Eine sehr merkwürdige Geschichte von einem armen Tagelöhner=Mädchen welches 5 lebendige Kinder geboren hat wovon jedes ein Merkmal oder Zeichen an sich trägt […]

Landesbibliothek Oldenburg: Spr XIII 4 c 2b:5,14

Dieser Blogbeitrag behandelt ein etwas anderes Kolportageheftchen. Fraglich erscheint hierbei schon die Bezeichnung „Heftchen“, da der Druck nur zwei statt der in der Oldenburger Sammlung sonst typischen acht Seiten umfasst. Durch die Messskala lässt sich zudem feststellen, dass die Seiten bei dem vorliegenden Druck fast doppelt so groß sind wie gewöhnlich. 

Untypisch ist dieser Einblatt-Druck auch in seinem internen Aufbau. Es gibt weder Titelblatt noch -bild, sondern lediglich einen (Kopf-)Titel, einen Prosatext und zwei Lieder. Diese Elemente sind in Fraktur-Schrift gedruckt. Außerdem gibt es keine Angaben zu Verlag, Druckort und -datum oder Verkaufsort und -datum. Als zeitlicher und örtlicher Anhaltspunkt dient lediglich eine auf den Prosatext folgende Angabe „Paris, den 2. Juni 1836“ (S. 2). 

Inhaltlich geht es um die arme, aber gute Anna Ladina, die als Halbwaise mit ihrem Vater in einem kleinen Ort in Frankreich lebt. Der Kaufmannssohn Bernardi verliebt sich in sie, verführt sie und sie wird schwanger. Ihr Vater, der sie sehr liebt, bestraft sie jedoch nicht dafür. Das Tagelöhnermädchen bringt schließlich Fünflinge zur Welt, von denen jedes ein besonderes Zeichen an sich trägt. Als der französische König davon erfährt, unterstützt er das Paar, sodass die Familie versorgt ist. Zu diesem „König der Franzosen”, der von der heterodiegetischen Erzählinstanz auffällig positiv dargestellt und gesegnet wird, findet sich eine historische Parallele: Nach der Julirevolution regierte von 1830 bis 1848 der ebenso betitelte Louis Philippe (vgl. Hölzle 2010).  

Im ersten Teil des Prosatextes sind der Vater und Bernardi aktive Figuren der Geschichte, die immer wieder mit dem Lob auf Gottes Größe untermalt wird. Die guten Taten des Königs bestimmen den zweiten Textteil. Die Darstellung der Hauptfigur ändert sich im Laufe des Textes zudem auffällig. Zunächst bekommt sie einen Namen, wird zur schönen Tochter, zur Mutter und am Ende zu einer vornehmen Dame. Trotz der schwierigen Umstände (u.a. uneheliche Geburt, Fünflinge) werden alle Figuren durchgehend positiv gezeichnet.  

Zwei Textbrüche teilen die Geschichte in Rahmen- und Binnenerzählung. Nach einem Gotteslob und einer kurzen Zusammenfassung der Geschehnisse beginnt nach einem Gedankenstrich die eigentliche Erzählung. Auf der zweiten Seite folgt auf einen erneuten Bruch eine indirekte Beglaubigung mit dem Verweis auf eine französische Zeitung und andere Berichterstattungen, welche kürzlich von der Geschichte berichteten. Hiermit soll die Faktualität der wie im Titel schon behaupteten „wahre[n] Geschichte unserer Zeit” (S. 1) bezeugt werden. Einen Verweis auf die Aktualität des Geschehens bietet die bereits oben erwähnte Orts- und Datumsangabe.

Landesbibliothek Oldenburg: Spr XIII 4 c 2b:5,14

Die wundersamen Zeichen der Fünflinge, ein Stern, zwei Lanzen, eine Ähre, ein Apfel und eine Lilie, können als christliche Symbole ausgelegt werden, die Lilie verweist zudem auf das französische Königshaus. Eine Deutung wird jedoch im zweiten Textteil durch den Autor explizit abgelehnt. 

Typologisch lässt sich der Text den Wundergeschichten zuordnen, denn neben vielen weiteren Motiven wie z.B. Verführung und Reue, der unehelichen Schwangerschaft und dem gnädigen König steht das durch Gott verrichtete Wunder – die lebendigen Fünflinge mit ihren wundersamen Zeichen – dennoch im Zentrum der Geschichte. Dieses erstaunliche Wunder verdiene es für die Weltgeschichte festgehalten zu werden, so die erzählerische Instanz (vgl. S. 1), und auch wenn viele Menschen aus diesem etwas Zukünftiges zu prophezeien versuchten, sei es doch am klügsten abzuwarten, bis das Geheimnis um die Zeichen durch die Zeit von selbst aufgedeckt werde (vgl. S. 2). In diesem Sinne der Appell an die Leserschaft: „Wer vermag es, die Wunderthat zu deuten?” (S. 2). 

Einige Textstellen, an denen der Autor nicht ganz mit der deutschen Grammatik vertraut zu sein scheint oder ungewöhnliche Formulierungen verwendet, lassen vermuten, dass der Text ursprünglich auf Französisch verfasst wurde, wie z.B.  „und gratulierte ihn“ (S. 2). Wenn das kein Druckfehler ist, so könnte hier das im Französischen transitive Verb feliciter (beglückwünschen, gratulieren) falsch ins Deutsche übersetzt worden sein. Anpassungen an die deutsche Leserschaft, wie z. B. die nähere Bestimmung des Ortes Vexallier durch die Angabe „in Frankreich“ oder „ohnweit Paris“ (vgl. S. 1) und die Tatsache, dass sowohl die Handlung als auch die Figuren Frankreich zuzuordnen sind, unterstützen diese These. 

In Bezug auf die Lieder ist an diesem Kolportagetext speziell, dass es untypischerweise zwei Lieder „auf die Geschichte“ gibt, statt einem. Das erste Lied zur Geschichte fasst dabei den inhaltlichen Verlauf der Geschichte zusammen, sodass die Handlung passend zum Lied transportiert wird. Dagegen legt das zweite Lied seinen Schwerpunkt auf die Rolle Gottes, der hier für die wundersame Zeichengebung an den Fünflingen gelobt werden soll. Es steht also viel weniger die Geschichte als Gott im Vordergrund, welcher den Menschen hilft und über allem steht (vgl. S. 2).

Jens Busse / Bettina Lindemann / Lea Schäfer / Richard Schlimper