Gräuel und Schandthaten des Banditenhauptmanns Alex Scharnofsky und seiner 95 Mann starken Bande.

Landesbibliothek Oldenburg, Spr XIII 4c 2c:2,5

Das Heftchen erschien 1853, gedruckt von J. F. Rohr in Vegesack, Bremen. Auskunft darüber gibt ein Kolophon am Ende des Heftchens. Ein Verleger ist nicht gesondert gelistet, Petzoldt (1974) schreibt Rohr allerdings Druck und Verlag zu. Sowohl Koolman (1990, Nr. 323) als auch Schenda (1971, Nr. 387) führen das Heftchen in ihren Katalogen auf. 

Auf der Titelseite findet sich ein handschriftlicher Vermerk, der Auskunft darüber gibt, wo das Heftchen verkauft bzw. erworben wurde: “Dedesdorf 1853”. Der Dedesdorfer (Jahr-)Markt, der um den St. Laurentiustag im August stattfindet, erfreut sich bis heute großer regionaler Beliebtheit. 

In der Oldenburger Landesbibliothek ist das Heftchen in einem Schuber mit „Mordgeschichten“ enthalten. Da es sich hierbei jedoch um die Biographie eines Kriminellen handelt und die geschilderte Straftat eher stellvertretend für die zahlreichen Verbrechen Scharnofskys ist, erachten wir den Vorschlag Petzoldts „Verbrechen und Prozeßberichte (Räuber, Seeräuber, Wilddiebe, Exekution)“ als präziser (1974, S. 66).  Der Verlag selbst hat eine Vielzahl an Heftchen ähnlicher Thematik veröffentlicht. Von den 18 bei Koolmann (1990) mit vollständig erhaltenem Namen verzeichneten, behandeln 13 Gräueltaten, fünf davon explizit Banditenhauptmänner. Dies legt nahe, dass sich die Thematik einer gewissen Beliebtheit erfreut hat und das Heftchen als populärer Lesestoff verstanden werden kann. Daraus leitet sich jedoch nicht zwangsläufig ein Trivialitätsvorwurf ab; auch Autoren wie Schiller haben sich dieses Stoffs angenommen, wenn auch anders verarbeitet.

Äußere Gestaltung und Format | Das Heftchen ist im Quartformat gedruckt: vier gefaltete Blätter, die acht Seiten ergeben. Dem Titelblatt folgen der Prosatext (S. 2-6) und das Lied (S. 7-8). Alle Textpassagen sind in Frakturschrift gedruckt. Die Überschrift erstreckt sich über fünf Zeilen, während die Illustration und die Jahresangabe (1853) die untere Hälfte einnehmen. Das einleitende Wortpaar „Gräuel und Schandthaten” ist sowohl Teil des Titels als auch Typuseinteilung; es ist Attribut des Protagonisten und gibt den Lesenden die Möglichkeit, die Geschichte thematisch grob einzuordnen. In der dritten Zeile steht der Name „Alex Scharnofsky“, dem durch die Positionierung in der Mitte der Überschrift, die größte Schriftgröße und die ansonsten sanduhrförmige Anordnung der Satzteile besonderes Gewicht zufällt. Die übrigen Zeilen wirken durch ihre Größe und die Koordination mit „und” eher wie ein Untertitel und informieren die Lesenden über die Mittäter des Banditenhauptmannes. Die Abbildung darunter zeigt zwei sich duellierende Männer in einem ovalen Rahmen. Das Titelblatt ist mit einem Zierrahmen versehen. 

Inhalt und Struktur | Der Prosatext beginnt mit einem Einschub und einer Initiale. Im Blockformat gedruckt, hat er nur vier Absätze. Weitere Kriterien, die eine Gliederung formal unterstützen würden, fehlen. Ein heterodiegetischer Erzähler berichtet mit Nullfokalisierung. Die Geschichte legt inhaltlich eine Vierteilung nahe: Zuerst die Exposition und der Rückblick in das Leben Scharnofskys (S. 2-3). Nach einer kurzen Schilderung, der vor dem Lagerfeuer versammelten Bande, folgt eine Analepse: Scharnofksy arbeitet als Blutegelsammler, bevor er beginnt, diese von Mitbewerbern zu stehlen. Dann, 1849 ertappt, verschlägt es ihn nach Russland, wo er von einer Räuberbande überfallen wird. Hier beginnt der zweite Teil (zweite Hälfte, S. 3). Mittellos wird Scharnofsky Mitglied und später sogar Hauptmann. Bemerkenswert ist, dass die Geschehnisse nur wenige Jahre vor dem Veröffentlichungsdatum liegen; sie beschreiben also ein damals aktuelles Ereignis. Dies mag sowohl die Immersion als auch den Kaufreiz gesteigert haben. Im dritten Teil (S. 4-6) berichtet ein Komplize von reicher Beute im naheliegenden Adelshof. Die Bande überfällt diesen und ermordet die dort Anwesenden. Adjektive, wie „ruchlos”, „grausam” oder durch die Betitelung der „nach Raub und Mord lüsternden Räuber“, zeichnen ein sehr einseitiges Bild. Das Resultat ist der Wunsch nach Befriedigung eines undifferenzierten Gerechtigkeitsgefühls (vgl. Petzoldt 1974, 70). Im letzten Teil und im Anschluss an die Bluttat verstecken sich die Männer in einer Höhle, was die Analepse beendet und an den Anfang der Geschichte anknüpft. Durch ihre Spuren im Schnee werden sie von aus Moskau entsandten Soldaten entdeckt und erschlagen. Die überlebenden fünf Männer und Scharnofsky werden am Ende durch ein Gericht zum Tode verurteilt. 

Dem Prosatext folgt das Lied. Es besteht aus zehn, je fünf Verse umfassenden Strophen. Ein einheitliches Reimschema lässt sich nicht feststellen. Die Kürze (im Vergleich zum Text) lässt sich nicht nur durch die Platzknappheit des Quartformats erklären, sondern zielt möglicherweise auch auf eine dramatischere Wirkung auf das Publikum ab. So bleibt die Vorgeschichte des Banditenhauptmanns unerwähnt, stattdessen beginnt das Lied mit dem Ende der Analepse, den Räubern in der Höhle. Auch werden einige kleinere Details anders dargestellt. Beispielsweise tötet Scharnofsky das Kind vor den Augen der flehenden Mutter, im Text hingegen tötet er diese zuerst.  Diese Veränderungen resultieren in einer noch grausameren Darstellung des Banditenhauptmannes.

Alina Breyer / Menko Harken