruppen die Poster erstellt. Das Arrangement der Poster und die Form ihrer Präsentation in der Woche des Forschungsorientierten Lernens der Fakultät IV im Januar 2018 wurden gemeinsam diskutiert.

Briefe: Lesungen mit Musik, antiker Tischleuchte und Spitzendeckchen

Neben der Posterpräsentation war ein weiteres Format zu finden, um die wissenschaftlichen Befunde an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Studierenden trugen Ideen zusammen und entschieden sich für eine Vortrags-Lesung: Eine von mir eingeführte und kommentierte Lesung der Briefe, deren Originale die Studierenden mit verteilten Rollen begleitet von einer PowerPoint-Präsentation verlasen. Zur Vorbereitung einer solchen öffentlichen Veranstaltung gehörten folgenden Aufgaben: Vortragsstätten wählen und begehen (Landesbibliothek, BIS- Hörsaal, Küchensaal im Schloss in Jever), Flyer erstellen, Ausstattungsgegenstände besorgen (z. B. antike Tischlampe, Eiserne Kreuze, Spitzendecke, Originalgemälde der Brüder), Inszenierung überlegen, Generalproben.

„Jetzt haben die endlich verstanden, was ich im Geschichtsstudium eigentlich mache.“

(O-Ton einer Studierenden)

Von Beginn an waren die Briefe und ihr Forschungspotential Teil offenbar lebhafter Gespräche innerhalb der Familien- und Freundeskreise. Großeltern halfen beim Entziffern der Briefe, Foto-AGs fotografierten die Originalbriefe und die Kommilitonen „at work“. Die PowerPoint-Präsentation, die den Vortrag begleitete, wurde konzipiert und mit Musik untermalt. Die Familien der Studierenden waren auch zahlreich zu Gast bei den gut besuchten drei Lesungen im Oktober 2017 und Mai 2018. Drei weitere folgten im Herbst 2018: Herford, Jever, Hude.

Die Rückkoppelung zwischen der Dozentin und den Studierenden erfolgte kontinuierlich – im Plenum, in Sprechstunden und über die Whatsapp-Gruppe „Briefe und Bordeaux“. Zudem waren die Studierenden gefordert, sich gegenseitig konstruktiv einzuschätzen.

Eine Schlüsselrolle nahm dabei auch der Tutor, Björn Jeddeloh, ein, der sämtliche Briefe eingescannt und sortiert hat, außerhalb der Sitzungen die Arbeitsgruppen koordinierte und mit organisierte und als weiterer Ansprechpartner der Studierenden immer zur Stelle war.

Fazit: Zum Glücksfall der einzigartigen Quelle kam schnell die große Begeisterung der Studierenden hinzu. Offenbar gelang es, den Reiz des eigenen Quellenerschließens und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit neuen Fragen entlang der Quellen über mehr als zwei Semester aufrecht zu erhalten. Und – das war mir wichtig – auch das Selbstverständnis bei den Studierenden zu wecken, dass nicht allein der Forschungsprozess zur Kernaufgabe von Historikerinnen und Historikern gehört, sondern gleichzeitig sie*er die Verantwortung trägt, eigene Erkenntnisse angemessen aufbereitet einer großen Öffentlichkeit plausibel machen zu können.