Silvia Federici

Silvia Federici

(Autorin: Chiara Büttner)

Biographie:

Silvia Federici ist eine feministische Aktivistin, emeritierte Professorin und Schriftstellerin. Die italienische Schriftstellerin wurde 1942 in Parma geboren. Im Jahr 1972 war sie Mitbegründerin des International Feminist Collective und setzt sich unter anderem für die Kampagne „Lohn für Hausarbeit“ ein. Von 1987 bis 2005 lehrte sie in dem Bundesstaat New York an der Hofstra Universität. Derzeit ist sie wohnhaft in New York.

Silvia Federici (2008)

„Für sie ist der Marxismus nicht länger ein „Ismus“ oder eine ideologische Option, die sich der intellektuelle Konsument wählt, sondern eine Errungenschaft kollektiver Subjektivitäten, ein wesentlicher Bestandteil unserer kollektiven Intelligenz. Sie hilft das Murren der Bedrängten in den Alltagsverstand zu übersetzen“ (Linebaugh 2017, S. 13).


„Kämpfe, die darauf abzielen, die Welt wieder weniger urban zu machen, beispielsweise durch die Wiederaneignung von Land, die Befreiung der Flüsse von Staudämmen, den Widerstand gegen die Entwaldung und – ganz entscheidend – die Neubewertung der reproduktiven Arbeit […sind] nicht nur die Voraussetzung für unser physisches Überleben, sondern auch eine Bedingung für die „Wiederverzauberung“ der Welt, weil diese Kämpfe wieder zusammenfügen, was der Kapitalismus voneinander getrennt hat: unsere Beziehungen zur Natur, zu anderen Menschen und zu unserem eigenen Körper, wodurch wir in die Lage versetzt werden, nicht nur der Anziehungskraft des Kapitalismus zu entkommen, sondern in unserem Leben wieder ein Gefühl der Ganzheit zu erlangen.“
Silvia Federici

Vorstellung des Werkes Die Welt wieder verzaubern. Feminismus, Marximus & Commons:

Im Jahr 2019 wurde die englische Version (Re-enchanting the World: Feminism and the Politics of the Commons) erstmalig veröffentlicht. In dem darauffolgenden Jahr erschien die deutsche Übersetzung von Leo Kühlberger, die diesem Blog als Grundlage dient. Das Buch enthält eine Sammlung von verschiedenen Aufsätzen, die als zentrales Thema die Auseinandersetzung mit den Commons haben. Dabei gliedert Federici die 14 Beiträge thematisch in zwei Teile. Die Beiträge des ersten Teils beschäftigen sich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen, durch die das Interesse an Commons wieder aufgetreten sei.

Die Welt wieder verzaubern

Die Autorin thematisiert verschiedene Aspekte, insbesondere „Neue Einhegungen“[i], Schuldenökonomie, Kontinuität des Kapitalismus und regelmäßig die Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Die italienische Feministin möchte dadurch die Notwendigkeit von Commons aufzeigen, die für eine Gesellschaft von essenzieller Bedeutung seien. Es handelt sich unter anderem um wissenschaftliche Essays aus ihren vorherigen Werken, die sie in die Gegenwart transformiert hat (vgl. Federici 2020, S. 34-35). Der zweite Teil widmet sich den Herausforderungen, die im Zusammenhang mit der Schaffung sowie Erhaltung der Commons auftreten. Verstärkt geht Federici auf das Potenzial der Commons ein, speziell auf die Relevanz der gesellschaftlichen Reproduktion. Dabei leitet die Autorin ihren zweiten Teil einerseits mit dem Hinweis der Komplexität der Thematik und andererseits mit der unabdingbaren Notwendigkeit einer Kontextualisierung der Commons ein (vgl. ebd., S. 124).

Der Blogeintrag beschäftigt sich zentral mit der Frage, was Federici unter Commons versteht und was deren Merkmale sind. Es ist darauf hinzuweisen, dass eine Übersetzung des Wortes Commons ins Deutsche nicht erfolgen wird, da eine Übersetzung den Umfang der Bedeutung nicht erfassen kann (vgl. ebd., S. 7). Es wird der stetige Bezug zu Marx in ihrem Werk thematisiert, ergänzt um einen Überblick über den Stellenwert der reproduktiven Arbeit. Eine Analyse zu dem gleichnamigen Essay „Die Welt wieder verzaubern“ schließt sich an. Zudem werden die Besonderheiten und Auffälligkeiten des Werkes, sowohl inhaltlich als auch sprachlich, analysiert. Die vorliegende Arbeit soll den Leser*innen die italienische Autorin und ihr Werk, konkret die Commons und die „Wiederverzauberung“, näherbringen, um final verstehen zu können, was sich hinter „Die Welt wieder verzaubern“ verbirgt.

Commons als soziale Notwendigkeit

Die Commons stellen einen wesentlichen Aspekt in den verschiedenen Essays dar. Federici betont, dass nicht alle Facetten des Begriffes in ihrem Werk aufgegriffen werden können. Die Feministin stimmt der These zu, dass „es schwierig ist, Worte für diese gewaltige und so seltene Erfahrung zu finden, wenn man Teil von etwas ist, das größer als unser individuelles Leben ist“ (ebd., S. 124) und hebt somit direkt die Besonderheit der Commons hervor. So liefert Federici keine allgemeingültige Definition für den Begriff der Commons, sondern fügt verschiedene Eigenschaften an und gibt Aufschluss über die Geschichte sowie Bedeutung der Commons. Anhand dieser genannten Eigenschaften soll versucht werden, sich einer Begriffserklärung anzunähern. In ihrem Werk beschäftigt sich Federici mit unterschiedlichen Aspekten der Commons; unter anderem den Merkmalen, der Historie und der heutigen Bedeutung in Hinblick auf die gesellschaftliche Reproduktion. Diese Aspekte werden im Nachfolgenden abschnittsweise einzeln genauer beleuchtet.

Annäherung einer Definition

Unter Commons können größere Gemeinschaften verstanden werden, die sich weltweit erstrecken. Allgemein unterteilt die italienische Schriftstellerin die Commons in „kapitalistische“ und „antikapitalistische“ Commons. Dabei verdeutlicht sie, dass die „wahre“ Bedeutung von Commons nicht mit den Werten des Kapitalismus zu vereinbaren ist (vgl. ebd., S. 135). Ferner nimmt die Autorin eine weitere Teilung der Commons vor. Zum einen in kooptierte Commons, die vom Staat geleitet werden und zum anderen in geschlossene Commons, die nur für bestimmte Gruppen vorgesehen sind. Bei kooptierten Commons wird die Nachfolge oder Teilnahme der Mitglieder durch die anderen Mitglieder bestimmt. Geschlossene Commons würden zwar demokratisch und untereinander fair teilen, jedoch Außenstehende nicht mit einbeziehen, teils gar feindlich betrachten. Als Beispiel für geschlossene Commons sind Wohnungsgenossenschaften anzuführen (vgl. ebd., S. 143). Zusätzlich beschreibt sie Commons, die sich an dem Markt orientieren (vgl. ebd., S. 144-145). Als ein Beispiel für den kapitalistischen Versuch, Commons marktorientiert zu gestalten, fügt sie die Weltbank der Vereinten Nationen an (vgl. ebd., S. 160). Federici nähert sich einer Definition der Commons an, indem sie neun Eigenschaften dieser bestimmt. Echte Commons zeichnen sich demnach dadurch aus, dass …:

  1. … autonome Räume geschaffen werden;
  2. …die Mitglieder einen gemeinschaftlichen Besitz haben (z.B. Land);
  3. …gesellschaftliche Beziehungen bestehen;
  4. …Ansprüche (z.B. auf Nahrung) und Pflichten (z.B. anderen helfen) durch Regeln eingehalten werden;
  5. …eine echte Gemeinschaft besteht („Ohne Gemeinschaft keine Commons“);
  6. …sie Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen fördern und sich somit von geschlossenen Commons wie gated communities abheben;
  7. …die Mitglieder demokratisch agieren und Formen der direkten Demokratie vorhanden sind;
  8. …die gemeinsamen Bedürfnisse der Mitglieder befördert werden;
  9. …und nicht durch den Staat gelenkt wird (vgl. ebd., S. 147-S. 151).

Hervorgehoben wird durch diese Eigenschaften der Begriff „Gemeinschaft“, wobei das Wort alleine die Bedeutung der Commons nicht ausreichend beschreiben kann. Das Agieren in gemeinschaftlichen Gruppen, die gemeinsame Ziele und Bedürfnisse haben, ist charakteristisch für den Begriff der Commons. Durch diese Eigenschaften wird deutlich, dass sie das Grundkonzept der Commons nur in „antikapitalistischen“ Commons sieht. Bereits durch diese Annäherung der Definition von Commons wird deutlich, dass mehrere Faktoren erfüllt sein müssen, um die Bedeutung der Commons widerzuspiegeln. Daher kann es nur bei einer Annäherung einer Definition bleiben. Federici berichtet in ihrem Werk von der Vergangenheit der Commons, um die tiefere Bedeutung dieser und deren Verankerung in der Gesellschaft hervorzuheben. Im Folgenden soll die Historie zusammenfassend beleuchtet werden.

Geschichte der Commons

Die Historie zeige auf, dass das Zusammenleben in Commons die Basis für frühere Gesellschaften darstellte. Darunter seien die damaligen gesellschaftlichen Beziehungen zu verstehen, die z.B. durch Tauschgeschäfte existierten (vgl. ebd., S. 136). In der Geschichte stecke das kollektive Gedächtnisder Gesellschaft, das mögliche Kämpfe und das damalige Leben in Commons beinhalten würde. Wesentlich sei dabei die Erkenntnis, dass die damaligen Commons die Voraussetzung für das frühere Zusammenleben der Menschen bildeten (vgl. ebd., S. 136). Ein Ursprung der Commons kann beispielsweise in der Geschichte der amerikanischen Ureinwohner*innen gesehen werden. Merkmal dafür sei die Zusammengehörigkeit der amerikanischen Ureinwohner*innen, die auf die nicht vorhandene Bindung zum Privateigentum und ihrer Beziehung zur Natur zurückzuführen ist (vgl. ebd., S. 129). Die Ländereien wurden gemeinsam von den amerikanischen Ureinwohner*innen bewirtschaftet. Die Vorstellung, dass das Land ein Eigentum sein könnte, war den Ureinwohner*innen fremd (vgl. ebd. S. 128). Zudem erwähnt Federici, dass die Commons der Einheimischen auch in der heutigen Zeit existieren und ihre Zerstörung verhindert werden müsse (vgl. ebd., S.198). In diesem Zusammenhang wird auch die Rolle der Frau angesprochen. Die Arbeit der Frau, besonders die reproduktive Arbeit, übernahm eine entscheidende Funktion für den damaligen Zusammenhalt der Gemeinschaft. Auch heute seien es die Frauen in Lateinamerika, die bei der Erhaltung der Commons eine entscheide Rolle einnehmen. Als Beispiel sei der Widerstand gegen die Bohrungen in Standing Rocks im Jahr 2016 anzuführen, wo zu Beginn überwiegend Frauen infrastrukturelle Maßnahmen ergriffen, um den dort protestierenden Menschen über mehrere Monate mit z.B. Kleidung und Nahrung zu verpflegen (vgl. ebd., S. 130-133). Dem Protest schlossen sich mehrere tausende Menschen an, um gegen die Öl-Bohrungen und die Zerstörung von heiligem Boden vorzugehen (vgl. Deutschlandfunk Kultur, 2016).

Federici hebt die Besonderheit von Commons in der Vergangenheit hervor, zeigt jedoch auch, dass es noch Überreste dieser Commons gibt. Trotz der historischen Bedeutung möchte Federici keine Anpassung an die Vergangenheit vornehmen, sondern appelliert, die Commons an die heutige Zeit zu adjustieren (vgl. ebd., S. 136-137). Die Gründung und das Agieren in Commons seien essenziell für das Überleben in der heutigen Zeit (vgl. ebd., S. 139).

Commons in der heutigen Zeit

Dass die Commons ein aktuelles Thema sind, wird explizit in dem Essay „Mit den Commons gegen den Kapitalismus und darüber hinaus“ deutlich. Dabei hinterfragt Federici den Gebrauch des Begriffes Common oder Commons in der heutigen Zeit, da er häufig falsch verwendet werden würde und somit das eigentliche Charakteristikum verloren gehe. Als Beispiel führt sie Elite-Universitäten an. Diese fordern hohe Studiengebühren und würden gemeinschaftlichen Einrichtungen, wie deren Bibliotheken, als „Informations-Commons“ betiteln (ebd., S. 135). Der Zugang bei diesen „Informations-Commons“ an Elite-Universitäten ist lediglich den Personen möglich, die sich die Studiengebühren leisten können. Vereinzelnd werden zwar auch Stipendien verteilt, die jedoch nicht die Mehrheit betreffen und selbst dann Schwierigkeiten, wie z.B. ständigen Leistungsdruck, mit sich bringen können. Somit stünde der Begriff „Information-Commons“ der von Federici eigentlichen Bedeutung von „wahren“ Commons gegenüber, da Personen von diesen „Commons“ ausgeschlossen werden (Verweis auf S. 3). Als Voraussetzung für die Entstehung eines solchen Commons an Universitäten im Allgemeinen sei eine Aufhebung der Hierarchien essenziell und ohne dies nicht umsetzbar (vgl. ebd., S. 154-155). Gleichermaßen sollte an die gesamte Arbeit, die den Studierenden ein Studium erst möglich macht, gedacht werden. Anzuführen sei z.B. die Arbeit der Reinigungskräfte oder der Hausmeister*innen (vgl. ebd., S. 155). Diese Arbeit, wie auch die reproduktive Arbeit, würde häufig nicht wertgeschätzt oder unbeachtet bleiben. Universitäten stellen nur ein Beispiel für die verschiedenen Bereiche dar, in denen Commons vorhanden sein können.

Zusammenfassend spielt der Begriff der Commons, nicht nur für die damalige Zeit, sondern auch für die heutige eine wichtige Rolle. Commons würden die gesellschaftlichen Beziehungen und den gegenseitigen Halt in Gemeinschaften verstärken oder gar erst schaffen. Sei es in der Universität als eine Form des „Wissens-Common“ oder für die Erhaltung der Reservate – Commons sind ein zentrales Thema mit weltweiter Bedeutung. Auch wenn festgehalten werden muss, dass Federici keine allgemeingültige Definition liefert, so schafft sie durch ihre Beschreibungen ein Verständnis für den Begriff und ermöglicht einen Einblick in die nachhaltige Bedeutung der Commons für das Leben.

Beziehung zu Marx und der Stellenwert der reproduktiven Arbeit

Bei der Thematisierung der Commons in ihrem Werk fallen zwei weitere Aspekte auf: Erstens der stetige Bezug zu Marx und zweitens der immer wiederkehrende Bezug zur reproduktiven Arbeit. Im weiteren Verlauf sollen diese beiden Themen betrachtet werden, beginnend mit der ambivalenten Beziehung zu Marx.

Eine ambivalente Beziehung zu Marx

Bereits in den ersten Essays lassen sich Bezüge zu Marx finden. Beispielsweise verweist sie darauf, dass „wir das Marxsche Konzept der ursprünglichen Akkumulation in mehrfacher Hinsicht erweitern“ sollen (ebd., S. 39). Des Weiteren benennt sie ein Unterkapitel des zweiten Essays „Der marxistische Geist zu Mitternacht“ (ebd., S. 60-64). Dabei geht sie konstruktiv mit Marx und seiner Theorie um. Im dritten Essay wird auf den dritten Band des Marxschen Kapitals verwiesen, konkret auf die „Auflösung der alten Produktionsweisen“ (vgl. ebd., S. 89). Alternierend führt Federici Zitate von Marx an, häufig direkt zu Beginn eines Textes (z.B. vgl., ebd., S. 52, S. 90, S. 221). Der Bezug zu Marx wird in dem gleichnamigen Essay „Marxismus, Feminismus und die Commons“ hervorgehoben. Federici erörtert in diesem Essay verschiedene Fragen, z.B. wie die Aspekte vom Marxismus bezüglich Feminismus und Kommunismus im gegenwärtigen Zeitalter neu gedacht werden können oder wie sich das Prinzip der Commons mit der Marxschen Theorie hinsichtlich des Kommunismus vereinbaren lässt (vgl. ebd., S. 221). In diesem Kapitel kritisiert Federici zwar, dass Marx die reproduktive Arbeit nicht beachtet hätte, führt jedoch auch das Potenzial an, was Marx mit seinen Werken hinterlassen habe. So sei seine politische Sprache unabdingbar für die heutige Zeit hinsichtlich der Suche nach einer Alternative zum Kapitalismus (vgl. ebd., S. 223). Man müsse nur über diese Vorstellung hinausgehen, konkret die reproduktive Arbeit in den Vordergrund rücken. Federici spricht sich dafür aus, dass es eine Revolution bedarf, um den Kapitalismus zu überwinden (vgl. ebd., S. 253). Die Italienerin führt an, „(…)dass Marx, wenn er heute noch lebte, uns in diesem Punkt zustimmen würde“ (ebd., S. 253).

Zusammenfassend ist ein ambivalentes Verhältnis zu Marx´ Thesen festzustellen. Sie ist einerseits eine Kritikerin seiner Ansichten bezüglich Feminismus und der Rolle der reproduktiven Arbeit und andererseits eine Philosophin, die seiner Arbeit große Anerkennung und Bewunderung entgegenbringt. In dem gesamten Werk nimmt sie stets Bezug zu Marx und seiner Theorie. Sie versucht die Marxschen Begrifflichkeiten wie „Akkumulation, Klassenkampf und Kapital“ neu zu denken (vgl. ebd., S. 15). Dieser kontinuierliche Vergleich zu seiner Theorie stellt eine Besonderheit des Werkes dar und macht das Werk so lesenswert.

Ein weiteres zentrales Thema ist die reproduktive Arbeit. Bereits in Ansätzen wurde diese in dem Blogeintrag erwähnt. Da Federici sich für die Anerkennung und Wertschätzung der reproduktiven Arbeit besonders ausspricht, soll diese genauer betrachtet werden.

Stellenwert der reproduktiven Arbeit

Reproduktionsarbeit beschreibt die Arbeit, die für die Schaffung und den Erhalt der Gesellschaft notwendig ist. Darunter sind beispielsweise Hausarbeit, Kindererziehung und Pflege von Kranken zu fassen, die finanziell nicht entlohnt werden (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, Notz, 2010).

Die reproduktive Arbeit ist laut Federici ein wesentlicher Kritikpunkt an der Marxschen Theorie. Der reproduktiven Arbeit wird ein äußerst hoher Stellenwert in Federicis Werk, konkret bei der Wiederverzauberung der Welt und den Commons, zugeschrieben. An dieser Stelle werden noch einmal die wesentlichen Argumente von Federici, die für die Wertschätzung und Besonderheit der reproduktiven Arbeit sprechen, in Kürze zusammengefasst.

Das zentrale Argument bei der reproduktiven Arbeit ist, dass diese wesentlich für das gesellschaftliche Miteinander sei und nicht mechanisiert werden könne. Ansonsten würde der qualitative Gehalt dieser Arbeit leiden. An bestimmten Stellen sei dies auch überhaupt nicht möglich (vgl. ebd., S. 171). Darüber hinaus beschreibt Federici, dass die reproduktive Arbeit bereits in der Vergangenheit für den Zusammenhalt und das Zusammenleben notwendig war und dies auch bleibt. An dieser Stelle kann auf die aktuelle Covid-19 Pandemie verwiesen werden. Viele Kinder konnten teils nicht in die Schule gehen und mussten zu Hause bleiben, wobei die unbezahlte Hausarbeit von Eltern unabdingbar war/ist. Weiterhin führt Federici an, dass die Gesellschaft sich nach Commons und dieser Art Gemeinschaftsgefühl sehne, wodurch die reproduktive Arbeit ebenfalls in den Vordergrund rückt (vgl. ebd., S. 35). Auch spiele Feminismus eine erhebliche Rolle bei der Betrachtung der Commons. Frauen seien für den Hauptteil der reproduktiven Arbeit zuständig (vgl. ebd., S. 159). Aktuelle Studien unterstützen diese These, so würden Frauen in Deutschland ca. 60 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Arbeit erbringen (vgl. Tagesschau 2020). Zusammenfassend wird bereits durch diese Argumente deutlich, dass die reproduktive Arbeit zentral für das Zusammenleben in der Welt war, ist und weiterhin sein wird.

Federici spricht sich jedoch nicht nur für die Erhaltung und Wertschätzung der reproduktiven Arbeit aus, sondern auch in ihrem gleichnamigen Essay für die Wiederverzauberung der Welt.

‚Die Welt wieder verzaubern’?

Federicis Rede von der ‚Wiederverzauberung [Re-enchtantment] der Welt‘ nimmt Bezug auf die Aussage von Max Weber bezüglich der Entzauberung der Welt. In seinem Aufsatz „Wissenschaft als Beruf“ sprach Weber von der Entzauberung der Welt durch steigende „Intellektualisierung und Rationalisierung“ (vgl. ebd., S. 273). Silvia Federicis Ansatz kann als eine politisierte Variante von Webers These verstanden werden. Ein zentraler Aspekt ist dabei die „Computerisierung“, allgemein die „Verführung der Technologie“ und im Hinblick darauf der Verlust der „Autonomie“ (ebd., S. 275-276). Hierbei geht es der Autorin nicht darum, dass sie die Technik oder den Fortschritt rückgängig machen möchte, sondern vielmehr darum, dass deutlich wird, was die Konsequenzen für die Gesellschaft sind. Bei der Computerisierung handle es sich nur um vermeintliche Arbeitserleichterung. Die permanente Erreichbarkeit, z.B., dass man ständig erreichbar ist über das Handy oder per Mail, erschwere die Arbeit und belaste den Menschen stärker.

Der Mensch benötige das Zusammenspiel mit der Natur und gesellschaftliche Beziehungen, um sich komplett zu fühlen (vgl. ebd., S. 276-277). Federici führt die Occupy-Bewegung an. Die Occupy-Bewegung war ein Protest gegen die amerikanischen Banken, speziell die Wallstreet, im Jahr 2011 (vgl. Bundeszentrale für Politische Bildung, Kraushaar, 2012). Es sei nicht von den Technologien abhängig, dass die Menschen zusammenkommen. Das Verlangen nach Kommunikation und „nach einer gemeinsamen Gestaltung der Reproduktion“ (ebd., S. 281) sei bereits in den Menschen vorhanden. Sie appelliert für Autonomie und nennt als Beispiel für autonome Räume die Arbeit von Bäuer*innen und Einheimischen in Südamerika. Sie hebt in ihrem Essay die Kämpfe der Frauen gegen die Privatisierung des Landes hervor. Probleme bestünden durch die Wegnahme von Ländereien und durch die von der Weltbank vergebenden Kredite an die dort lebenden Menschen. Häufig würden durch die Kredite die Bäuer*innen in eine Schuldenkrise fallen und sich teilweise nicht mehr selbst versorgen können (vgl. ebd., S. 283). Allerdings gebe es bereits Widerstand, wobei sie auf Kämpfe von Frauen zum Erhalt von Gemeinschaften und Rechten in Bangladesch, Indien, Afrika und Südamerika verweist (vgl. ebd., S. 282- S. 284). Die italienische Autorin spricht sich für eine „Umwertung“ der Werte auf politischer und kultureller Ebene aus. Für diese Umwertung sei die reproduktive Arbeit der Frauen essenziell, da die reproduktive Arbeit eine bessere Beziehung zu den natürlichen Gegebenheiten dieses Planeten erbringen kann und die Möglichkeit zur Selbstregierung darstellt. Dabei ginge es darum, dass die reproduktive Arbeit nicht mit den Maßstäben und Mustern der industriellen Arbeit bewertet wird, sondern, dass die reproduktive Arbeit unabhängig betrachtet wird (vgl. ebd., S. 286). Federici sieht in dieser Neubewertung und Anerkennung der reproduktiven Arbeit die Voraussetzung für die Wiederverzauberung der Welt. Es geht der Autorin nicht darum, dass die Technik oder der Fortschritt zurückgewiesen wird; sondern vielmehr darum, dass die reproduktive Arbeit, die unabdingbar für das Leben sei, Wertschätzung und die Möglichkeiten zur Entfaltung erhält. Um dies und die Commons erreichen zu können, muss zuvor die Unterdrückung der Frau gestoppt werden. Wie bereits erwähnt, komme den Frauen bezüglich der reproduktiven Arbeit und somit einhergehend den gesellschaftlichen Beziehungen, die für Commons charakteristisch sind, eine hohe Bedeutung zu (vgl. ebd., S. 286). Federici spricht sich für die Wiederverzauberung der Welt aus, weist jedoch darauf hin, wie weit entfernt die Gesellschaft noch davon sei, in den von ihr beschriebenen Commons zu leben (vgl. ebd.).

Auffälligkeiten und sprachliche Besonderheiten der Essays

In diesem Abschnitt soll auf die sprachlichen Gemeinsamkeiten und Besonderheiten aufmerksam gemacht werden. Das Lesen wird durch diese Auffälligkeiten zu einer besonderen Erfahrung.

Auffällig sind z.B. folgende Gemeinsamkeiten: Sie verwendet häufig die erste Plural-Form. Federici spricht die Leser*innen durch die wir-Form direkt an und lässt dadurch den Leser*innen an dem Weltgeschehen teilhaben. Sei es in der Einleitung, in der sie direkt ihre Leserschaft anspricht oder in ihren einzelnen Werken (vgl. ebd., S. 20). In dem ersten Essay „Über die ursprüngliche Akkumulation, Globalisierung und Reproduktion“ finden sich die Wörter „wir“ oder „uns“ 29-mal. In ihrem Essay „Marxismus, Feminismus und die Commons“ sind 79 dieser Formen zu zählen. Festzuhalten ist, dass in jedem Essay die Formen verwendet werden, auch wenn dies in unterschiedlichen Ausmaßen erfolgt. Der Autorin gelingt es, sich mit den Leser*innen auf eine Ebene zu begeben und sorgt für ein Wir-Verständnis, indem sie aufzeigt, dass die Probleme uns alle betreffen. Federici verwendet zusätzlich immer wiederkehrend die ich-Form. Damit verstärkt sie ihren Standpunkt bezüglich bestimmter Themen und verleiht ihren Worten einen persönlichen Ausdruck. Teilweise verwendet sie persönliche Erfahrungen (vgl. ebd., S. 152).

Charakteristisch in ihrer Literatur ist der ständige Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Dabei führt die Autorin häufig Beispiele aus der Vergangenheit an, um anschließend auf die heutige Situation überzuleiten. Als Beispiel kann die Hexenjagd gewählt werden, die sie für die Situation der Frauen anführt (vgl. ebd., S. 41). Federici betont, dass es wichtig sei, alle Ansichten zu kennen, „um ihre Gesamtheit zu rekonstruieren und die Mechanismen aufzudecken, mit denen der Kapitalismus seine Macht aufrechterhält“ (ebd., S. 39). Um die heutige Situation zu verstehen, sei der Blick in die Vergangenheit und die Perspektiven der verschiedenen Unterdrückten relevant (vgl. ebd., S. 39). Zudem stützt sich Federici nicht nur auf ihre eigene Sichtweise, sondern auch auf Theorien und Werke anderer Wissenschaftler*innen. Beispielsweise gibt sie dabei den Forschungsstand zu Themen wie Commons an und bezieht sich in ihrem ersten Essay auf David Harvey und Maria Mies (vgl. ebd., S. 37). In dem zuvor angeführten Essay „Die Welt wieder verzaubern“ führt sie z.B. Max Weber (vgl. ebd., S. 273), Karl Marx (vgl. ebd., S. 275) und Otto Ullrich (vgl. ebd., S. 276) an.

Ein „must-read“ zum Thema Commons

Federici spricht mit den Commons ein zentrales Problem der heutigen Zeit an. Sowohl inhaltlich als auch sprachlich bietet die Schriftstellerin einen sehr interessanten Beitrag zum Thema Commons. Auch wenn keine exakte Definition des Begriffes angegeben wird, so gibt Federici eine ausführliche Darstellung des Begriffes und vermittelt den Leser*innen dessen tiefergehende Bedeutung. Der stetige Bezug zu Marx stellt eine spannende Auseinandersetzung dar, wodurch der philosophische Charakter des Werkes zusätzlich gestärkt wird. Durch den ständigen Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart erzeugt Federici einen Transfer, der die allgemeine Geschichte als kollektive Erinnerung und die tiefere Bedeutung der Commons verarbeitet. Ein weiteres stark diskutiertes Thema in diesem Werk ist die reproduktive Arbeit. Federici macht deutlich, dass die reproduktive Arbeit einen unverzichtbaren Platz für den Erhalt der Gesellschaft einnimmt. Durch die verschiedenen Essays ist das Werk „Die Welt wieder verzaubern“ denjenigen zu empfehlen, die sich speziell mit der Thematik Commons auseinandersetzen möchten. Die 14 Essays können zwar einzeln gelesen werden, ergeben jedoch erst durch die anderen Texte, einen kompakten Überblick. Federici spricht die Leser*innen direkt an und macht deutlich, dass die Probleme alle betreffen und auch alle betroffen sind, um eine „Wiederverzauberung“ der Welt zu schaffen. Die Autorin liefert keine konkrete Anweisung für die Umsetzung des Problems und der Schaffung neuer Commons, fordert jedoch alle auf, sich an der Lösung zu beteiligen.


[i] Neue Einhegungen: Federici bezeichnet damit strukturelle Entwicklungen, die darauf abzielen natürliche Ressourcen, wie z.B. Wasser, in Besitz zu nehmen (vgl. Federici 2020, S. 158).

Übersicht über wichtige Werke von Silvia Federici:

Caliban und die Hexe: Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation (2012)

(Original: Caliban and the Witch: Women, The Body, and Primitive Accumulation): In diesem Werk beschreibt Federici den geschichtlichen Werdegang des weiblichen Körpers im Hinblick auf den Kapitalismus und den kolonialisierten Körper. Dabei verweist sie auf zwei Prinzipien. Zum einen die „Entwicklung der Arbeitskraft“ und zum anderen die „Verfügung über das eigene Selbst“. Zentrales Thema ist zudem die gesellschaftliche Reproduktion sowie die Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert.

Aufstand aus der Küche (2012)

(Revolution at Point Zero: Housework, reproduction, and Feminist Struggle): Die Autorin kritisiertdie Reproduktionsarbeit im Kapitalismus auf globaler Ebene. Zudem spricht sie sich für eine feministische Politik der Commons aus.

Hexenjagd: Die Angst vor der Macht der Frauen (2019)

(Witches, Witch-Hunting, and Women): In diesem Werk bezieht sich Federici auf ihre bisherigen Ergebnisse aus Caliban und Hexe bezüglich der Hexenjagd. Dabei werden diese Aspekte auf die heutige Zeit hinsichtlich Gewalt gegen Frauen im Kontext kapitalistischer Einhegungen berücksichtigt.

Jenseits unserer Haut. Körper als umkämpfter Ort im Kapitalismus (2020)

(Beyond the Periphery of the Skin: Rethinking, Remaking, and Reclaiming the Body in Contemporary Capitalism): In diesem Werk rückt der menschliche Körper in den Vordergrund, wobei der Bezug zum politischen Handeln und dem Entgegenstellen von Einhegungen zentrale Themen sind.

Literaturverzeichnis:

Bundeszentrale für politische Bildung: Die Occupy-Bewegung (2012), Wolfgang Kraushaar, https://www.bpb.de/politik/wirtschaft/finanzmaerkte/135540/occupy-bewegung, Zugriff: 24.09.2020.

Bundeszentrale für politische Bildung: Unbezahlte Arbeit (2010), Gisela Notz, https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauen-in-deutschland/49411/unbezahlte-arbeit, Zugriff: 20.09.2020.

Deutschlandfunk Kultur, Wunsch-Weltzeit 2016, https://www.deutschlandfunkkultur.de/wunsch-weltzeit-protest-gegen-eine-oel-pipeline-in-north.979.de.html?dram:article_id=374574, Zugriff: 24.09.2020.

Federici, Silvia (2020): Die Welt wieder verzaubern. Feminismus, Marxismus & Commons, übersetzt von Leo Kühlberger, Berlin.

Tagesschau, Das bisschen Haushalt macht die Frau, https://www.tagesschau.de/inland/hausarbeit-frauen-101.html, Zugriff: 24.09.2020.

Bildquellen:

Von Marta Jara (eldiario.es) – eldiario.es – „Es un engaño que el trabajo asalariado sea la clave para liberar a las mujeres“, CC BY-SA 3.0 es, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=65711133

https://www.mandelbaum.at/buecher/silvia-federici/die-welt-wieder-verzaubern/

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