Franci Henning – Fundstücke

Was ich aus Neuengamme mitnehme:

Abgesehen davon, dass ich von diesem Ort in den Jahren unserer Verbundenheit bereits liebe Freunde, unheimlich viele Erfahrungen und die bewegendsten Begegnungen, traurigsten und schönsten Geschichten, herzliche Mails und bleibende Erinnerungen mitgenommen habe, konnte ich mich nun auch dazu durchringen einen Gegenstand vom Gelände aufzulesen und mit nach Hause zu nehmen.

Dem Auflesen von Gegenständen aus der Gedenkstätte stand ich zu Beginn des Seminars noch sehr kritisch gegenüber. Meine Befürchtung ist, dass wenn dies zu einer gängigen Praxis aller Besucher werden würde, der Ort darunter sichtbar leiden würde. Auch habe ich nicht das Grundvertrauen in die breite Menschenmasse, sich einer wirklichen tiefen Reflexion mit den aufgesammelten Gegenständen zu unterziehen. Im Kontrast dazu kenne ich jedoch das Bedürfnis danach, etwas von dort mitzunehmen, wenn man durch die eigene Familiengeschichte mit dem Ort verbunden ist.

Diese Feder fand ich am 16.06.2020 auf einem Spaziergang übers Gelände während meiner Mittagspause. Sie lag am Wegrand im Gras hinter den ehemaligen SS-Garagen. Als ich sie sah wusste ich: Dies ist etwas das ich mitnehmen kann. In diesem Moment fühlte sich das absolut richtig an. Ich entwende damit nichts was jemand bewusst hier platziert hat. Ich entwende damit nichts von historischem Wert. Aber ich habe damit etwas, das mich an diesen Ort erinnern wird, wenn ich nicht mehr wöchentlich dort bin. Ich hatte nicht bewusst nach einem Gegenstand gesucht und es kommt mir mehr so vor, als ob diese Feder mich gefunden hat, statt umgekehrt. Sie ist nun etwas für meine Vitrine, das ich emotional auch aufladen kann.

… Ja ich habe eine Vitrine. In ihr sind der Großteil meiner gesammelten Bücher zu dem Thema NS-Vergangenheit und Erinnerungskultur. Davor liegen zwei, jetzt drei Gegenstände, die mich mit Orten, den Begegnungen und der Geschichte dort verbinden.

Das erste war ein Stück rostiges Metall vom ehemaligen Hannoverschen Bahnhof, von dem aus mein Urgroßvater deportiert wurde. Ich habe es irgendwann zwischen 2011 und 2012 dort aufgelesen, bevor die Bauarbeiten zum Lohsepark begangen. Es lag dort auf der Erde, ich habe nichts demontiert oder zerbrochen. In dem Moment als ich es aufnahm wusste ich, dass dieser Ort eine Baustelle werden wird und größtenteils verschwindet. Da ich mich der Stelle jedoch verbunden fühlte war es mir ein Bedürfnis etwas an mich zu nehmen und damit zu bewahren.

Von dem Moment an lag es einige Jahre neben einem kleinen Porzellan-Pferd, dem letzten Geschenk, dass mir mein Opa bei unserer letzten Begegnung vor seinem Tod machte. Inzwischen steht das Pferd jedoch in einer anderen Büchervitrine (bei meinen Lieblingsbüchern ohne KZ-Bezug).  

Das zweite Stück ist eine kleine Tonplatte, in die die Umrisse eine Skulptur aus Neuengamme eingestanzt ist. Ich habe die Platte von einem Freund in Belgien bekommen, als der sein eigenes kleines Museum 2019 in Meensel-Kiezegem eröffnete. Das Zeichen für eine Verbindung der beiden Orte, die uns am Herzen liegen. Es ist für mich also nicht primär ein Andenken an den Ort, sondern vielmehr ein Symbol für eine Freundschaft zu Menschen die ich vielleicht einmal im Jahr sehe und dennoch einen großen Anteil an meinem Leben haben.

Tja und nun habe ich die Feder dazu.

Bei einer Feder denke ich an den Vogel, dem sie gehörte, bei einem Vogel denke ich an einen Spatz (auch wenn das sicher keine Spatzenfeder ist) und damit denke ich an meinen Urgroßvater, dessen Codename im Widerstand „Spatz“ war. Ich habe meinen Urgroßvater nie kennen gelernt, auch wenn er die Verfolgung überlebt hat. Und die wenigen Bilder, die ich von ihm habe geben mir nicht wirklich ein lebendiges Bild in meinem Kopf. Also begann ich ihn mir über seinen Codenamen vorzustellen und werde so bei jedem Spatzen der an mir vorbei hüpft an meine Familiengeschichte erinnert. Seemanns-Tattoos zeigen einen Spatzen als Symbol für die Freiheit. Spatzen gibt es auf der ganzen Welt, und weil sie (anders als Menschen) nicht alles zerstören was ihnen in die Finger kommt, sind es vielleicht die freisten Geschöpfe auf diesem Planeten. 😉

Nachtrag:

Nun einige Wochen später geht es der Vitrine immer noch gut. Ich muss nur etwas aufpassen nicht mit zu viel Schwung dran vorbei zu gehen, damit die Feder nicht einmal durch den Raum fliegt. Ich werde sie wohl in ein kleines Glas stellen um dies zu verhindern.

Außerdem hat sie Gesellschaft bekommen. Während einer erneuten Mittagsrunde diesmal über den anderen Lagerteil von Neuengamme, stieß ich an den Überresten des alten Krematoriums erneut auf eine kleine schwarze Feder. Ich denke durch die dunkle Farbe, die mich an Kohle erinnert in Verbindung mit dem Ort an dem ich sie gefunden habe, haben mich dazu bewegt erneut eine Feder mitzunehmen. Ich fürchte, dass dies nun ein Muster wird und ich auch an anderen Gedenkstätten Ausschau nach Vogelfedern halten werde.

Nachtrag zum Nachtrag 😉

Jap … Es wird wohl wirklich eine neue Tradition für mich. Diese wie mein Freund sie titulierte “fettige dreckige Taubenfeder” kreuzte direkt beim Mahnmal von Bergen Belsen meinen Weg.

Zugegeben, ja sie war wirklich dreckig und sie ist so klein das ich noch nicht weiß, ob ich sie behalten werde.

Ich konnte in dem Moment dennoch nicht widerstehen. Sie hat mir förmlich zugewunken.

Vielleicht, wenn ich sie doch nicht behalte, weil ich mich Bergen Belsen einfach nicht so verbunden fühle, werde ich sie in Neuengamme fliegen lassen.