Merkwürdige und wahre Beschreibung einer kindlichen Liebe, welche ein Sohn von 19 Jahren gegen seinen armen Vater und gegen seine blinde Mutter bewiesen hat. Welches zu Hamburg geschehen ist.

Landesbibliothek Oldenburg, Spr XIII 4c 2a:1,43

In diesem Blogeintrag widmen wir uns dem Heftchen Merkwürdige und wahre Beschreibung einer kindlichen Liebe, welche ein Sohn von 19 Jahren gegen seinen armen Vater und gegen seine blinde Mutter bewiesen hat. Welches zu Hamburg geschehen ist, das in der Druckerei E. Tragmann in Torgau gedruckt wurde.

Weder Autor noch Datum der Veröffentlichung sind bekannt; aufgrund der Erwähnung des Brandes von Hamburg muss das Heftchen allerdings nach 1842 entstanden sein. Es besteht aus vier Doppelseiten und umfasst ein Titelblatt samt Bild und Titel, einen Prosatext und ein Lied am Ende. Auffällig an der Gestaltung des Titelblattes sind die verschiedenen Schriftgrößen. So werden die Worte ‚merkwürdige‘, ‚wahre Beschreibung‘ und ‚kindliche Liebe‘ stärker hervorgehoben als andere Bestandteile des Titels. Auf dem Titelbild sind zwei Engel dargestellt, die eine Pergamentrolle in den Händen halten. Der Prosatext erzählt die Geschichte des jungen Friedrich, der auswandert, um seine arme Familie zu entlasten. Fern von seiner Heimat Hamburg beginnt eine Glückssträhne für den jungen Mann, sodass er dort zu einem wohlhabenden Plantagenbesitzer aufsteigt. Der Wunsch, in seine Heimat zurückzukehren, verlässt Friedrich aber nie. Nach Jahren der Abwesenheit kehrt er schließlich nach Deutschland zurück, um seine Familie zu suchen, mit der er durch die Unglücksfälle von verlorenen Briefen den Kontakt verloren hat. Durch einen Zufall begegnet Friedrich bei seiner Rückkehr einem Wasserträger, dem er zur Hilfe eilt. In diesem Träger erkennt er seinen verlorenen Vater und die Geschichte endet mit einem Happy End. Dieses Ende wird mit der Moral versehen, seine Eltern gemäß dem vierten Gebot zu ehren.

Die Thematik der treuen Liebe eines Sohnes zu seinen Eltern entspricht dem Typus ‚Liebesgeschichte und persönliche Tragik‘ nach Petzoldt, womit nicht unbedingt die romantische Liebe gemeint sein muss (vgl. Petzold 1974, 66). In der Erzählung über diese Liebe spielt zudem das Auswandern in die Fremde eine große Rolle. Hiermit nutzt der Text ein aktuelles Thema der Zeit, da das Auswandern und der Wunsch, in der Fremde ein neues Leben zu beginnen, den zeitgenössischen Lesern bekannt gewesen sein muss. Die Leser*innen werden so eingeladen, sich die eigene Wendung ihres Lebens durch den Auszug in die Fremde vorzustellen. Mit dem Anschluss der Geschichte an die Wirklichkeit entfaltet die Geschichte ein „Tagtraumpotential“, das den Lesern eine „Wirklichkeitsflucht“ in die erzählte Welt erlaubt (Maase 2003, 50).

Der Prosatext wird von einem heterodiegetischen Erzähler aus einer Nullfokalisierung erzählt und ist von einer finalen Motivierung geprägt. Zentral ist hierbei das Motiv von Glück und Unglück. Die Zufälle der Geschichte erscheinen dabei als göttliche Fügung. Der Erzähler nimmt im Text immer wieder unauffällige Wertungen vor und kennzeichnet das Verhalten Friedrichs dadurch als sehr positiv. In der Moral werden die Leser schließlich in diese Wertung miteinbezogen, sodass auch sie ihr Verhalten an den biblischen Geboten orientieren sollen. Zudem wird dieses Motiv auch raummetaphorisch aufgegriffen, indem die Ferne als besonders glücklich gekennzeichnet wird, da Friedrich dort seine Glückssträhne erlebt. Dies lässt die Ferne zum Hoffnungsgegenstand werden und lässt weitere Hoffnungsprojektionen der Leser zu. Hinter diesem Motiv tritt die Ausgestaltung der Figuren zurück. Als einzige Figur wird Friedrich näher charakterisiert sowie die Beziehung zwischen Vater und Sohn, die durch den Abschied sehr innig beschrieben wird. Auch bei der Rückkehr begegnet Friedrich dem Vater. An dieser Stelle findet sich dann die einzige wörtliche Rede des Textes, in der Friedrich und sein Vater sich wieder in die Arme schließen. Besonders sind hier die Personifizierung und Ausschmückung der Gefühle der Eltern, die den Text sehr stark emotionalisieren. So spricht der Text von dem „blutenden Herzen“ der Eltern beim Abschied und den „süßen Tränen“ des Vaters beim Wiedersehen zwischen Vater und Sohn.

Das Lied besteht aus zehn Strophen mit jeweils vier Zeilen und verwendet einen Kreuzreim. Zwar wird hier die Geschichte knapp zusammengefasst, jedoch ergeben sich in der Zusammenfassung des Liedes inhaltliche Spannungen zum Prosatext, da einige Details abweichen. So ist im Lied von Enkelkindern die Rede, die im Text nicht erwähnt werden, zudem wird der Vater als Bettler beschrieben, im Text jedoch als Wasserträger. Ähnliche Spannungen finden sich zwischen Titelblatt und eigentlicher Geschichte: Im Titel wird auf die Geschichte eines 19-Jährigen verwiesen, Friedrich ist allerdings erst 14 Jahre alt zum Zeitpunkt seiner Ausreise. Auch die Blindheit der Mutter wird im Text – anders als im Titel – nicht erwähnt. Das Titelbild, welches die beiden Engel zeigt, scheint zudem wenig am Inhalt der Geschichte orientiert zu sein. Dies erweckt den Eindruck, Titelblatt, Prosatext und Lied seien nachträglich zusammengefügt worden.

Laura Bahms / Imke Dirksen / Alisa Kriegel