Mathematikerin


Wir freuen uns, euch heute unser nächstes rOLe model vorstellen zu dürfen:
Mathematikerin Prof. Dr. Renate Scheidler.

zunächst veröffentlicht auf Intsgram (@equality_uol) am 05.07.2022.

Wir stellen die Mathematikerin Prof. Dr. Renate Scheidler, hier abgebildet, in unserem Interview-Format vor. Zu sehen ist ein Portraitfoto von ihr, einer weißen Person, welche ein blaues Hemd und eine Brille trägt. Sie hat kurze Haare und lächelt in die Kamera.
Renate Scheidler ist Professorin am Department of Mathematics & Statistics, University of Calgary und Department of Computer Science, University of Calgary.

Frage: Wie würden sie ihre Arbeit beschreiben, Frau Prof. Dr. Scheidler?
"Ich arbeite an zahlentheoretischen Problemen, die mathematisch und rechnerisch sehr schwer zu lösen sind. Diese Probleme verwendet man in kryptographischen Verfahren, also Verschlüsselungsverfahren, als Basis für deren Sicherheit. Dahinter steckt die Idee, dass eine angreifende Person, die so ein Verfahren knacken will, dafür auf irgendeine Weise das zugrundeliegende schwere Problem lösen muss. Dazu muss man insbesondere genau wissen, wie schwer diese Probleme sind, um abschätzen zu können, wie sicher diese kryptographischen Systeme tatsächlich sind."
Frage: Was hat sie motiviert, in die Naturwissenschaften zu gehen?
 
"Naturwissenschaften und das Verhalten der Welt haben mich immer fasziniert. Die Welt ist einfach ein interessanter und aufregender Ort. Aber mein Interesse galt niemals nur der Mathematik und den Naturwissenschaften, ich mochte auch Geschichte und Sprachen, habe immer viel gelesen und war auch in der Schule ganz gut. Es gibt Mathematiker, die einem erzählen: Ach, ich wusste schon im Alter von 8 Jahren, dass ich Mathematiker werden möchte“. Aber das war bei mir gar nicht so. Ich habe immer Interesse an den Naturwissenschaften gehabt und wollte auch in der Richtung was machen, studienmäflig, aber meine Interessen schwankten viel. Ich sage gerne: Als es Zeit war, sich an Unis zu bewerben, da war ich an der Mathematik interessiert. Wäre das sechs Wochen früher gewesen, vielleicht wäre ich jetzt in der Biologie, vielleicht sogar in der Medizin. Ich hatte immer gute Noten und dann rät einem jeder zum Medizinstudium. Aber im Nachhinein war Mathematik und Informatik die richtige Wahl, ich bin da sehr glücklich."
Ein Bild von Renate Scheidler, entstanden bei einem Gespräch mit der Pressestelle der CvO in der Stube in Oldenburg.

Frage: Gibt es Vorbilder, die sie inspiriert haben?
"Nicht unbedingt direkt aus der Naturwissenschaft. Ich komme aus einem sehr gebildeten Haushalt, mein Vater hatte auch studiert, und ich bin mit ungefähr 2000 Büchern um mich herum aufgewachsen. Da war von Anfang an klar, dass meine Geschwister und ich studieren werden. Glücklicherweise hat mich später mein Doktorvater an der Universität Manitoba in Kanada sehr gefördert."
Frage: Auf welche Leistung sind sie besonders stolz?
Antwort: "2006 habe ich mit zwei anderen Mathematikprofessorinnen in den USA eine Initiative gestartet, die wir “Women in Numbers” genannt haben. Numbers ist eine Abkürzung für Number Theory, mein Fachgebiet. Es ist also ein englisches Wortspiel: Women in Numbers, also Frauen in (größeren) Zahlen bzw. Frauen in der Zahlentheorie. Das ist ein Netzwerk, das die akademischen Beiträge von Frauen mehr in den Vordergrund stellen soll, sich also an Zahlentheoretikerinnen im Forschungsleben richtet. Es gibt sehr wenige Frauen, die an Top-Universitäten arbeiten - dort sind wir kaum sichtbar und selten Entscheidungsträgerinnen. Also wollten wir mehr Frauen in diese Positionen bringen. Dazu machen wir auch Konferenzen, wo etablierte Forscherinnen mit jüngeren zusammenarbeiten, wo kreativ geforscht und veröffentlicht wird. Wir haben inzwischen fünf oder sechs solcher Konferenzen in Nordamerika gehabt, vier in Europa, einige auch in Asien. 
Auf diese Leistung bin ich stolzer als alles, was ich in Sachen Forschung oder Lehre gemacht habe. Ich glaube, diese Initiative erreicht und hilft viel mehr Menschen als zum Beispiel eine Vorlesung oder Veröffentlichung."
Frage: Sind sie während Ihrer Karriere in der Wissenschaft auf bestimmte Barrieren gestoßen?
Antwort: "Ja. Ich glaube, die gibt es immer, und zum Teil hatten die Barrieren auch mit Geschlecht zu tun. Ich denke, dass man als Frau allgemein nicht so ernst genommen wird, dass man größere Leistungen bringen muss, um dieselbe Anerkennung zu gewinnen wie Männer. Dass es schwieriger ist, seine Artikel veröffentlicht zu kriegen, Forschungsgelder zu bekommen, und so weiter. Es gibt natürlich Vorurteile, die mir begegnet sind. Ab und zu auch ganz, ganz gewaltige, wo einer gesagt hat, ach ja, du hast dieses Forschungsgeld nur bekommen, weil du 'ne Frau bist”. Doch was viel öfter passiert, sind Situationen, wo die Leute sich ihrer Vorurteile nicht bewusst sind. Es gab auch andere Barrieren, was Karriere angeht. Zum Beispiel sind Professuren in der Mathematik sehr dünn besäht. Die angewandten Fachgebiete sind da etwas einfacher und bieten mehr Beschäftigungsmöglichkeiten an. Aber in der reine Mathematik, womit ich angefangen hab, da ist es ziemlich schwierig, eine akademische Stelle zu bekommen."
Welchen Rat würden Sie denjenigen geben, die sich für eine Tätigkeit in der Wissenschaft interessieren?
"Forschung allgemein ist oft langwierig und man stößt auf Barrieren. Dafür braucht man ein dickes Fell, um nicht aufzugeben und nicht total gefrustet zu werden. Mein erster Ratschlag ist: Halt die Ohren steif und gib nicht auf. Der Ratschlag geht an alle, aber vor allem an Frauen, die oft nicht das Selbstbewusstsein haben, das vielleicht ein Mann in diesen Fachgebieten hat. Und das zweite ist, dass ich glaube, dass man so eine Laufbahn nicht ohne Unterstützung machen kann, ohne Fürsprecher*innen. Dabei ist egal, welches Geschlecht die haben, und ob das Freund*innen oder Kolleg*innen sind. Sucht also solche Leute, sprecht mit denen, nehmt ihren Ratschlag an, stellt Fragen, und oft. Vor allem haben auch wieder Frauen öfters Angst, Fragen zu stellen, weil sie sich sorgen, dass sie dadurch womöglich dumm oder weniger kompetent erscheinen. Aber stellt diese Fragen, und hört auf die Antworten, nehmt Ratschläge an, und nutzt die Erfahrung dieser Leute. Ohne Unterstützung ist Karriere sehr schwer, egal, was die Laufbahn ist, egal, welches Geschlecht man ist, egal, wo man lebt. Also nehmt Hilfe an!"
Ausschnitt aus dem Lebenslauf von Prof. Dr. Renate Scheidler.
Diplom
Deutschland: 1987: Mathematik, Universität KölnDiplomarbeit: “Zur Algebra und Arithmetik kubischer Formen und Körper”Betreuer: Prof. Dr. W. Jehne

Promotion (PhD)
Kanada: 1993: Informatik, University of ManitobaDoktorarbeit: “Applications of Algebraic Number Theory to Cryptography” (Anwendungen der algebraischen Zahlentheorie auf die Kryptographie)Betreuer: Prof. H.C. Williams

Berufliche Laufbahn
USA: 1993-2001: Department of Mathematical Sciences, University of Delaware
1993-1999: Assistant Professor, 
1999-2001: Associate Professor 
Kanada: seit 2008: Department of Mathematics & Statistics und Department of Computer Science, University of Calgary
Associate Professor: 2001-2008: Mathematics & Statistics Graduate Program Director: 2011-2016: Full Professor (seit 2008)
Deutschlan: 2022: Helene Lange-Gastprofessur, Institut für Mathematik, Carl von Ossietzky Universtät Oldenburg

AuszeichnungenResearch Associate: 2001-2011: Alberta Informatics Circle of Research Excellence (iCORE)
Fellow: seit 2022: Association for Women in Mathematics
Frage: Was haben Sie sich für die kommenden Monate vorgenommen?
Antwort: "Ich bin hier auf einer Helene-Lange-Gastprofessur, die natürlich Forschung und Lehre beinhaltet. Aber ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Stelle ist Gleichstellungsarbeit, insbesondere bezüglich Frauen. Dazu gibt’s hier diverse Initiativen, wo ich jetzt mitmache. Ich werde unter Umständen mit der Fachschaft in der Mathematik etwas machen, vielleicht ein Kaffeetrinken oder so, mit jüngeren Professorinnen und Doktorandinnen und Postdocs. Ich mache auch beim Uni-Mentoring-Programm mit. 
Persönlich habe ich einige Reisen vor. Ich bin in Deutschland aufgewachsen und hab hier noch Familie. Wir werden im August ein grofles Familientreffen haben, wo viele Leute kommen, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Mit meinem Mann reise ich gerne an diverse Stellen, wo ich Kinderurlaube verbracht habe, um das nochmal neu zu entdecken. Also nutze ich teilweise diese Möglichkeit, hier zu sein, um meine Vergangenheit wiederzuentdecken. 1988 bin ich aus Deutschland weg - das Land ist jetzt ganz anders! Ich bin noch bis Ende des Jahres hier. Das heißt, es ist schon Zeit, einiges zu machen. Und im Januar geh ich dann wieder zurück nach Kanada."
Renate Scheidler privat in einem Restaurant an der Lamebrti-Kirche in Oldenburg. Wir bedanken uns für ihr Teilnahme am Projekt „rOLe models“!