Judith Butler

Judith Butler

(Autor: Nico Kromminga)

Biographie:

Bei Judith Butler handelt es sich um eine feministische Philosophin, die am 24. Februar 1956 in Cleveland geboren wurde. Sie zählt wohl zu den einflussreichsten Denkerinnen und Theoretikerinnen der heutigen Zeit.
Bevor sie 1993 Lehrstuhlinhaberin für Rhetorik an der University of California, Berkeley wurde, begann ihr akademischer Lebenslauf an der Yale University, wo sie der Zeit von 1974 – 1982 Kontinentalphilosophie studierte. Anschließend absolvierte sie 1978/79 ein akademisches Jahr an der Universität Heidelberg. Nachdem Butler ihr Studium abgeschlossen hatte, war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Yale University tätig und promovierte 1984.

Judith Butler (2012)

Nach einem Postdoc-Stipendium an der Wesleyan University (1985), Assistenzprofessuren an der George Washington University (1986 – 1989) und an der Johns Hopkins University (1989 – 1991), erhielt sie 1991 an letztgenannter Universität eine reguläre Professur für Humanwissenschaften. Seit 1993 ist sie schließlich an der University of California, Berkeley tätig, wo sie eine Professur für Rhetorik annahm. 1998 erhielt sie dort den Maxine-Elliot-Lehrstuhl für Rhetorik und vergleichende Literaturwissenschaft.

„Mir schien, daß Macht weit mehr ist als ein Austausch zwischen Subjekten oder ein ständiges Umkehrverhältnis zwischen dem Subjekt und dem/r Anderen; tatsächlich zeigte sich, daß die Macht in der Produktion des binären Rahmens, der das Denken über die Geschlechtsidentität bestimmt, am Werke ist. Ich fragte: welche Konfiguration der Macht konstruiert das Subjekt und den Anderen, bzw. die binäre Beziehung zwischen ‚Männern‘ und ‚Frauen‘ und die innere Stabilität dieser Termini? […] Flößen uns diese Begriffe nur so lange kein Unbehagen ein, wie sie einer heterosexuellen Matrix für das Verständnis der Geschlechteridentität und des Begehrens entsprechen? Was geschieht mit dem Subjekt und der Stabilität der Geschlechterkategorien (gender categories), wenn sich herausstellt, daß diese scheinbar ontologischen Kategorien durch das epistemische Regime der vermeintlichen Heterosexualität hervorgebracht und verdinglicht werden?“
Judith Butler

Vorstellung des Werks Das Unbehagen der Geschlechter

Hinleitung zur Kernthese Butlers
Das bekannteste Werk von Judith Butler, welches ich nun genauer betrachten möchte, trägt den Titel Das Unbehagen der Geschlechter. Es wurde im März 1990 veröffentlicht; die erste deutschsprachige Ausgabe brachte der Suhrkamp Verlang im Jahre 1991 heraus.
Die erste interessante Auffälligkeit ergibt sich bereits, wenn man sich den Titel anschaut, genauer gesagt, wenn man den englischsprachigen Originaltitel betrachtet. Dieser lautet „Gender Trouble“. Das englischsprachige Wort „gender“ ist ein noch relativ neuer Begriff und wurde dazu eingeführt, dass körperliche Geschlecht, welches mit „sex“ bezeichnet wird, vom sozialen Geschlecht, „gender“ abzugrenzen.

Das Unbehagen der Geschlechter

Während das körperliche Geschlecht alle primären und sekundären Geschlechtsmerkmale des menschlichen Körpers bezeichnet, zielt das soziale Geschlecht auf die eigene Geschlechtsidentität ab. Diese zielt auf die Frage ab:, Fühle ich mich als Mann oder als Frau?, um die wohl zwei bekanntesten Geschlechtsrollen als Beispiel anzuführen.


Bevor ich nun auf die Hauptthese von Judith Butler in Das Unbehagen der Geschlechter weiter eingehe, möchte ich in der Zeit etwas zurückgehen und auf Simone de Beauvoir verweisen, die 1949 als wohl erste Philosophin dieses Thema aufgreift, und die These aufstellt, dass das soziale Geschlecht ein gesellschaftliches Konstrukt sei, geprägt durch folgendes, sehr bekanntes, Zitat aus ihrem Werk Das andere Geschlecht: „Man kommt nicht als Frau zur Welt. Man wird es.“ (De Beauvoir 1951, S. 334). Diese These ist meines Erachtens der Grundpfeiler für Butlers Ausführungen. Die These von de Beauvoir besagt lediglich erst einmal , dass die Menschen aufgrund der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale, die Neugeborenen sofort in die beiden Kategorien männlich und weiblich einsortieren. Dazu werden ihnen beispielsweise Namen gegeben, die typisch für Jungen beziehungsweise typisch für Mädchen sind., Im späteren Leben werden auch scheinbar geschlechtstypische Hobbies ausgeübt, ein entsprechender Kleidungsstil gepflegt oder einen dem Geschlecht entsprechenden Beruf nachgegangen. Diese Auflistung von Beispielen könnte man beinahe endlos weiterführen, doch möchte ich hiermit nur exemplarisch darlegen, dass durch alle Lebensstationen hinweg, geschlechtsspezifische Unterscheidungen vorgenommen werden, die den Mann typisch „männlich“ und die Frau typisch „weiblich“ erscheinen lassen. Kurz gesagt ist laut de Beauvoir das soziale Geschlecht ein von der Gesellschaft gebildetes künstliches Konstrukt

Die Hauptthese Butlers
Dieser Ausgangsthese würde Butler wohl zustimmen, doch geht sie mit ihrer Hauptthese darüber hinaus, und argumentiert dafür, dass nicht nur das soziale Geschlecht vom gesellschaftlichen Diskurs geformt sei, sondern auch das körperliche (vgl. Butler 2014, S. 7 ff.). Der gesellschaftliche Diskurs umfasst dabei sämtliche Gespräche innerhalb einer Gesellschaft. Diese Gesprächsakte haben dabei einen adressatenbezogenen Bezug, sodass die performativen Sprechakte also unter anderem der Grund, vielleicht sogar eher eine notwendige Bedingung, für die Formung des menschlichen Geschlechts sein sollen. Diese These mag abstrakt erscheinen und somit auch schwer verständlich, da Butler mit ihrer Prämisse voraussetzt, dass die Natur nicht als Ausgangspunkt, sondern als Ergebnis aus den kulturellen Akten der Menschheit verstanden werden muss, was dem umgekehrten Verständnis der Menschheitsgeschichte entspricht. Hannelore Bublitz setzt in ihrem Einführungswerk hier an und stellt heraus: „Diskursive Praktiken und körperliche Materialität verbinden sich als unauflösliche Einheit, deren Voraussetzung Diskurse als Apriori körperlicher Materialität bilden. Das bedeutet: Diskurse werden zur Bedingung des – historischen und sozialen – Erscheinen von Körpern.“ (Bublitz 2005, S. 40f.). Sobald also etwas mit Worten adressiert wird, ist der materielle Körper Teil des Diskurses und wird mit diesem zu einer Einheit verbunden.

Das Vorwort
Vorab sei gesagt, dass ich in diesem Blogeintrag einen besonderen Fokus auf das Vorwort gelegt habe, da Butler hier spezifische Begrifflichkeiten einführt, die für das Verständnis dieses komplexen und dichten Werkes von dringendster Notwendigkeit sind, um es in seiner Ganzheit verstehen zu können. Ausgehend von dieser Einführung in die Begrifflichkeiten gehe ich anschließend exemplarisch auf die drei Hauptkapitel ein und diskutiere die wichtigsten Thesen, um einen groben Gesamtüberblick zu verschaffen. Ein so interessantes und von Thesen übersätes Werk lässt sich leider nicht in voller Gänze in Form dieses Blogeintrags darstellen. – Nun aber zurück zum Inhaltlichen:
Von der Hauptthese möchte ich an dieser Stelle noch einmal auf den Titel ihres Werks eingehen, um entsprechend zu ihrem Vorwort überleiten zu können. Dieser hat eine zentrale Bedeutung, denn besteht allgemein im Feminismus die Sorge, bzw. mit Butlers Worten das Unbehagen, dass der Begriff nicht exakt genug bestimmbar sei und so das Anliegen des Feminismus scheitern könne. Diese Sorge will Butler weitestgehend auflösen und führt an: „Das herrschende Gesetz drohte, einem Ärger zu machen, einen in Schwierigkeiten zu bringen, nur damit man keine Unruhe stiftete.“ (Butler 2014, S. 7). Die Herausforderung bestehe demnach darin, auf welche Art und Weise man am besten mit Schwierigkeiten umgehe.
Im Weiteren bezieht sich Butler auf de Beauvoir, sowie ihren Lebensgefährten Jean_Paul Satre. Bei de Beauvoir las sie, dass es in einer Welt, die von Männern dominiert ist, es eine Schwierigkeit darstelle, sich an der Stelle der Frau als Mysterium gegenüber dem männlichen Geschlecht zu erweisen (vgl. Butler 2014, S.7). Diesen Gedanken greift sie ebenfalls bei Satre auf, „für den jedes Begehren, das er problematischerweise als heterosexuell und männlich bestimmtes voraussetzt, als Unbehagen definiert ist.“ (Butler 2014, S. 7).
Die Begierde, ausgehend vom männlichen Wesen, könne folglich ausgeglichen werden, wenn die Frau sich nicht als Objekt der Begierde hergibt, indem sie entgegen der Erwartungen eine Handlung bzw. Reaktion folgen lässt (wie es auch der Mann machen würde) und die Autoritätsverhältnisse von Subjekt (Mann) und Objekt (Frau) somit umkehrt.
An dieser Stelle möchte ich auf den Begriff „Macht“ bei Butler eingehen, da dieser eine zentrale Stellung in ihrer Argumentation einnimmt und das Subjekt-Objekt-Verhältnis anschaulich erläutert. Bei Butler ist Macht nicht nur das Machtverhältnis zwischen Subjekt und Objekt, sondern vielmehr ein binärer Rahmen. Dieser binäre Rahmen beruht auf der Prämisse, dass es lediglich zwei Kategorien bezüglich der Geschlechtsidentität gebe, nämlich Mann und Frau. Diese zwei Geschlechtskategorien bereiten dabei keine Probleme, solange sie der „heterosexuellen Matrix“ (Butler 2014, S. 8). Diese Matrix ist ein künstliches Konstrukt, welches auf den Annahmen beruht, dass es lediglich die Kategorien „Mann“ und „Frau“ gibt, die konform mit den körperlichen Geschlechtern „männlich“ und „weiblich“ sind und dass sich Mann und Frau auf natürliche Weise gegenseitig begehren, Stichwort Zwangsheterosexualität.

Judith Butler stellt dieses Konstrukt infrage, indem sie auf den Film „female trouble“ verweist, bei welchem die weibliche Hauptprotagonistin vom männlichen Darsteller Divine verkörpert wird, der oftmals die weibliche Hauptrolle in Filmen spielt. Seine bzw. ihre Travestiekunst destabilisiere dabei die klassischen Kategorien, mit welchen die Geschlechtsidentitäten üblicherweise funktionieren. Hierzu zählen die Unterscheidungen „zwischen natürlich und künstlich“, Tiefe und Oberfläche, Innen und Außen“ (Butler 2014, S. 8).
Tiefergehend stellt Butler hierauf aufbauend die Frage, ob „weiblich sein“ „eine natürliche Sache“ (Butler 2014, S.8) oder nur „eine kulturelle Performanz“ (Butler 2014, S. 8) darstellt. Um auf die kulturelle Performanz genauer einzugehen, könnte man also die These vertreten, dass „männlich sein“ und „weiblich sein“ gar nicht von der Natur gegeben sind, sondern künstlich konstruiert. Butler hinterfragt jedenfalls diese vermeintliche Natürlichkeit: „Wird die ‚Natürlichkeit‘ durch diskursiv eingeschränkte performative Akte konstituiert, die den Körper durch die und in den Kategorien des Geschlechts (sex) hervorbringen? (Butler 2014, S.9)
Um zu verstehen was Butler sagen möchte, ist es notwendig, sich den Begriffspaaren „diskursiv eingeschränkte“ sowie „performative Akte“ zu vergegenwärtigen. Performative Akte sind erst einmal jene Sprechakte, die vollzogen werden und damit gleichzeitig eine Handlung auslösen, wie zum Beispiel im Falle der Trauung durch einen Pastor bzw. einer Pastorin mit dem Ausspruch: „Hiermit ernenne ich euch zu Mann und Frau.“ Dieser vermeintlich einfache Sprechakt lässt die Handlung folgen, dass die jeweiligen Partner*innen nun auch offiziell ein verheiratetes Paar mit allen daraus resultierenden persönlichen und rechtlichen Folgen sind. Diese performativen Akte sind allerdings abhängig vom Diskurs, also, dass was die Menschheit allgemein weitererzählt und somit über Generationen hinweg weiterträgt. Und dieser Diskurs ist im Falle von den Geschlechtskategorien eingeschränkt, denn hat es sich über Jahrhunderte hinweg in der Gesellschaft so verankert, dass es lediglich zwei Geschlechtskategorien gibt. Die performativen Sprechakte beziehen sich dann weitestgehend auch auf diese beiden Geschlechtskategorien, weil sie selbstverständlich als „natürlich“ angesehen werden, obwohl sie es vielleicht gar nicht sind. Im Falle des Beispiels mit der Trauung haben sich die Geschlechtskategorien Mann und Frau aus dem eigeschränkten Diskurs ergeben und finden sich somit im performativen Sprechakt wieder, wodurch die vermeintliche Natürlichkeit letztendlich nur ein Konstrukt aus Sprache und Diskurs ist. An dieser Stelle tritt dann auch die heterosexuelle Matrix auf; es ist selbstverständlich, dass der Mann die Frau begehrt und andersherum, wodurch die ‚Natürlichkeit‘ noch einmal bekräftigt wird.
Um auf die Travestiekunst von Divine noch einmal zurückzugreifen, wird auf basaler Ebene das Konstrukt der verfestigten Geschlechteridentitäten aufgegriffen und bewusst auf lustige Art und Weise eine Vertauschung der vermeintlichen Eigenschaften des anderen Geschlechts aufgenommen; der Mann verkörpert auf einmal die rein konstruierten, weiblichen Geschlechtseigenschaften, die auf den unwissenden Zuschauer befremdlich wirken und so die Komik ausmachen, die auf Ungewöhnliches bzw. Befremdliches basiert. Diese Effekte greift Butler mit der genealogischen Kritik auf. Die genealogische Kritik will dafür sorgen, dass das Wissen, wodurch das vermeintliche Objekt erst zum Objekt geworden ist, in diesem Fall die Frau, umgekehrt wird, um auf den eigentlichen Ursprung hinzuweisen und zu kompromittieren. (vgl. Saar 2009, S. 251 f.). Butler möchte an dieser Stelle die Institutionen angreifen, die überhaupt erst für die Effekte verantwortlich sind. Konkret also die Institutionen, die dafür gesorgt haben, dass die beiden Geschlechtskategorien existieren, der Phallogozentrismus und die Zwangsheterosexualität (vgl. Butler 2014, S.9). Phallogozentrismus ist dabei ein Phänomen, bei welchem die Zweiteilung der Geschlechter aufgehoben wird, indem die weibliche Form ebenfalls aus der Perspektive des Mannes dargestellt wird. Unter anderem sei dies an der phallozentrischen Sprache erkennbar, welche bei einer Anrede von beiden Geschlechtern lediglich das männliche berücksichtigt (vgl. Lindhoff 2003, S. 94 f.). Diese beiden Institutionen müssen nach Butler im ersten Schritt in den Vordergrund gerückt und zentriert werden, um sie anschließend dann zu dezentrieren. (Butler 2014, S. 9). Hierzu sind die performativen Akte von zentraler Bedeutung. Diese sind letztendlich überhaupt dafür verantwortlich, dass die Geschlechtskategorien, sowie die heterosexuelle Matrix in ihrer Form existieren, jedoch besteht durch performative Akte die Möglichkeit, den Diskurs umzuwenden, indem man immer wieder neue Vorstellungen tradiert und Etabliertes destabilisiert. Je häufiger dies geschieht, desto mehr verändert sich das Denken der Menschheit und der daraus resultierende Diskurs. Kurz auf den Punkt gebracht bedeutet dies, dass Jeder und Jede Dinge nur deshalb als vermeintlich natürlich ansehen, weil sie ein Effekt der performativen Handlungen sind, die in der Vergangenheit bis zur heutigen Zeit stattgefunden haben. Dies geschieht in der Regel unreflektiert und so kann jeder und jede Einzelne durch gezielte, reflektierte performative Handlungen indirekt Einfluss auf die gesellschaftlichen Werte und Normen nehmen.
Ausgehend von der Einführung in die wichtigsten Begrifflichkeiten in Butlers Vorwort möchte ich nun, wie eingangs im Kapitel zum Vorwort schon versprochen, exemplarisch auf einzelne Thesen und Vertreter und Vertreterinnen eingehen, die Butler in den drei Hauptkapiteln aufgreift, um noch einen kurzen Gesamtüberblick über Das Unbehagen der Geschlechter zu geben.

Erstes Kapitel – Die Subjekte von Geschlecht / Geschlechtsidentität / Begehren
Butler geht eingangs auf die Frau als Subjekt des Feminismus ein und unterstellt dem bisherigen Forschungsstand eine zu vage und einfache Definition des Begriffs „Frau“. Es werde davon ausgegangen, dass Frauen als eine Gesamtheit mit gleichen Interessen dargestellt werden. Dies sei zu oberflächlich. Es mag zwar Schnittstellen in den Persönlichkeiten geben, jedoch müsse jede Frau mit ihrer Herkunft, Ethnie, Kultur und Sexualität einzeln für sich betrachtet werden (vgl. Butler 2014, S. 15 f.) Weiter nimmt sie noch einmal Bezug auf wichtige Begrifflichkeiten, die schon ich bereits in diesem Blogeintrag erwähnt habe. Konkret sind dies die Unterscheidung von sozialem und biologischem Geschlecht, Zwangsheterosexualität und Phallogozentrismus.
Dabei greift sie unter anderem die Philosophin Luce Irigaray auf und versucht zu klären, ob „das Weibliche“ der Repräsentation in der Sprache widersteht und ob die Sprache als phallogozentrisch angesehen werden kann. Laut Butler vertrete Irigaray den Standpunkt, dass „eine mögliche andere Sprache oder Bedeutungsökonomie der einzige Weg [ist], um die Markierung der Geschlechtsidentität, die für das Weibliche nichts anderes als die phallogozentrische Auslöschung des weiblichen Geschlechts bedeutet, zu entkommen.“ (Butler 2014, S. 51) Irigaray versucht somit zu verdeutlichen, dass die scheinbar binäre Beziehung zwischen den Geschlechtern eine Art maskulin dominierte Täuschung sei, die die Frau bewusst ausgrenzt.
Wittig hingegen argumentiere gegen diese These und sehe den Ansatz kontraproduktiv, da auf diese Art und Weise die Binarität von Mann und Frau gestärkt und eine Art Mysterium der Weiblichkeit bekräftigt werde. Wittig behaupte des Weiteren, dass es keine weibliche Sprache gäbe (vgl. Butler 2014, S.51). Die enorme Bedeutung von Sprache in Bezug auf die Unterdrückung von Frauen ist Wittig zwar bewusst, doch betrachtet sie Sprache als eine Institution, welche grundlegend veränderbar sei, sodass man diese basierend auf kollektivem Handeln abschwächen könne.
Es ist schwer, sich einer von beiden Positionen zuzuordnen, da meines Erachtens beide nachvollziehbar erscheinen, allerdings sich auch Schwächen aufzeigen lassen. Grundsätzlich bin ich einer Meinung mit Irigaray, dass es möglich ist, über eine andere Sprache bzw. einer Bedeutungsverschiebung die Markierung der Geschlechtsidentität aufzuheben. Wie ich bereits dargestellt habe, begünstigen sich der eingeschränkte Diskurs und die Performativität, sodass es erst zur Bildung von ungleichen Geschlechterrollen kommt. Daher finde ich den Ansatz gut, mithilfe einer neuen, weiblichen Sprache dagegenzuhalten, um so ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern herzustellen. Trotzdem besteht die Gefahr, um Wittig aufzugreifen, dass die Binarität von Mann und Frau gestärkt wird. Der allgemeine Diskurs ist aufgrund der zeitlichen Geschichte nämlich immer noch männlichkeitsdominiert. Dadurch kann es passieren, dass eine Art Gegenbewegung befremdlich auf den Großteil der Gesellschaft wirkt und somit gerade noch einmal vielen Menschen die Binarität bewusst macht. Das soll jedoch nicht heißen, dass Rückhaltung geboten ist, um dieser Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Vielmehr geht es darum hartnäckig zu bleiben und weiter gegen den Phallogozentrismus vorzugehen, um mit der Zeit ein generelles Umdenken in der Gesellschaft zu bewirken und so letztendlich den Diskurs in eine andere Richtung zu lenken.

Zweites Kapitel – Das Verbot, die Psychoanalyse und die Produktion der heterosexuellen Matrix
Im zweiten Kapitel geht Butler auf strukturalistische, psychoanalytische und feministische Darstellungen des Inzesttabus ein. Das Inzesttabu ist laut ihrer Argumentation indirekt dafür verantwortlich, dass die heterosexuelle Matrix in seiner Form so existent ist: „Das Inzesttabu untersagt also nicht nur die sexuelle Vereinigung unter den Angehörigen desselben Verwandtschaftszweigs, sondern schließt überdies ein Tabu gegen die Homosexualität ein.“ (Butler 2014, S. 115).
In ihren Ausführungen zieht sie unter anderem die Repressionshypothese von Michel Foucault heran. Diese besagt, dass vorhandene Triebe durch Macht eingedämmt werden. In diesem Fall ist das Inzesttabu die angesprochene Macht, die dafür sorgt, dass inzestuöse Handlungen zurückgedrängt werden. Dadurch wird dann gleichzeitig die Zwangsheterosexualität bestärkt. (vgl. Butler 2014, S. 114)
Außerdem nimmt Butler eine komplexe Analyse der Begrifflichkeiten „Identität“, „Identifizierung“ und „Maskerade“ (unter anderem am Beispiel von Riviere) vor, die ich an dieser erst einmal nicht aufgreifen möchte, um den inhaltlichen Rahmen entsprechend übersichtlich zu halten.

Drittes Kapitel – Subversive Körperakte
Im dritten Kapitel setzt sich Butler kritisch mit Julia Kristevas Konstruktion des mütterlichen Körpers auseinander: „Erstens ist unklar, ob die primäre Beziehung zum Körper der Mutter […] eine lebensfähige Konstruktion darstellt bzw. ob diese Beziehung nach beiden Sprachtheorien überhaupt eine erkennbare Erfahrung ist.“ (Butler 2014, S. 124).
Für ihre Kritik greift sie dabei auch auf Foucault zurück. Zwar kritisiert sie ihn vor allem für seine Lesart von Bablins Tagebüchern, doch ist seine Kritik an der die Kategorie des Sexus hilfreich, da sie einen Überblick über „die Regulierungsverfahren einiger gegenwärtiger medizinischen Fiktionen, die zur Kennzeichnung eines eindeutigen Geschlechts entworfen wurden.“ (Butler 2014, S. 11), liefert.
Persönliche Motivation
Nachdem ich nun zentrale Stellen des Werks vorgestellt und erläutert habe, gebe ich noch einen kurzen Einblick in meine persönliche Motivation, gerade über Butler und Das Unbehagen der Geschlechter einen Blogeintrag zu verfassen. Für mich stellt Das Unbehagen der Geschlechter eines der wichtigsten und zentralsten Werke der neueren Geschichte dar, weil Butler hiermit wohl den Grundstein der Gender-Studies in den 1990er Jahren gelegt hat. Darüber hinaus hat der Begriff „Gender“ seit Veröffentlichung von Das Unbehagen der Geschlechter immer mehr an Bedeutung gewonnen und ist heutzutage nahezu jedem bekannt und wird deshalb wahrscheinlich auch so kontrovers diskutiert.
Um noch einmal auf meine persönliche Motivation in Verbindung zu diesem Werk einzugehen, finde ich ihren Ansatz, dass das biologische Geschlecht ebenfalls ein unter anderem auf Sprache bzw. Sprechakten beruhendes Konstrukt darstelle, sehr interessant. Ihre Argumentation ist teilweise zwar schwer zu durchdringen und es ist nicht immer direkt klar, was sie mitteilen möchte, doch macht gerade dies den Anspruch eines solch prägenden Werkes aus. Jedem, der sich also auch mit Butlers Unbehagen der Geschlechter tiefergehend auseinandersetzen möchte, kann ich nur empfehlen, bei der Lektüre nicht zu schnell aufzugeben, um nach und nach ihre Kernaussagen zu verstehen.

Ein einschlägiges Zitat aus dem Werk
Abschließend möchte ich das folgende Zitat anführen, da Butler an dieser Stelle im Vorwort direkt auf den Punkt bringt, was für sie Macht in unserer Gesellschaft ausmacht. Dabei führt sie eine Aufreihung von tiefergehenden Fragen, die exemplarisch für das Gesamtwerk stehen. Diese zielen auf die Binarität bzw. die heterosexuelle Matrix ab und leiten dazu über, was für Auswirkungen es hätte, würde man dieses System infrage stellen. Ich verstehe dieses Zitat als Einleitung in ihr Werk, welches einen roten Faden bildet, der im Werk immer wieder sichtbar wird.


„Mir schien, daß Macht weit mehr ist als ein Austausch zwischen Subjekten oder ein ständiges Umkehrverhältnis zwischen dem Subjekt und dem/r Anderen; tatsächlich zeigte sich, daß die Macht in der Produktion des binären Rahmens, der das Denken über die Geschlechtsidentität bestimmt, am Werke ist. Ich fragte: welche Konfiguration der Macht konstruiert das Subjekt und den Anderen, bzw. die binäre Beziehung zwischen ‚Männern‘ und ‚Frauen‘ und die innere Stabilität dieser Termini? […] Flößen uns diese Begriffe nur so lange kein Unbehagen ein, wie sie einer heterosexuellen Matrix für das Verständnis der Geschlechteridentität und des Begehrens entsprechen? Was geschieht mit dem Subjekt und der Stabilität der Geschlechterkategorien (gender categories), wenn sich herausstellt, daß diese scheinbar ontologischen Kategorien durch das epistemische Regime der vermeintlichen Heterosexualität hervorgebracht und verdinglicht werden?“ (Butler 2014, S.8).

Übersicht über wichtige Werke von Judith Butler

Das bekannteste Werk von Judith Butler, welches ich nun genauer betrachten möchte, trägt den Titel Das Unbehagen der Geschlechter. Es wurde im März 1990 veröffentlicht; die erste deutschsprachige Ausgabe brachte der Suhrkamp Verlang im Jahre 1991 heraus.


Die erste interessante Auffälligkeit ergibt sich bereits, wenn man sich den Titel anschaut, genauer gesagt, wenn man den englischsprachigen Originaltitel betrachtet. Dieser lautet „Gender Trouble“. Das englischsprachige Wort „gender“ ist ein noch relativ neuer Begriff und wurde dazu eingeführt, dass körperliche Geschlecht, welches mit „sex“ bezeichnet wird, vom sozialen Geschlecht, „gender“ abzugrenzen. Während das körperliche Geschlecht alle primären und sekundären Geschlechtsmerkmale des menschlichen Körpers bezeichnet, zielt das soziale Geschlecht auf die eigene Geschlechtsidentität ab. Diese zielt auf die Frage ab:, Fühle ich mich als Mann oder als Frau?, um die wohl zwei bekanntesten Geschlechtsrollen als Beispiel anzuführen.


Bevor ich nun auf die Hauptthese von Judith Butler in Das Unbehagen der Geschlechter weiter eingehe, möchte ich in der Zeit etwas zurückgehen und auf Simone de Beauvoir verweisen, die 1949 als wohl erste Philosophin dieses Thema aufgreift, und die These aufstellt, dass das soziale Geschlecht ein gesellschaftliches Konstrukt sei, geprägt durch folgendes, sehr bekanntes, Zitat aus ihrem Werk Das andere Geschlecht: „Man kommt nicht als Frau zur Welt. Man wird es.“ (De Beauvoir 1951, S. 334). Diese These ist meines Erachtens der Grundpfeiler für Butlers Ausführungen. Die These von de Beauvoir besagt lediglich erst einmal , dass die Menschen aufgrund der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale, die Neugeborenen sofort in die beiden Kategorien männlich und weiblich einsortieren. Dazu werden ihnen beispielsweise Namen gegeben, die typisch für Jungen beziehungsweise typisch für Mädchen sind., Im späteren Leben werden auch scheinbar geschlechtstypische Hobbies ausgeübt, ein entsprechender Kleidungsstil gepflegt oder einen dem Geschlecht entsprechenden Beruf nachgegangen. Diese Auflistung von Beispielen könnte man beinahe endlos weiterführen, doch möchte ich hiermit nur exemplarisch darlegen, dass durch alle Lebensstationen hinweg, geschlechtsspezifische Unterscheidungen vorgenommen werden, die den Mann typisch „männlich“ und die Frau typisch „weiblich“ erscheinen lassen. Kurz gesagt ist laut de Beauvoir das soziale Geschlecht ein von der Gesellschaft gebildetes künstliches Konstrukt.

Literaturverzeichnis:

Bublitz, Hannelore (2002): Judith Butler zur Einführung. 2. Auflage. Hamburg


Butler, Judith (2014): Das Unbehagen der Geschlechter. 17. Auflage. Frankfurt am Main.


Lindhoff, Lena (2003): Einführung in die feministische Literaturtheorie. 2. Auflage. Suttgart.


Saar, Martin (2009): Genealogische Kritik. In: Rahel Jaeggi/Tilo Wesche (Hrsg.), Was ist Kritik? Frankfurt am Main, S. 247 – 265.

Bildquellen:

Von University of California, Berkeley – The photo was sent to me personally by Judith Butler, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31967265

https://www.suhrkamp.de/buecher/das_unbehagen_der_geschlechter-judith_butler_11722.html