Margarete Stokowski

Margarete Stokowski

(Autorin: Ariane Josephine Langer)

Biographie:

Die feministische Publizistin Margarete Stokowski wurde am 14. April 1986 in Zabrze (Polen) geboren und zog 1988 mit ihrer Familie nach Berlin-Neukölln. Stokowski studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und schloss ihr Studium im Jahr 2014 mit einer Arbeit über Simone de Beauvoir ab (vgl. Blume 2016). Als freie Autorin schreibt Margarete Stokowski unter anderem für die taz und Die Zeit.

Margarete Stokowski (2018)

Seit 2015 erscheint wöchentlich ihre Kolumne „Oben und unten“ auf der Internetseite Spiegel Online. Margarete Stokowski schrieb neben ihrer Tätigkeit als freie Autorin bereits zwei Bücher. Sowohl für das Buch „Untenrum frei“ (erschien 2016) als auch für „Die letzten Tage des Patriarchats“ (erschien 2018) erhielt sie viel Resonanz. Im Jahr 2019 wurden die Texte von Stokowski mit dem Kurt-Tucholsky-Preis für „engagierte und sprachlich prägnante Werke der literarischen Publizistik“ ausgezeichnet (vgl. Krichel 2019). Darüber hinaus erhielt sie im gleichen Jahr den Luise-Büchner Preis für Publizistik, der AutorInnen verliehen wird, die in Artikeln oder Büchern die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der Gegenwart aufdecken und Wege zu einer geschlechtsgerechten Gesellschaft aufzeigen (vgl. Luise Büchner-Gesellschaft 2019). Ihr Debüt „Untenrum frei“ avanciert zu einem Standardwerk des modernen Feminismus (vgl. Stokowski 2018, S.1).

„Während wir glauben, wir – oder die Generationen vor uns – hätten die Fesseln des Patriarchats längst gesprengt, haben wir nur gelernt in ihnen shoppen zu gehen.”
Margarete Stokowski

Vorstellung des Werks Untenrum Frei

„Wir können untenrum nicht frei sein, wenn wir obenrum nicht frei sind. Und andersrum.“ (Stokowski 2016, S.7).

Das oben aufgeführte Zitat spiegelt die zentrale These des Buches Untenrum Frei von Margarete Stokowski wider. Das Buch erschien im Jahr 2016 im Rowohlt Verlag und ist mittlerweile zu einer Auflagenhöhe von 12 gestiegen. Stokowski eröffnet das Buch mit einem Beispiel der sexuellen Diskriminierung aus Hollywood und begründet anhand dessen den Entstehungszeitpunkt ihres ersten Buches, das sie auf das Empfinden von Verletzung, Wut und Belustigung zurückführt. Stokowski möchte in Untenrum Frei auf kleine, nicht gesagte Dinge eingehen und aus deren Blickwinkel die großen, scheinbar unantastbaren Machtfragen beleuchten. Den großen Machtfragen versucht sich die Autorin über den Begriff der Freiheit anzunähern, in dem sie auf den Zusammenhang der „kleinen“ und „großen“ Freiheit eingeht und darzubieten versucht, dass es sich dabei letztlich um dieselbe Freiheit handelt. Der Begriff der Freiheit wächst somit zum Kernbegriff ihres Buches Untenrum Frei heran. ‚Befreien‘ möchte Stokowski mit ihrem Buch jedoch nicht. Dies sei zum einen dem geschuldet, dass einige Leute sich nicht befreien lassen möchten und zum anderen dem, dass diejenigen die frei sein möchten, sich letztlich selbst befreien müssen (vgl. ebd., S. 8). Stokowski möchte mit Untenrum Frei eine Alternative bieten, in dem Sex, Macht und Autonomie thematisiert werden. Bezeichnend für das Werk ist, dass Margarete Stokowski die einzelnen Themenbereiche in einer zusammenhängenden Geschichte beleuchtet, d.h. das Buch besteht aus einer verbundenen, sieben Kapitel umfassenden Geschichte, die sich von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter erstreckt. In der Erzählung sind Situationen und Dinge eingeflochten, die entweder einem imaginären Ursprung entstammen oder auf persönlichen Erfahrungen basieren. Das erste Kapitel „Nicht als Prinzessin geboren“ behandelt dabei die Thematik des Schams, des Einschleichens von Mustern und die Einschränkungen, die eben dessen erlitten werden. Im folgenden Kapitel „Wachsen und Waxen“ geht Stokowski auf das von außen gegebene Bild der Frau, der Schönheit und der Arbeit am Körper ein. Das Kapitel drei „Wissen wäre Macht“ thematisiert Sexualität im kontroversen Blick auf Sichtbarkeit und Macht. Im vierten Kapitel „Untenrum und Überbau“ stellt Stokowski die Freiheit im Sexuellen der Freiheit im Politischen gegenüber und geht auf eine sexuelle Revolution ein. Im darauffolgenden fünften Kapitel „Weltherrschaft im Alltag“ geht die Autorin auf den Begriff der Herrschaft ein und bringt diesen mit Klassenfragen, Gleichberechtigung und einer feministischen Weltherrschaft in den Zusammenhang. Das sechste Kapitel „Eine Poesie des Fuck You“ bezieht sich gezielt auf den Feminismus und das Einstehen für die eigenen Überzeugungen. Im letzten Kapitel „Nur mit Liebe“ geht Stokowski direkt auf die Liebe ein und erläutert welche Rolle diese in den vorherig angesprochenen Themen einnehmen würde (ebd., S. 228).

Philosophische Kernelemente:

Während der Betrachtung der inhaltlichen Aspekte von Untenrum Frei (wie der Online Kolumnen und Die letzten Tage des Patriarchats) scheint schnell die Frage aufzukommen, inwiefern Margarethe Stokowski als politische Philosophin bezeichnet werden kann. Vom äußerlichen sei an dieser Stelle bereits festzuhalten, dass Stokowski in den einzelnen Essays eine sich ähnelnde Struktur verwendet. Unter der Zuhilfenahme konkreter Beispiele versucht die Autorin ihre Thesen und Argumente zu veranschaulichen und mit philosophischen Bezügen zu untermauern und zu spezifizieren. Margrete Stokowski verwendet einige Bezüge auf positive Weise, wie beispielsweise in dem Kapitel „Eine Poesie des Fuck You“ die Philosophin Hannah Arendt, die sie zur Untermauerung beziehungsweise Erklärung ihres eigenen politischen Handelns metaphorisch als „Faden in ein Gewebe schlagen, das man nicht selbst gemacht hat“, zitiert (vgl. ebd., S. 198). Auf der anderen Seite werden philosophische Bezüge jedoch auch auf negative Weise verwendet, wie beispielsweise im Kapitel „Weltherrschaft im Alltag“, in dem Stokowski den Philosophen Peter Sloterdijk hinsichtlich seiner Sichtweise der Frau als Handtaschenträgerin und Konsumentin und ihrer urgeschichtlichen Betrachtungsweise als Sammlerin, hin kritisiert (vgl. ebd., S. 182). Um dem philosophischen Kern in den Texten von Margarethe Stokowski neben den feministischen Inhalten gerecht werden zu können, wird im Folgenden auf die zentralsten politisch-philosophischen Begriffe eingegangen.

Freiheit

Zu einem der zentralsten Themen und Begriffen gehört in den Essays von Margarethe Stokowski der Begriff der Freiheit. Dieser taucht nicht nur in den Büchern, sondern auch in den Kolumnen immer wieder auf und wird aus unterschiedlichen Perspektiven heraus betrachtet. Jedem dieser Blickwinkel liegt jedoch zugrunde, dass sich Stokowski nah an dem Freiheitsbegriff der französischen Philosophin Simone de Beauvoir hält. De Beauvoir geht davon aus, dass man nicht als Frau geboren wird, sondern zur Frau wird (vgl. ebd., S. 23). Dies suggeriert ein aktives Mitwirken der Frau. De Beauvoir sieht die Freiheit der Frau dabei nicht nur als Befreiung vom Unterdrücker, sondern als Trennung von der eigenen Passivität und Fügsamkeit an (vgl. ebd.). In ihren Essays geht Stokowski der Idee des Freiheitsbegriffs von de Beauvoir auf den Grund und versucht aus feministischen Blickwinkel Momente der (eventuell unbewussten) eigenen Passivität und Fügsamkeit aufzudecken, um den Moment des bewussten Wählens sichtbar zu machen und zu einem eigenem freiheitlichen Handeln zu befähigen.
Stokowski geht von einem einheitlichen Begriff der Freiheit aus, sodass nicht zwischen der Freiheit im Kleinen und der Freiheit im Großen unterschieden werden kann. Beide Teilbereiche der Freiheit würden dabei im Zusammenhang miteinander stehen und sich gegenseitig beeinflussen (vgl. ebd., S. 7 und 104f.). Des Weiteren bringt Stokowski den Freiheitsbegriff mit Objektivität und Subjektivität in Verbindung. Bezüglich der weiblichen Schönheit führt sie hierzu das Beispiel an, dass das „schön gefunden werden wollen“ aus ihrer Sicht nichts Verwerfliches habe, an der Stelle jedoch darauf geachtet werden muss, wie viel Freiheit in diesem Wunsch stecken würde und wie viel Raum für Veränderungen gegeben sei (vgl. ebd., S. 103). Da Schönheitsideale auch gleichzeitig Grenzen aufzeigen, bieten sie einen Rahmen, der gleichzeigt die Freiheit und Subjektivität eines Individuums einengen kann. Die innerhalb des Rahmens liegende Objektivität wird dann problematisch, wenn sie als einziger zur Anerkennung führender Weg gesehen wird, da dieser wiederum Subjektivität und Freiheit behindern kann. Der Freiheitsbegriff von Stokowski ist darüber hinaus nicht einfach abgrenzbar und befindet sich in einer fließenden Verbindung mit den Begriffen der Macht und Herrschaft. Die vollkommene Freiheit sei sowohl für Frauen als auch Männer (lange) nicht erreicht, doch werde ihnen ihr Platz in der Gesellschaft nicht mehr durch Anherrschen zugewiesen. Des Weiteren baut Stokowski ihren Freiheitsbegriff von den Minderheit aus auf und verweist auf einen trügerischen Moment (vgl. ebd., S. 162). Trügerisch auf die Weise, dass es zu illusorischen Schlussfolgerungen kommen kann, in dem nur im persönlichen und subjektiven Rahmen auf Freiheit geschaut wird und dadurch der Zufallsmoment von Freiheit seine Bedeutung verliert. Stokowski sieht folglich die Freiheit in Verbindung mit Glück und Zufall, sodass ihr ein Moment der Willkürlichkeit innewohnt. Des Weiteren ist die Freiheit bzw. das Einstehen für die Freiheit haltungsabhängig, d.h. dass in schwachen Momenten manchmal auf ein „eigentlich“ verwiesen wird und die Handlungsmöglichkeiten also die Freiheit in den Hintergrund rückt (vgl. ebd., S. 189). Der Freiheitsbegriff von Stokowski ist darüber hinaus unvermittelt mit Eigen- und Fremdbestimmung verbunden, sodass der Objektivierungsgedanke sehr prägnant ist (vgl. ebd., S. 191). In diesem Zusammenhang ist auch nochmals darauf hinzuweisen, dass für Stokowski im Begriff der Freiheit persönliches Handeln und der Wille zur Freiheit unerlässlich sind, um befreit zu sein (vgl. ebd., S. 8). Freiheit ist damit nichts, was auf simple Weise gegeben werden kann, sondern beinhaltet immer einen eigenen, persönlichen Impuls.

Macht

Ein weiterer sehr zentraler Begriff Stokowskis ist die Macht. Ihre eigene Auffassung des Begriffes der Macht stützt Stokowski aus einem Zusammenspiel der Sichtweisen der Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Theodor Adorno und Michel Foucault. Zu einem der Kernelemente des Feminismus zählen für Margarete Stokowski Macht und Autonomie (vgl. ebd., S.9). Der Auffassung einiger Philosophen wie Hegel und Foucault nach, agiere das Geschlecht als Symbol der Macht. Das Geschlecht diene damit als Ursprung von Machtverhältnissen. Hegel führte diesen Gedanken weiter, verglich den Geist und dessen Vervollkommnung mit dem männlichen Geschlechtsteil und kam letztlich zu dem Entschluss, dass das männliche Geschlecht die Vollendung darstelle (vgl. ebd., 20). An anderer Stelle habe Hegel erklärt, dass der Unterschied zwischen Mann und Frau dem des Tieres und der Pflanze gleiche (vgl. ebd.). Stokowski distanziert sich entschieden von derartigen Auffassungen, sieht im Geschlecht keine Begründbarkeit von Macht und konstatiert deutliche Ähnlichkeiten zwischen dem Begriff der Macht und dem der Freiheit. Ähnlich wie die Freiheit sei Macht etwas, dass im Kleinen wie auch im Großen wirken könne (vgl. ebd., S. 22). Folglich bekommt Macht einen zentrierten wie auch übergeordneten Wirkungskreis. So kann sie beispielweise darüber entscheiden, welcher Job ausgeübt wird oder auch was die jeweilige Person zum Mittag isst (vgl. ebd.). Ferner spricht sich Stokowski für eine Erweiterung des Machtbegriffes aus. So solle sich Macht für Banalitäten öffnen und ein Verständnis dafür entwickelt werden, an welcher Stelle bestimmten Personen nur explizite Möglichkeiten offenstehen (vgl. ebd.). Von der Macht gehe dabei ein unmittelbares Band zur Unterdrückung über. An diesem Punkt ihrer Definition orientiert sich Stokowski an der Auffassung von de Beauvoir. In diesem Zusammenhang kann Macht einen Anschein von Ambivalenz als Befreiung vom Unterdrücker und der Befreiung aus der eigenen Fügsamkeit innehaben (vgl. ebd., S. 23).
Darüber hinaus kann Macht im Verborgenen walten (vgl. ebd., S. 104): Legt man beispielsweise den Blick explizit auf die Schönheitsindustrie, so fällt auf, dass sich viele Menschen als Handelnde wahrnehmen. Sie erleben sich als frei, wenn sie aus einer Reihe von Produktsortimenten ihre persönliche, individuelle Wahl treffen. Dabei vergessen sie, dass die Sichtweise, dass ein Körper nicht richtig ist und mit Cremes oder Make-Up verbessert werden könnte, nicht natürlich oder selbstverständlich ist. Die Macht übt in diesem Beispiel hinter einer Maske der Selbstbestimmung Druck aus und beeinflusst den Handelnden. Stokowsi arbeitet die Absurdität einer Situation heraus, in der junge (weiße) Frauen in Werbung und Medien zwar omnipräsent sind, ihre Meinungen und Ansichten aber gleichzeitig kaum Gehör finden. Ihre extreme Sichtbarkeit bedeutet hier gerade keinen Machtzugewinn, sondern, im Gegenteil, legt junge Frauen nur umso stärker auf bestimmte, sozial erwünschte Rollenbilder fest. „Wer angeschaut wird, darf nicht automatisch sprechen.“ (ebd., 105)
An dieser Stelle ergibt sich eine Schnittstelle mit der Herrschaftsidee von Theodor Adorno. Adorno geht davon aus, dass die Herrschaft in die Menschen einwandere (vgl. ebd., S. 160). Stokowski führt diesen Gedanken weiter aus und kommt zu dem Ergebnis, dass Herrschaft nicht allein dasjenige sei, was auf den ersten Blick und damit oberflächlich erkennbar sei. Macht wirke sich innerlich im Denken und Handeln aus. Äußerlich mache sie sich beispielsweise in der Politik, den Medien, der Bildung und der Erziehung bemerkbar (vgl. ebd.). Um Machtgefällen entgegenwirken zu können, müsse sichtbar gemacht werden, nach welchen Kriterien sich Reichtum, Gesundheit, Erfolg, Lebensdauer, Gewalt und Leid verteilen, wenn gewollt wird, dass alle Menschen dieselben Chancen auf ein glückliches Leben haben sollen (vgl. ebd., S. 161). Das Aufdecken der Kriterien ist unausweichlich, um sie auf Dauer abschaffen zu können.

Recht

Der dritte zentrale Begriff in den Schriften von Margarete Stokowski ist das Recht mit dem die Begriffe Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Gleichheit einhergehen. Stokowski definiert die Begriffe, die thematisch mit dem Recht in Verbindung stehen aus ihrem Gegenteil heraus -formuliert sie aber aus philosophischer Sicht nicht vollständig aus. Hierbei stellt sie fest, dass Ungleichheiten, ähnlich wie es bei der Betrachtung von Macht der Fall ist, oftmals von der Natur aus begründet werden (vgl. ebd., S. 181). Die Natur diene als handfestes Argument zur Begründung von Ungleichheiten. Dabei würde entweder auf Vergleiche mit Tieren oder auf direkte Unterschiede im Gehirn verwiesen werden (vgl. ebd.). Der Verweis auf die Natur ähnelt dabei gleichzeitig den Begründungen von (Un-)Freiheiten und Machtgefällen. Die Natur wird verwendet, um bestehende Unterschiede zu begründen und andere Lebensmodelle abzuwehren. Für Stokowski liegt der Betrachtung des Rechts, wie auch dem der Freiheit und Macht, immer ein Moment des Hinterfragens zugrunde. An dieser Stelle zieht die Autorin den griechischen Philosophen Sokrates heran, dessen Ruhm laut Stokowski darauf basiere, dass er die richtigen Fragen gestellt und sein Nichtwissen zugegeben habe (vgl. ebd., S. 183). Des Weiteren lehnt Margarete Stokowski eine partikulär Gleichberechtigung ab und spricht sich für eine umfassende und uneingeschränkte Gleichheit aus, fernab naturbezogener Erklärungsversuche (vgl. ebd., S. 181).

Wut

Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Begriff besonders hinsichtlich des politisch-philosophischen Hintergrundes von Margarete Stokowski ist der Begriff der Wut. Stokowski sieht Wut als treibende Kraft im politischen Mitspracherecht an. So seien Wut und Gelassenheit Fähigkeiten, die bei Mädchen/ Frauen nicht unbedingt geschätzt werden würden. Wut nicht, weil Aggressionen als männlich gelten würden und Gelassenheit nicht, weil sie es ermöglichen würde Konflikte auszuhalten, während Weiblichkeit eher damit verbunden werden würde, Konflikte zu lösen und Harmonie herzustellen (vgl. ebd., S. 41). Wut werde in diesem Zusammenhang oft mit Hass verwechselt, da die Gesellschaft sich wundern würde, dass Frauen keine Harmonie und Liebe versprühen, sondern Forderungen haben. Hass würde dabei destruktiv der Zerstörung zuarbeiten. Wut hingegen würde produktiv der Veränderung beitragen (vgl. ebd., S. 201). Für Stokowski ist Wut damit ein zentraler Faktor der Veränderung und kann als eines der größten Zahnräder innerhalb einer Revolutionsmaschinerie bezeichnet werden. Wut erlangt damit den Charakter eines Verbindungsgliedes zwischen Freiheit, Macht und Recht, dass immerwährendes Hinterfragen und Einstehen in den Vordergrund stellt.
Es lässt sich sehen, dass die philosophischen Ideen von Margarete Stokowski sehr eng miteinander verbunden sind. Es fällt schwer sie vollständig voneinander zu differenzieren, weil sie teilweise mehrere Schnittstellen haben, ineinander übergleiten und in einem Gesamtkonstrukt münden.

Philosophischer Gehalt und Resonanz:

In Untenrum Frei wirft Margarete Stokowski einen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Gegebenheit im 21. Jahrhundert. Aus Sicht einer jungen erwachsenen Frau, fesselt sie die LeserInnen nicht nur durch ihre simple aber besondere Ausdrucksform, die sich für jedermann zugänglich zeigt, sondern auch durch einen breiten und offenen Blick für Ungerechtigkeiten. Stokowski schafft es dem Lesepublikum die kleinsten Unfreiheiten aufzuzeigen und aus diesen ein Konstrukt zu erbauen, dass die großen Einschränkungen der Freiheit sichtbar macht und in Teilen erklärt. Stokowski schreibt nah am Leserpublikum und untermauert die Thesen mit Beispielen aus dem Alltag, die eine erweiterte Zugänglichkeit erzeugen. Durch das Hinzuziehen philosophischer Standpunkte gelingt es Stokowski dem Publikum die Philosophie aus feministischer Sicht zu eröffnen und umgekehrt. Durch die philosophischen Akzente (der Ethik wie auch der Logik) erlangen die Essays und einzelnen Thesen der Autorin an überaus großer Tiefe. Darüber hinaus fallen die Essays besonders durch ihre Vielschichtigkeit auf. Stokowski schreibt aus feministischer Sicht nicht für eine bestimmt Personengruppe, sondern versucht alle Menschen mit einzubeziehen. Während der Betrachtung der Frau vergisst Stokowski nicht den Vergleich zu den Männern aufzumachen und zieht auch für diese Defizite aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Frau und des Mannes.
Für Untenrum Frei wurde Margarete Stokowski sehr viel Resonanz zuteil, die sich von kritischen Betrachtungen wie Lobpreisungen erstreckten. Barbara Vorsamer schrieb in der ‚Sueddeutschen‘, dass Untenrum Frei als autobiografisches Sachbuch angesehen werden sollte, dass in den Passagen, in denen Stokowski mit eigenem Erleben argumentiert am stärksten sei, sich jedoch die Passagen, in denen Philosophen zitiert werden, zu den schwächeren zu zählen sind und sich die Texte von Stokowski an diesen Stellen wie Seminararbeiten lesen lassen würden (Vorsamer 2016). Demgegenüber bezeichnete Miriam Zeh Stokowskis Buch im ‚Deutschlandfunk‘ als Coming-of-Age-Essay, darüber wie es sich anfühlt als Mädchen geboren zu sein. Zeh sieht in der Heranziehung philosophischer Bezüge im Gegensatz zu Vorsamer eine besondere Stärke des Buches. Margarete Stokowski habe es geschafft die spezifische Bedeutung von den im Studium erlernten PhilosophInnen auf ihr Leben anzuwenden und in Untenrum Frei mit ebendiesen Erfahrungen und Argumente zu untermauern (Zeh 2016). Anja Kümmel betitelt Untenrum Frei in ‚Zeitonline‘ als Sachbuch, das unter queerfeministischen Ansätzen, bisweilen verstörende Lektüre sei (Kümmel 2016).


Allein die Betrachtung drei unterschiedlicher Rezensionen, zeigt wie vieldiskutiert Untenrum Frei ist. Die von Stokowski ausgewählte Herangehensweise besonders im Hinblick auf die philosophischen Elemente wird auf unterschiedliche Weise ausgelegt und teilweise positiv wie auch negativ bewertet. Auf die Kernbedeutung der verwendeten Begriffe wird bisweilen nicht eingegangen und somit auch keine Verknüpfung zu den jeweiligen philosophischen Bezügen hergestellt. Lesenswert ist Untenrum Frei allemal. Nicht nur Mädchen und junge Frauen können etwas aus den Texten ziehen, sondern auch (junge) Männer, in dem ihnen offen gelegt wird, an welchen Stellen kleinste Ungleichheiten auftreten und in welchen Ausmaß sich bereits Handlungsweisen eingeschlichen haben, die eine Gleichberechtigung verhindern. Aus philosophischer Perspektive kann Untenrum Frei eine Herausforderung sein, da es nicht sonderlich leicht ist, die politisch-philosophischen Begriffe greifbar zu machen. Untenrum Frei besticht durch einen sich durchziehenden philosophischen Charakter, der dadurch nicht nur Kompetenz ausstrahlt, sondern auch vertrauenswürdig erscheint. Stokowski gelingt es auf diese Weise philosophische Ideen auf den Lebensalltag anzuwenden, greifbar zu machen und sich dabei nicht in ausschweifenden Erklärungen zu verlieren, sodass die philosophischen Inhalte präzise auf die Aufklärung gesellschaftlicher Missstände und ihrer Herkunft angewendet werden. Margarete Stokowskis Position und ihr Wille zur Veränderung bleibt ungebrochen:

„Wir werden weiterhin Fragen stellen, und wir werden uns dabei von der Vorstellung befreien müssen, dass Fragen zu stellen ein Zeichen von Schwäche ist. […] Man könnte sagen, wir hören auf, über Herzensfragen, Sex und Gleichheit zu reden, bis wieder Ruhe ist. Aber die Ruhe wird nie kommen. […] Ich habe in den dreißig Jahren, in denen ich lebe, schon an vieles geglaubt, an die Liebe und die Hoffnung. Ich habe an die Einsamkeit und Gemeinsamkeit geglaubt, an Schnaps und Musik und die Freiheit, und dann wieder auf die Fresse bekommen. Ich habe an die Ruhe und den Sturm geglaubt, und ich weiß nicht, was noch kommt und woran ich in meinem Leben noch glauben werde, aber ganz sicher niemals an Schweigen“ (Stokowski 2016, S. 93 und S. 228-230).

Übersicht über wichtige Werke von Margarete Stokowski:

Im Alter von 34 Jahren hat Margarete Stokowski bereits zwei Bücher und etliche Kolumnen geschrieben. Den Büchern und Kolumnen liegt dabei allen das Oberthema Feminismus zu Grunde, von dessen Ausgangspunkt Stokowski einzelne Themenbereiche näher beleuchtet. Im Jahr 2016 erschien ihr erstes Buch Untenrum frei. Das Werk sticht nicht nur durch detaillierte Sichtweisen und evidenter Kritik besonders hervor, sondern macht auch durch eine interessante Erzählstrategie auf sich aufmerksam. Im Jahr 2018 erschien Stokowskis zweites Buch Die letzten Tage des Patriarchats, dessen Inhalt sich aus ausgewählten und überarbeiteten Kolumnen und Essays aus den Jahren 2011 bis 2018 zusammensetzt. Die Texte wurden dabei von Stokowski überarbeitet und kommentiert, sodass aus über 200 Kolumnen (ein Drittel bei der ‚taz‘, der Rest bei ‚Spiegel Online‘) und Essays eine Auswahl von 75 Texten getroffen wurde, die diverse Themen, vor allem aber feministische Themengebiete abdecken. Die Themengebiete konzentrieren sich dabei im Wechselverhältnis mit dem Feminismus zumeist auf Freiheit, Macht, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Die Hauptthese Stokowskis in Die letzten Tage des Patriarchats lässt sich aufgrund des außergewöhnlichen Aufbaus und der unterschiedlichen Schwerpunkte nicht ohne weiteres auf einen Punkt bringen; aber das Buch kreist vor allem um die Überlegung, dass auch wenn es um die Lebenssituationen und Machtoptionen von Frauen heute besser steht als etwa zu Zeiten, als die bloße Forderung nach gleichen Rechten mit der Todesstrafe bestrafte wurde, heute längst nicht alles gut sei (vgl. Stokowski 2018, S. 10). Es gäbe Situationen, in denen es nicht darum gehe, die Welt für die Männer gemütlicher zu machen, sondern darum, offensichtliche Lücken zu schließen und Verpflichtungen der Istanbul-Konvention von 2011 nachzukommen (vgl. ebd., S. 209f.). In den einzelnen Essays wählt Stokowski unterschiedliche Argumentationsmuster, die mit Bezügen auf PhilosophInnen, wie beispielsweise Adorno, Hegel oder Simone de Beauvoir bestärkt, untermauert und spezifiziert werden. In der wöchentlich erscheinenden Kolumne Oben und Unten behandelt Stokowski fortlaufend feministische Themen aus einem philosophischen Blickwinkel.

Literaturliste:

Stokowski, Margarete: Untenrum Frei, Hamburg 2016.

Stokowski, Margarete: Die letzten Tage des Patriarchats, Hamburg 2018.

Internetquellen:


Blume, Dorlis: Biografie Simone de Beauvoir, in: LeMO-Biografien, Lebendiges Museum Online.de, https://www.hdg.de/lemo/biografie/simone-de-beauvoir.html, Zugriff: 17.07.2020.

Institut für Menschenrechte: Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, in: Institut-fuer-menschenrechte.de, www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/frauenrechte/istanbul-konvention, Zugriff: 15.07.2020.

Krichel, Peter: Kurt Tucholsky Preis 2019 an Margarete Stokowski, in: tucholsky-gesellschaft.de, https://tucholsky-gesellschaft.de/2019/09/14/kurt-tucholsky-preis-2019-an-margarete-stokowski, Zugriff: 25.07.2020.

Kümmel, Anja: Eine Poesie des ‚Fuck You‘, in: zeitonline.de, https://www.zeit.de/kultur/literatur/2016-09/margarete-stokowski-untenrum-frei, Zugriff: 29.07.2020.

Luise Büchner-Gesellschaft: Luise Büchner Preis für Publizistik, in: luise-buechner-gesellschaft.de, http://www.luise-buechner-gesellschaft.de/category/luisebuechnerpreis, Zugriff: 26.07.2020.

Vorsamer, Barbara: Untenrum Frei von Margarete Stokowski. Ding Dong hier geht’s ums Vögeln, in: sueddeutsche.de, https://www.sueddeutsche.de/leben/untenrum-frei-von-margarete-stokowski-ding-dong-hier-geht-s-ums-voegeln, Zugriff: 28.07.202.

Zeh, Miriam: Der lange Weg zum ‚Ey, lass das‘, in: deutschlandfunk.de, https://www.deutschlandfunk.de/margarete-stokowski-untenrum-frei-der-lange-weg-zum-ey-lass, Zugriff: 28.07.2020.

Bildquellen:

Von Harald Krichel – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=73584111

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