Lisa Herzog

Lisa Herzog

(Autorin: Miriam Reckow)

Biographie:

Lisa Herzog wurde 1983 in Nürnberg geboren und hat Philosophie, Volkswirtschaftslehre, Politologie und neuere Geschichte in München und Oxford studiert. 2007 erhielt sie ihr Diplom in Volkswirtschaftslehre und im folgenden Jahr den Abschluss Master of Studies in Philosophie. Bis 2011 arbeitete sie in Oxford an ihrer Promotion „Inventing the Market. Smith, Hegel, and Political Theory“ und wurde anschließend wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Wirtschaftsethik an der TU München. Außerdem arbeitete sie auch an den Universitäten St. Gallen, KU Leuven, Frankfurt und Stanfort. Die Professur für Politische Philosophie und Theorie an der TU München erhielt sie im Sommer 2016. Seit Oktober 2019 hat sie die Professur für Philosophie im niederländischen Groningen inne.

Lisa Herzog (2014)

Im vorherigen Monat wurde bekannt, dass sie den deutschen Preis für Philosophie und Sozialethik 2019 erhalten hat. Die Auszeichnung hat sie für ihre beiden Werke „Freiheit gehört nicht nur den Reichen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus” und “Die Rettung der Arbeit. Ein politischer Aufruf” bekommen, in denen sie sich mit der Marktentwicklung und den damit verbundenen Folgen für die Gesellschaft auseinandersetzt

„Die Angst vor der Zukunft der Arbeitswelt – davor, nur noch Anhängsel eines Computers oder Sklave einer App zu sein oder gar komplett aussortiert zu werden – treibt derzeit viele Menschen um. […] Was fehlt ist eine Einigung auf grundlegende Werte und die Entwicklung einer Vorstellung davon, wohin es im Interesse des Gemeinwohls mit […] der Arbeitswelt gehen könnte. […] [Es geht] um nicht weniger als um die Grundfragen der politischen Philosophie: Wie wird menschliches Zusammenleben organisiert, was macht eine gute und gerechte Gesellschaft aus, und wie können wir unsere Institutionen und sozialen Praktiken entsprechend gestalten?“
Lisa Herzog

Vorstellung des Werks Die Rettung der Arbeit

Spätestens seit Beginn der Digitalisierung stehen den Unternehmen und ihren Angestellten immer neue und vielfältigere technische Möglichkeiten zur Verfügung. Innovationen werden immer schneller entwickelt und bieten Unternehmen eine stetig größere Auswahl an Möglichkeiten. Während die Technologie sich in einem immer stärkeren Wandel befindet, verharrt der Arbeitsmarkt noch immer in den uralten Strukturen, die es spätestens seit Beginn der Industrialisierung gibt.

Die Rettung der Arbeit

Bereits in der Vergangenheit wurden immer wieder Forderungen nach Veränderungen der Arbeitswelt gestellt, weil die veralteten Strukturen den Bedürfnissen der Arbeitenden nicht mehr gerecht geworden sind. Das zeigt sich auch in der gegenwärtigen Corona-Pandemie. Die Schwächen des Arbeitsmarktes sind aktuell so deutlich zu sehen wie noch nie zuvor. Gleichzeitig nimmt die Nutzung von neuen technischen Möglichkeiten seit Beginn der Pandemie rasant zu, sodass jetzt die Sorge, Roboter würden Menschen ihre Arbeit wegnehmen mit deutlich mehr Nachdruck geäußert wird als je zuvor.

Obwohl Herzogs Buch vor Beginn der Corona-Krise veröffentlich wurde, sind ihre Aussagen nicht weniger aktuell. Sie widmet sich in ihrem Buch genau den Problemen, die der Arbeitsmarkt bereits seit langem hat und zeigt die Chancen und die damit verbundenen notwendigen Änderungen in der Betrachtung der Arbeit auf:

„Die Angst vor der Zukunft der Arbeitswelt – davor, nur noch Anhängsel eines Computers oder Sklave einer App zu sein oder gar komplett aussortiert zu werden – treibt derzeit viele Menschen um. […] Was fehlt ist eine Einigung auf grundlegende Werte und die Entwicklung einer Vorstellung davon, wohin es im Interesse des Gemeinwohls mit […] der Arbeitswelt gehen könnte. […] [Es geht] um nicht weniger als um die Grundfragen der politischen Philosophie: Wie wird menschliches Zusammenleben organisiert, was macht eine gute und gerechte Gesellschaft aus, und wie können wir unsere Institutionen und sozialen Praktiken entsprechend gestalten?“

Hieran wird deutlich, weshalb das Werk besonders lesenswert ist. Die volkswirtschaftliche Betrachtung der Arbeit als ein Markt, auf dem mit Humankapital gehandelt wird, funktioniert längst nicht mehr. Das Verständnis des Menschen als homo oeconomicus, der nur zur Generierung von Einkommen, das später für Konsum ausgegeben werden kann, arbeiten geht, muss aufgegeben werden. Die Ökonomie muss die Arbeit als wichtigen sozialen Faktor begreifen und den Arbeitsmarkt entsprechend behandeln. Das bedeutet, dass der Markt sich nicht mehr nur selbst regulieren kann, sondern dass die Politik die Rahmenbedingungen schaffen muss, damit die Arbeit trotz der neuen technischen Möglichkeiten weiterhin die soziale Integration gewährleistet.

Dazu müssen wir uns fragen, wie Technologien sinnvoll eingesetzt werden können, damit die Menschen nicht ständig fürchten müssen, ihre Arbeit an einen Roboter oder ein Programm zu verlieren. Das bedeutet der von Adam Smith geprägte Begriff der unsichtbaren Hand des Marktes muss endlich aufgegeben werden und der Mensch als soziales Wesen rückt in der Betrachtung des zukünftigen Arbeitsmarktes in den Fokus.

Die Zukunft der Arbeit

Bereits zu Beginn ihres Buches stellt Herzog die These vor, dass die Arbeit eine wichtige Rolle für die Gesellschaft spielt und deshalb die Veränderungen, die durch neue Technologien und neue digitale Möglichkeiten verursacht werden, nicht unbeeinflusst passieren dürfen. Sie plädiert dafür, dass Arbeit nicht nur ein Mittel zum Geldverdienen ist, sondern dass Arbeiten grundlegende menschliche Bedürfnisse befriedigt.

Einerseits biete die Arbeit den Individuen die Möglichkeit sich produktiv zu betätigen. Sie können im Arbeiten den Drang ausüben etwas zu erschaffen oder zu gestalten. Andererseits – und das ist der viel wichtigere Aspekt – schafft das Arbeitsleben soziale Strukturen, in denen die Menschen sich bewegen können. Üblicherweise arbeiten Menschen nicht allein, sondern gemeinsam mit Kollegen*, die sie ohne ihren Job wahrscheinlich niemals getroffen hätten. Sicherlich gibt es Mitarbeitende, die einem Individuum unsympathisch sind, aber es gibt eben auch jene Kollegen, die privat Kontakt pflegen.

Darüber hinaus dürfe nicht vergessen werden, dass seit dem 19. Jahrhundert maßgebliche Fortschritte durch die Arbeit oder durch Kollektive, die Missstände verbessern wollten, entstanden sind. Dinge wie beispielsweise Arbeitsschutzbestimmungen und Kündigungsregelungen, welche heute jedem Arbeitnehmenden selbstverständlich scheinen, sind in politischen Kämpfen von Gewerkschaften oder anderen Arbeitervereinen erstritten worden.

Genau das vernachlässigten die ökonomischen Modelle konsequent. In der Volkswirtschaft würde die Arbeit lediglich als Mittel zum Erwerb von Geld gesehen, das wiederum nur dazu diene zu konsumieren. Doch neuere Studien würden belegen, dass die Wahl des Jobs in der heutigen Gesellschaft viel komplexer ist, weil Menschen, die durchaus besser bezahlte Berufe ausüben könnten, in weniger gut angesehenen und schlechter bezahlten Berufen zufrieden seien, wenn sie das Gefühl hätten, dabei eine wichtige Aufgabe für die Gesellschaft zu erfüllen. Dabei sei eine geringe Bezahlung für solche Individuen nicht abschreckend. Sie hätten die fehlenden Partizipationsmöglichkeiten oder konkrete Arbeitsbedingungen problematisiert, die verbessert werden könnten.

Für Herzog liegt die Lösung der bestehenden Konflikte in der Arbeitswelt weder im Abschaffen der Arbeit, was viele aufgrund der rasanten Entwicklung neuer Technologien befürchten und deshalb Forderungen stellen wie die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens, noch in der Befreiung der Arbeit von allen Zwängen und Ungerechtigkeiten. Diese Debatte sei nicht unbekannt. Sie würde bereits seit der industriellen Revolution immer wieder geführt, doch bisher habe sich lediglich gezeigt, dass durch neue Technik Arbeitsplätze durchaus wegfallen, aber im Gegenzug wiederum neue Arbeitsplätze geschaffen würden. Für Herzog liegt der Schlüssel für die Entwicklung der Arbeit deshalb in der Nutzung der neuen Technologien, um insgesamt mehr Mitbestimmung und Demokratie in der Arbeit zu erreichen.

Dazu beschäftigt sie sich zunächst mit dem modernen Mythos des Entrepreneurs und hinterfragt, ob es überhaupt möglich ist, dass eine einzige Person bahnbrechende Dinge erfinden kann. Dementgegen stellt sie die Whistleblower als die wahren Helden der Arbeit dar.

Der soziale Charakter geteilter Arbeit

Unternehmer wie beispielsweise Mark Zuckerberg oder Jeff Bezos werden von der Ökonomie als Helden gefeiert. Das erkläre sich aus der volkswirtschaftlichen Perspektive, dass die Wirtschaft in einem mittelmäßigen Normalzustand abläuft und durch die Erfindungen von genialen Individuen, die nicht selten einige Hindernisse überwinden müssen, gestört werde. Deshalb bewunderten die Ökonomen reiche und schillernde Unternehmer, die die Wirtschaft durch ihre kreativen Zerstörungen voranbringen.

Die Fähigkeit der kreativen Zerstörung sei allerdings keine neue Idee: Sie gehe bereits auf Karl Marx zurück, sei als Begriff jedoch vom Wirtschaftswissenschaftler Joseph Schumpeter geprägt worden. Entrepreneure seien nicht zwingend die wissenschaftlichen Talente hinter den großen Erfindungen, sondern sie hätten die Fähigkeit Innovationen auf dem Markt zu etablieren. Diese von Schumpeter als charismatisch beschriebenen Persönlichkeiten, hätten die Entdeckung nicht allein gemacht. Typischerweise würden viele Individuen an einer Sache forschen und aufgrund des kumulierten Wissens, das sie dabei erwerben würden, gelinge irgendwann der Durchbruch. Dabei brauche es nicht zwingend ein Entrepreneur, wie das Beispiel des Internets zeige. Kaum einer wisse, dass Tim Berners-Lee diese bahnbrechende Entdeckung gemacht habe, weil er gemeinsam mit einem Team gearbeitet habe. Üblicherweise entstünden Innovationen wie das Internet durch ein Kollektiv und nicht von isoliert arbeitenden Einzelpersonen. Die Geschichte berücksichtige das oft nicht, doch bei genauer Betrachtung ließe sich die gemeinsame Leistung vieler Individuen erkennen.

Folglich würden große Erfindungen zwingend erfolgen, selbst wenn sich Genies wie Mark Zuckerberg oder Jeff Bezos etwas anderem zugewandt hätten, weil der Mensch und dessen Arbeit sozial organisiert seien. Darüber hinaus sei die arbeitsteilige Organisation der Unternehmen notwendig, denn sie ermögliche den modernen Komfort. Arbeitsteilung sei nicht nur effizienter, sondern sie sei auch ein wichtiger Faktor für wirtschaftliches Wachstum. Für die moderne Gesellschaft bedeute das eine immer größer werdende Spezialisierung der Individuen, da ein Menschenleben nicht ausreiche, um in allen Bereichen eine eigene Expertise zu entwickeln.

Daraus resultiere, dass die zwei bekanntesten Sichtweisen auf Arbeit sich als Irrtümer herausstellten. Die durch Knappheit begründete ökonomische Sichtweise, nach der möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit erwirtschaftet würde, gelange schnell an ihre Grenzen, denn die Entscheidung für oder gegen einen Job bestehe nicht ausschließlich aus der Frage wie hoch der Lohn ist. Die zweite Sichtweise unterstelle den Individuen, dass sie sich in ihrer Arbeit selbst verwirklichen könnten. Das träfe heute nicht mehr zu, weil Individuen sich einerseits stetig weiterentwickeln würden und andererseits Arbeit auch als nicht sinnstiftend empfunden werden könne, was Krankheiten wie Burn- oder Boreout verdeutlichen würden.

Diese beiden Irrtümer unterschlügen einen wichtigen Aspekt, nämlich den sozialen Charakter der Arbeit. Sie ermögliche neue soziale Kontexte oder könne soziale Anerkennung als Anreiz bieten. Neue Technologien böten hierbei neue Möglichkeiten und Probleme. Einerseits liege in neuen Technologien ein großes Potenzial, Arbeit zu erleichtern oder effizienter zu gestalten. Andererseits bestehe das Risiko, dass die Arbeitnehmer, aufgrund fehlender staatlicher Regelungen, durch neue Aufgaben und Programme beispielsweise vereinsamten oder als Arbeitskraft permanent abrufbar seien.

Die durch den sozialen Charakter mögliche Arbeitsteilung und die damit verbundene Spezialisierung der Individuen bedeute, dass eine Kontrolle schwer möglich sei, weil externe Experten Missstände in einer Firma möglicherweise nicht erkennen könnten, da ihnen das unternehmensspezifische Wissen fehle. Ergo gebe es das Risiko, das Unternehmen unmoralisch, illegal und kontraproduktiv agieren, weil nicht einmal die Verantwortlichen den Gesamtprozess überblicken würden. Deshalb seien die Whistleblower von großer Bedeutung, denn sie würden Missstände aufdecken und dienten als abschreckendes Beispiel. Solche Menschen seien die wahren Helden, da sie bewusst unangenehme Konsequenzen in Kauf nehmen, um die Situation anderer zu verbessern.

Die Gesellschaft kann jedoch nicht ausschließlich auf Whistleblower vertrauen, damit die Arbeitsbedingungen sich verbessern. Das ist eine Aufgabe, die der Politik zukommt.

Gestaltung der Arbeitswelt als Aufgabe der Politik

Noch immer würden die Ökonomen predigen, dass die unsichtbare Hand des Marktes diesen regulieren würde und dabei gleichzeitig dem Gemeinwohl zuträglich sei. Das würde bedeuten ein Eingriff der Politik in das Geschehen auf den Märkten sei nicht notwendig. Spätestens in der Euro-Finanzkrise 2008 hätte sich dieses Wunschdenken als unzutreffend herausgestellt. Trotzdem würde in Bezug auf die digitale Transformation noch immer der Glaube vorherrschen, dass sich alles von allein regele und niemand etwas tun könne.

Doch die Finanzkrise habe auch die Verbreitung des Ordoliberalismus, der behaupte demokratische Regulierung von Märkten durch die Politik sei notwendig, um eine Wirtschaft zu ermöglichen, in der nicht einzelne Wirtschaftsinteressen leitend seien, sondern das Gemeinwohl im Vordergrund stehe, vorangetrieben. Dabei müsse die Politik eine sozial orientierte Sichtweise einnehmen und auf neutrale Fachpersonen setzen, statt sich von Lobbyarbeit lenken zu lassen. Diese Sichtweise habe ihre Schwächen, denn auch Politiker seien Menschen mit allen Unzulänglichkeiten und dadurch stets anfällig für vorteilsversprechende Einflüsse, aber es bleibe die Erwartung, dass politische Persönlichkeiten entsprechend ihres Amtes und der damit verbundenen Aufgaben handeln würden.

Um faire Arbeitsbedingungen zu schaffen, brauche es politische Regulierungen, weil neue Software nicht nur bessere Informationsverteilung und höhere Effizienz bedeute, sondern auch unerwünschte Nebeneffekte besitzen könne. Es sei nicht verwerflich, einen Algorithmus zu nutzen, der beispielsweise die Vorauswahl von Bewerbern nach festgelegten Kriterien erleichtere oder der die Schichten in einem Café plane, weil er den Personalbedarf besser prognostizieren könne. Jedoch zeige die Praxis, dass solche Technologien nicht weniger vorurteilsbehaftet entscheiden würden, weil sie menschengemacht sind und den Menschen ihre Vorurteile, die sie bei der Auswahl von Bewerbern anwenden, nicht bewusst sein müssen oder dass bei fehlenden staatlichen Regulierungen die Caféangestellten keine Planungssicherheit mehr hätten oder sogar der Willkür ihrer Chefs ausgeliefert seien. Die Firmen, die solche Technik nutzen, würden nicht zwingend darauf bestehen, diese Nebeneffekte auszumerzen. Dazu brauche es die Politik, die den Rahmen vorgibt, innerhalb dessen sich Unternehmen und ihre Software bewegen könnten.

Außerdem böten neue Technologien Firmen auch neue Möglichkeiten Gesetzeslücken auszunutzen. Uber beispielsweise übernehme keine Verantwortung für die Angestellten, weil Uber aus juristischer Sicht kein Arbeitgeber sei, sondern eine Plattform, die lediglich Anbieter und Nachfrager zusammenbringe. Da es Fahrer gebe, die ausschließlich für dieses eine Unternehmen arbeiten würden, sei dieses Argument nicht haltbar. Damit solche Praktiken nicht weiter angewendet werden könnten, benötige es neue Regelungen, welche die Politik schaffen müsse.

Während die Politik lediglich die rechtlichen Rahmenbedingungen festlegen kann, in denen Unternehmen agieren, bleibt es den Firmen selbst überlassen, in welchem Umfang sie ihre Angestellten in Entscheidungsprozesse einbinden. Gerade die technologischen Neuerungen ermöglichen es den Arbeitnehmern an solchen Prozessen zu partizipieren.

Partizipation in der digitalen Arbeitswelt

Unternehmen seien klassischerweise hierarchisch organisiert. Das bedeutet es stünden einzelne Chefs an der Spitze der Pyramide, die Entscheidungen träfen und diese an ihre Mitarbeiter in niedrigeren Ebenen der Hierarchie weitergäben. Herzog hält eine demokratischere Gestaltung der Unternehmen und deren Entscheidungsprozesse für sinnvoller.

Arbeitnehmer seien schon immer als Teil des Produktionsprozesses betrachtet worden, während das Management als „Kopf des Ganzen“ verstanden wurde. Daraus resultiere die Rechtfertigung, dass leitenden Angestellten deutlich mehr Gehalt zustehen würde als den einfachen Arbeitern. Hieran zeige sich eine große Gefahr von hierarchisch organisierter Arbeit, nämlich das Risiko den Eigenantrieb der Arbeiter vollständig auszulöschen, was demotivierend wirkt und im schlimmsten Fall sogar zu destruktiven Tendenzen führen könnte und dann zu Handlungen wie Diebstahl, Sabotage oder Informationsverweigerung führe. Sicherlich böten höhere Gehälter einen Anreiz für die Arbeitenden sich um eine Beförderung zu bemühen, doch die intrinsische Motivation leide trotzdem. Vermutlich gebe es einen erheblichen Verlust an guter Arbeit und Ideen, weil die Individuen ihren Job nur als notwendiges Übel betrachten würden und entsprechend ihrer Aufgabe ,ein Rad im Getriebe zu sein, nur das Nötigste leisten würden.

Neue Software böte neue Wege für effizientes Arbeiten, doch das dürfe nicht unreguliert geschehen. In Amerika habe der Konzern Starbucks eine neue Software eingesetzt, die Mitarbeiter noch effizienter einsetzen konnte. Das Problem dabei sei gewesen, dass die Angestellten ihre Arbeitszeiten sehr kurzfristig erhalten haben, sodass sie keinerlei Planungssicherheit mehr gehabt hätten, was beispielsweise bei der Kinderbetreuung zu großen Problemen geführt habe. Den Vorgesetzten würde die Fähigkeit zugesprochen vernünftige Entscheidungen zum Wohle ihrer Angestellten zu treffen, doch wie das Beispiel von Starbucks zeige, sei das kein ausreichender Schutz vor Ausbeutung. Deshalb seien Arbeitsschutzbestimmungen, durch die Politik, relevanter als je zuvor.

Es gebe noch weitere Probleme in hierarchisch organisierten Unternehmen. Erstens seien Menschen in Machtpositionen weniger kritikfähig und deshalb weniger offen für neue Vorschläge als Personen in den unteren Schichten der Hierarchie. Zweitens bestehe die Möglichkeit, dass Informationen entweder gar nicht oder nur stark verzerrt in den Führungspositionen ankommen. Daraus könnten wiederum fehlgeleitete Entscheidungen getroffen werden, deren Maßnahmen nicht funktionieren würden oder nur schlecht umsetzbar seien. Die betroffenen Arbeitnehmer hätten jedoch ein geringes Interesse diese Tatsache an die entscheidenden Vorgesetzen heranzutragen, weil sie nicht negativ auffallen wollen würden, um sich die potenziellen Aufstiegschancen nicht zu verbauen. Hinzu kommt außerdem, dass die Kommunikation zwischen den verschiedenen hierarchischen Ebenen immer schwieriger werde, je größer das Unternehmen sei. Hierbei müsse gefragt werden, ob dadurch verantwortungsbewusstes Arbeiten noch möglich sei, wenn die Entscheider an der Spitze nicht wissen wie die Arbeit funktioniert und die Angestellten nur das Notwendigste machen würden.

Deshalb sei eine partizipative Organisation der Arbeit viel sinnvoller. Durch die unterschiedlichen Perspektiven der einzelnen Abteilungen, könnten viel praktikablere Lösungen als in hierarchisch organisierten Unternehmen gefunden werden. Probleme ließen sich besser vorhersagen und die Entscheidungen würden auf größere Akzeptanz stoßen, weil die betroffenen Angestellten in den Entscheidungsprozess einbezogen wären. Dabei könnten die neuen digitalen Möglichkeiten besonders nützlich sein. Routineaufgaben, die jegliches Mitdenken obsolet machen, könnten von Maschinen oder Programmen übernommen werden, sodass die Mitarbeiter entsprechend ihrer Kompetenzen im Unternehmen eingesetzt werden könnten und dadurch motiviert würden, aktiv an der Gestaltung ihrer Arbeitswelt mitzuwirken.

Die gänzliche Abschaffung von hierarchischen Strukturen sei jedoch eine Utopie, denn ohne stabile Strukturen könne die Arbeit auch nicht funktionieren. Deshalb sei die Demokratie die ideale Lösung, weil die Demokratie Hierarchien durch gewählte Interessenvertreter kontrolliert, was wiederum bedeutet, dass diese ihr Mandat nur behalten, wenn sie im Interesse der Gemeinschaft handeln würden. Das sei problemlos auf Unternehmen anwendbar, träfe allerdings auf Gegenargumente.

Erstens sei Demokratie nicht auf Firmen anwendbar, da Staaten und Unternehmen verschiedene Ziele hätten. Grundsätzlich sei diese Tatsache korrekt, jedoch hätten Staaten und Unternehmen auch relevante Gemeinsamkeiten. Das Ziel beider Institutionen sei die Bereitstellung gesellschaftlich benötigter Güter unter Einhaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und deshalb sei dieses Gegenargument nicht haltbar. Zweitens würde Aktieneigentümern ein Vorteil gegenüber Angestellten des Unternehmens zustehen. Ähnlich wäre in der Vergangenheit bei Staaten mit Herrscherfamilien argumentiert worden. Dabei sei Eigentum kein natürliches Ding, sondern eine Frage politischer Gestaltung, weswegen auch dieser Einwand entkräftet werde. Drittens seien Arbeitnehmer Ihren Arbeitgebern zu Gehorsam verpflichtet, weil es den Angestellten jederzeit möglich sei das Unternehmen wieder zu verlassen. Diese idealisierte Vorstellung der Arbeit als Verwirklichung des Selbstbildes wurde bereits an anderer Stelle als Irrtum entlarvt.

Den gängigen ökonomischen Theorien zufolge wäre ein demokratisch organisiertes Unternehmen nicht wettbewerbsfähig. Diese Sichtweise stelle sich als unzutreffend heraus, weil Firmen, in denen es einen Betriebsrat, eine Betriebsvereinbarung oder andere Formen von Mitbestimmung der Arbeitnehmer gibt, sich als genauso konkurrenzfähig erwiesen hätten wie Unternehmen, die vollständig hierarchisch organisiert sind.

Nachdem sich die ökonomische Theorie erneut als lückenhaft erwiesen hat, bleibt die Frage was mit dem Bild des Menschen als homo oeconomicus passiert. Es muss gefragt werden, ob das neoklassische Menschenbild haltbar ist oder ob die Wirtschaft ihre Sicht auf den Menschen verändern muss.

Digitale Arbeit für soziale Wesen

Inzwischen würden sich Tendenzen seitens der Wirtschaftswissenschaftler zeigen, die bisher gängigen Modelle und Theorien zu hinterfragen und die Ökonomie neu zu denken. Vermehrt würden sie sich mit Themen beschäftigen wie Umweltschutz oder Arbeitsethik. Heute sei uns die Einseitigkeit des ökonomischen Menschenbildes bewusst, während es in der Wirtschaft gleichzeitig noch immer als vollkommen zutreffend behandelt werde. Doch die digitale Transformation bringe Konflikte an die Oberfläche, die Vertreter des Kapitalismus lieber herunterspielen würden. Einer dieser Konflikte sei das Menschenbild.

Das ökonomische Bild des Menschen als rationales, in Geldwerten kalkulierendes Individuum, dessen Streben der Konsum sei, sei zwar nicht falsch; aber es unterschlage wichtige Faktoren, die menschliches Handeln motivieren – etwa der Wunsch moralisch richtig zu handeln oder sozial anerkannt zu werden. Als soziale Wesen seien die Menschen keine egoistischen Einzelkämpfer, sondern sie seien an der gemeinsamen Gestaltung der Welt interessiert. Deshalb sei die Sichtweise auf den Menschen besonders bedeutend bei der Gestaltung der digitalen Transformation.

Bei Betrachtung von Arbeitslosen werde schnell klar, dass es ihnen nicht nur am Einkommen mangele, sondern dass ihnen besonders die sozialen Kontakte außerhalb der Familie und Nachbarschaft fehlen würden, die ihnen neue Sichtweisen aufzeigen könnten. Sicherlich gebe es auch andere Möglichkeiten neue soziale Kontakte zu knüpfen, doch die Arbeit habe das Potenzial für eine soziale Integration in die Gesellschaft, welches Sportvereine, Kirchengemeinden oder Ähnliches nicht hätten. Arbeit bringe Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Kontexten zusammen, denn erfahrungsgemäß stammen Kollegen aus den unterschiedlichsten Wohnorten und haben durchaus sehr unterschiedliche Ausbildungen absolviert, möglicherweise eine Umschulung gemacht und völlig andere Berufserfahrungen gesammelt als die Kollegen, und genau aus dem Grund habe Arbeit die Möglichkeit, dass Individuen eintreten könnten in neue, ihnen bisher unbekannte, soziale Strukturen. Besonders die Kollegialität, die eine besondere Form des Zusammenarbeitens darstelle, bereichere das Leben der Menschen. Es wäre sogar riskant die Arbeit in einer Zeit, in der die Schere zwischen arm und reich besonders groß sei und ein Auseinanderfallen der Gesellschaft befürchtet werde, aufzugeben und damit die beste Möglichkeit auf gesellschaftliche Integration aufzugeben.

Die Frage nach der Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelt bringe viele weitere Fragen mit sich. Dabei dürfe der Hauptaspekt nicht die Frage nach der kapitalistischen Machbarkeit der möglichen Maßnahmen sein. Vielmehr müsse der Mensch als soziales Wesen mit seinen sozialen Bedürfnissen in den Vordergrund gestellt werden und danach müsse die Arbeitswelt gestaltet werden. Dabei sei es nicht das Ziel, den Kapitalismus um jeden Preis aufrecht zu erhalten. Es sei sogar notwendig die politischen Möglichkeiten zu nutzen, um den Kapitalismus zu stürzen und dadurch die Mehrheit der Bevölkerung zu stärken.

In der Vergangenheit habe sich das Gleichgewicht zwischen Kapitalismus und Politik immer weiter in Richtung des Kapitalismus verschoben. Wenn diese Entwicklung weiter anhält, sei es nur eine Frage der Zeit bis die Wirtschaft auch die Politik kontrolliere und das könne für das soziale Wesen des Menschen nicht wünschenswert sein.

Deshalb plädiert Herzog dafür, dass die Arbeitswelt unter sozialen Gesichtspunkten zu gestalten ist und dass Technik niemals die sozialen Strukturen der Menschen ersetzen kann.

Die digitale Transformation bietet eine Chance, die Arbeitswelt gerechter zu gestalten und sie den Bedürfnissen der Individuen anzupassen. Dafür benötigen wir ein Umdenken der Gesellschaft, weg von rein ökonomischen Aspekten und hin zu sozialen Aspekten, sodass eine zunehmende Technisierung uns nicht in Angst versetzt unsere Arbeit zu verlieren, sondern dass wir in ihr die Chance sehen unsere Arbeit besser zu machen.

Übersicht über wichtige Werke von Lisa Herzog:

Im Folgenden findet sich eine Übersicht von Herzogs wichtigsten Veröffentlichungen. Sie publiziert unter anderem auch für die breite Öffentlichkeit im englisch- und deutschsprachigen Raum.

2014 hat Herzog an „Der Wert des Marktes – Ein ökonomisch-philosophischer Diskurs vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ mitgewirkt. In dem Buch geht es um den moralischen Wert von Märkten. Im selben Jahr ist auch ihre Monografie „Freiheit gehört nicht nur den Reichen – Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus“ erschienen. Hauptaussage des Werkes ist, dass den Mitgliedern einer Gesellschaft mehr Freiheiten eingeräumt werden müssen, damit die Märkte den Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht werden können.

In den Jahren 2015 und 2016 erschienen die Artikel “The Normative Stakes of Economic Growth. Why Adam Smith does not rely on ‘trickle down’”, in dem es um die Folgen für eine Volkswirtschaft geht, wenn es kaum oder nur wenig Wirtschaftswachstum, und „The Goods of Work (Other Than Money!)“, der die Anreize beschreibt, welche die Menschen abseits von Geld zur Arbeit motiviert. Außerdem erschien in diesem Jahr ihre Promotionsschrift „Inventing the Market. Smith, Hegel & Political Theory“, in der es um die Vordenker unseres heutigen Marktverständnisses geht und welche Rolle Märkte in der Gesellschaft spielen.

In ihrem 2019 erschienenen Buch „Die Rettung der Arbeit. Ein politischer Aufruf“ beschäftigt Herzog sich mit den neuen Möglichkeiten, die neue Technologien dem Arbeitsmarkt ermöglichen. Dabei plädiert sie für eine demokratischere Gestaltung des Arbeitsmarktes und zeigt auf, weshalb Arbeit unter sozialen statt ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden muss

Literaturverzeichnis:

Gheaus, Anca; Herzog, Lisa (2016) “The Goods of Work (Other Than Money!)”, in: Journal of social philosophy, 47, S. 70–89.


Herzog, Lisa (2015): “The Normative Stakes of Economic Growth; Or, Why Adam Smith Does Not Rely on ´Trickle Down,”. in: The Journal of Politics, 76, S. 70–89.


Herzog, Lisa (2016): Inventing the market. Smith, Hegel, and political theory, Oxford.


Herzog, Lisa (2018): Freiheit gehört nicht nur den Reichen. Plädoyer für einen zeitgemässen Liberalismus. München.


Herzog, Lisa (2019): Die Rettung der Arbeit. Ein politischer Aufruf. Berlin.


Herzog, Lisa (2014): „Einleitung: Die Verteidigung des Marktes
vom 18.Jahrhundert bis zur Gegenwart.“ in: Herzog, Lisa; Honneth, Axel (Hrsg.): Der Wert des Marktes. Ein ökonomisch-philosophischer Diskurs vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin, S. 13-28

Bildquellen:

Von 2._Frankfurter_Hilfe-Konferenz_Abschlusspanel.jpg: Rosa Luxemburg-Stiftungderivative work: Berita – Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet:  2. Frankfurter Hilfe-Konferenz Abschlusspanel.jpg:, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32018244

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-rettung-der-arbeit/978-3-446-26206-5/

Eine Antwort auf „Lisa Herzog“

  1. Vielen Dank für die Zusammenfassung des Buches von Frau Herzog. Sie hilft mir auf jeden Fall bei der Lektüre des Buches. Beim Literaturverzeichnis ist mir jedoch ein kleiner Fehler aufgefallen, die zweite Zitation ist nicht ganz richtig. Beim Suchen habe ich die folgende Stelle gefunden:
    Herzog, Lisa. “The Normative Stakes of Economic Growth; Or, Why Adam Smith Does Not Rely on ‘Trickle Down.’” The Journal of Politics, vol. 78, no. 1, 2016, pp. 50–62. JSTOR, https://www.jstor.org/stable/26550689. Accessed 21 Mar. 2024.

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