Geschrieben von Philipp Gerst

Da sitze ich mal wieder im Sprachkurs, es ist die erste Stunde nach der vorlesungsfreien Zeit und ich verkrampfe während der Vorstellungsrunde umso mehr, je näher der Moment kommt, an dem ich an der Reihe bin zu sprechen. Irgendwie sprechen die anderen alle viel besser als ich, flüssig, akzentfrei, schnell, deutlich, fehlerlos…

Und dann bin ich dran. Eben noch habe ich versucht, mir in aller Eile gedanklich ein paar Sätze zurechtzulegen, damit ich genauso flüssig, schnell, akzentfrei und fehlerlos sprechen kann, jetzt ist alles wieder weg. Gelöscht. Alle starren mich an, erwartungsvoll, und ich bringe nur mit Mühe ein paar Sätze heraus. Meine Stimme zittert, meine Hände umso mehr, mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Ein zweiter, als ich meine knappen Sätze beende und feststelle, dass ich mindestens drei Fehler gemacht habe. Dumme Fehler. Solche, die ich eigentlich besser weiß!

Was ist da los mit mir?

Es gibt viele Bezeichnungen dafür: Logophobie, Redehemmung oder eben Sprechangst – die Angst vor einer sozialen Gesprächssituation. Dabei gibt es wohl genauso viele Varianten der Sprechangst wie es unterschiedliche Gesprächssituationen gibt und alles in ganz verschiedenen Intensitäten. Bei manchen mag es nur eine leichte Unsicherheit sein, wenn sie im Unterricht in einer Fremdsprache sprechen müssen; ein Ausflug in die Randgebiete ihrer Komfortzone. Für andere bedeutet es einen klaren Ausbruch aus derselben.

Dafür mag es ganz verschiedene Gründe geben. Im Unterricht in einer Fremdsprache zu sprechen, besonders wenn die Lehrkraft zuhört, ist ja auf gewisse Weise auch eine Prüfungssituation, in der Nervosität und Unsicherheit ganz normal sind. Auch die Persönlichkeit der Sprecher*innen spielt eine Rolle. Es gibt nun mal Menschen, die eher introvertiert sind und sich ganz allgemein unsicher fühlen, wenn sie vor einer Gruppe sprechen müssen, egal ob in einer Fremd- oder der Muttersprache. Für diese Personen kann es schon deutlich angenehmer sein, wenn sie nur in Zweiergruppen reden müssen.

Zusätzlich kommt der Lerntyp hinzu. Manche Menschen können sich eine Sprache besser durch Sprechen und Hören aneignen, also in der Praxis, andere müssen sich zuerst die Struktur der Sprache einprägen, bevor sie sie aktiv anwenden. Außerdem gibt es risikofreudige Sprecher*innen, die mehr darauf achten, ihre Information einfach in die fremde Sprache zu packen, ohne zu viel Wert auf grammatikalische Korrektheit zu legen, und solche, die das Risiko gern vermeiden und das, was sie sagen wollen, erst sorgfältig in Form bringen und mehrmals überprüfen, ehe sie den Satz aussprechen.

Bei all diesen verschiedenen Varianten ist es nicht so ganz leicht, herauszufinden, was hinter der Sprechangst steckt. Am besten ist es, wenn du dich selbst fragst, was genau der Grund ist. Was hemmt dich? Was macht dir konkret Angst? Was möchtest du vermeiden? Was wäre das Schlimmste, was beim Sprechen passieren könnte?

Einige Menschen mit Sprechangst haben einfach in ihrem Fremdsprachenunterricht schlechte Erfahrungen mit Lehrkräften gemacht, die besonders streng waren. Vielleicht steckt auch eine Art Perfektionismus dahinter. Aber die Frage bleibt dennoch, weshalb wir eine solche Angst vor Fehlern entwickelt haben, obwohl die Forschung schon seit längerer Zeit zeigt, dass Fehler beim Sprachenlernen absolut normal sind; sie sind sogar wichtig, weil wir oft nur durch Fehler Neues hinzulernen können. Fehler sind unsere Freunde, nicht unsere Feinde. Da wäre es viel hilfreicher, sich zu überlegen, wie man mit einer unsensiblen Lehrkraft umgeht, die ihren Finger immer schmerzhaft auf jeden noch so kleinen Fehler legt wie in eine offene Wunde.

Sprechangst ist kein Phänomen, das nur Anfänger*innen betrifft, sondern auch Fortgeschrittene. Überraschend? Na ja, Sprechangst zu haben, bedeutet eben nicht, dass man eine Sprache nicht gut beherrscht. Viele Menschen können eine fremde Sprache ausgezeichnet, sie brauchen nur länger, bis sie ihre Sätze fertig haben und können sich, weil sie so die nötige Zeit haben, schriftlich besser ausdrücken als mündlich.

Das alles ist also absolut legitim und gehört einfach zu einem gewissen Grad zu deiner Art zu lernen und zu sprechen dazu. Und zu meiner. Das ist wie im Leben allgemein: Es gibt risikobereite und vorsichtige Menschen. Wir sind eben einfach so einfach, wie wir sind, und das ist gut so.

Wenn dich deine Sprechangst aber doch zu sehr belastet oder sogar am Lernen hindert, ist die wohl größte Hürde zunächst einmal, sich selbst einzugestehen, dass man Sprechangst hat. Aber es gibt viele, die das haben. Du bist also nicht allein. Am besten ist es, wenn du dir Hilfe bei der Bewältigung deiner Angst suchst. Du kannst dich zum Thema Sprechangst über verschiedene Wege informieren, es gibt z.B. einige gute Bücher in der Uni- oder Landesbibliothek. Außerdem hat das Goethe-Institut Untersuchungen zur Sprechangst durchgeführt, die beziehen sich zwar auf den DaF-Unterricht, aber das Prinzip lässt sich übertragen. Oder du sprichst mit guten Freund*innen darüber. Manchmal haben auch Sprachlehrkräfte gute Tipps, weil sie oft damit konfrontiert sind.

In akuten Fällen kann dir auch der Psychologische Beratungsservice (PBS) der Uni helfen.

Ganz sicher aber gilt: Reden ist Silber, Schweigen ist… na ja, im Fremdsprachenunterricht zumindest nicht Gold. Also hol dir lieber Silber als gar keine Medaille und finde einen Weg, mit deiner Angst umzugehen. Was soll schon Schlimmes passieren?

Foto: © Kommunikation lernen

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