Zur Didaktik ästhetischer Darstellung des Holocaust

Textdiskussion zu Christian Angerer, Zur Didaktik ästhetischer Darstellung des Holocaust, Eine theoretische Grundlegung

Zeitschrift für Geschichtsdidaktik Jahresband 2006

This entry was posted in Allgemein. Bookmark the permalink.

8 Responses to Zur Didaktik ästhetischer Darstellung des Holocaust

  1. Dorothea Cramer says:

    Mir ist besonders deutlich geworden, dass der Unterschied zwischen einer primären und sekundären Darstellung des Holocaust in der Pädagogik die Sorge besteht, sich einer unlösbaren Aufgabe zu stellen. Die Funktion der Kunst ein ‘unverständliche Erfahrung erzählbar zu machen’ (Vgl. S. 20) finde ich insofern bedeutsam, als dass die Kunst mit ihrer ästhetischen Form dieses Erzählen möglich macht. Zugleich wird durch diese Form die Möglichkeit einer ästhetischen Distanz offengelegt, die (Vgl. S. 23) wie ein ‘Filter der Realität’ (Vgl. S. 24) wirken kann. Im Text wird von einer ästhetischen Distanzierung gesprochen, die vor einer emotionalen Überwältigung schützen kann. (Vgl. S. 25)

  2. Judith Polley says:

    In dem Text finde ich den Ansatz darüber zu diskutieren, welches Ziel eine Pädagogik der NS-Geschichte verfolgen sollte sehr spannend. Das Abweichen einer zu zielgerichteten, objektiven Vermittlung von Inhalten und eher die Fokussierung auf die Jugendlichen finde ich bei dieser Thematik unverzichtbar. Emphatie und Gefühle lassen sich nicht vermitteln (vgl. S.9/10) und die Thematik kann nicht als reiner “Lern-Zweck” (S.10) dienen, sodass eher ein Raum für selbstbestimmte Aneignung, Selbstreflexion und Bedeutung für die Gegenwart geschaffen werden muss (vgl. S.10/12). Es erfordert Sensibilität und Offenheit von Seiten der Lehrkräfte und das Schaffen eines Wahrnehmungsraums und individueller Aneignungsformen. Schon allein hier zeigen sich Parallelen zur Kunst und Ästhetik, sodass ich es einen guten Ansatz finde sich dieser auf Gefühlen und Individualität basierender Thematik durch eine ästhetische Herangehensweise zu nähern, denn Kunst kann zu einem Ausdruck von Erzählungen werden und wiederum wird Distanz durch den Einsatz ästhetischer Mittel geschaffen (vgl. S.20). Die künstlerische Herangehensweise kann also vielleicht am ehesten der Thematik gerecht werden: “Die ästhetische Darstellung wirkt wie ein Filter vor der Realität, der eine Bearbeitung des Schreckenerregenden in der Phantasie gestattet. Vorstellungskraft wird geweckt, Empathie angeregt, aber auch der Rückweg bleibt offen. Indem man heraustreten kann aus der
    ästhetisch vermittelten Identifikation, gewinnt man wieder Abstand und damit Raum für Gedanken über das Vorgestellte und Empfundene.” (S.24)

  3. Alysha Burrichter says:

    “Gerade weil die Holocaust-Erfahrung alle vertrauten Kategorien übersteigt, ist ihr nach Ansicht dieser Autoren nur die Kunst gewachsen.” (S.1)
    Dabei ist das Bedürfnis diese Erfahrungen ästehtisch zu bewältigen sehr groß, was zu vielen Darstellungen führt, die nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch für pädagogische Zwecke genutzt werden (S. 1,2) Interessant daran finde ich, dass Angerer in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass im didaktischen Rahmen keine ausreichende Reflexion über das gewählte Material erfolgt. (S. 2)
    Denn, die Vermittlung der NS-Geschichte soll weder objektiv noch zielgerichtet sein, viel mehr soll eine selbstbestimmte Aneignung, sowie Reflexion und eine Bedeutung für die Gegenwart geschaffen werden. Es geht dabei um Empathie und Gefühle, diese können jedoch weder vermittelt noch gelernt werden, deshalb müssen sich sich in der Auseinandersetzung herausbilden. (S. 9-12) Dabei ist es von Bedeutung, dass den SuS dieser Raum geboten wird, wobei Angerer der Auffassung ist, dass solch eine Raum durch eine ästhetische Auseinandersetzung mit dem Holocaust geboten wird: “Meine These lautet, dass künstlersiche Darstellungen dank ihrer komplementären Leistungen, uns durch Erzählungen die Geschichte nahe zu bringen und zugleich durch ästhetische Distanz den Abstand zur Geschichte zu wahren, die Verbindung von Einfühlungsvermögen und Reflexion fördern.” (24)

  4. Fenja Marie Knop says:

    Ich kann mich Judiths Beitrag nur anschließen! Die Kunst kann zum Mittel für das Nähern von Erzählungen der Geschichte und gleichzeitig Distanz, um Abstand zu bewahren, sein. Zudem, wie wir auch mehrfach im Seminar besprochen haben, fördert die künstlerische Herangehensweise die (Selbst)Reflexion (vgl. S. 24).
    Ich fand den Begriff der ästhetischen Distanz sehr spannend, welcher nicht die Teilnahmslosigkeit beinhaltet, sondern “sondern ist die Voraussetzung für die Verbindung von Einfühlungsvermögen und Nachdenklichkeit” (S. 23). Besonders passend fand ich die Bezeichnung die ästhetische Distanz als ein Regulativ zu sehen, welches zum einen vor emotionaler Überwältigung schützt und zum anderen zu reflexiver oder kreativer Bearbeitung anregt (S. 23/25).

  5. Lavinia von Hören says:

    Ich kann mich Judith zunächst einmal anschließen. Die Ziele der Pädagogik bei der Vermittlung des Holocaust liegen nicht darin, “Lernziele” vorzufomulieren und diese als starres Konstrukt zu vermitteln (S.8/9). Wichtig ist vielmehr, offen für neue Zugänge zu sein, sich auch mal uneinig zu sein und auch Unsicherheiten mit anderen teilen zu können (S.9). Ich finde es durchaus nachvollziehbar, dass die Pädagogik keine Autonomie und Empathie vermitteln kann. Allerdings kann der Unterricht so gestaltet werden, dass die Jugendlichen angeregt werden, sich zu autonomen Subjekten zu entwickeln.
    Als zentral empfinde ich auch das folgende Zitat: “Entsprechend gibt es in der gegenwärtigen didaktischen Diskussion eine Strömung, die dem Verlangsamen, Verzögern, Innehalten den Vorrang vor einer planvoll-effektiven Vermittlung von Inhalten einräumt. Dadurch wird für den Lernenden der Freiraum selbständiger
    kognitiver Arbeit und affektiver Erfahrungen am Gegenstand größer.” (S. 10). Hier zeigt sich vor allem, dass die Jugendlichen ermutigt werden sollten, sich selbstständig dem Thema zu nähern und sich nicht auf vorgegebene Informationen beschränken sollten. So können sie sich mit den Dingen beschäftigen, die für sie subjektiv von Bedeutung sind. Ich denke, dass ein offener Zugang durch künstlerische Herangehensweisen sehr sinnvoll ist. Die Ästhetik zeigt neue Wege auf, um Dinge anzugehen und hilft dabei, sich von starren Vorstellungen bzgl. der Thematik zu lösen.

    Kunst und Literatur werden zu “Erzählformen” für die Rezeption des Holocaust angesehen, da sie das Geschehene interpretieren und ihm eine neue Form geben können (S. 21). Diese neue Form kann so ziemlich durch alle erzählerischen Mittel dargestellt werden (episch, lyrisch, filmisch, fotografisch etc.). Ich empfinde es als sehr sinnvoll, mit Jugendlichen an (sprachlichen) Bildern zu arbeiten bzw. eigene zu entwickeln, um sich dem Thema Holocaust zu nähern.

  6. Alicia Alexy says:

    Mir wurde durch den Text vor allem ein Aspekt verdeutlicht, den wir schon vermehrt erkannt und erforscht haben. Und zwar, wird in dem Text von einer Art „Betroffenheits“-Pädagogik gesprochen, die Jugendlichen ein Mitfühlen und Empathie mit den Opfern sozusagen aufzuzwingen versucht. (S.13) Angerer erwähnt, dass Betroffenheit-Pädagogik die Jugendlichen mit dem inneren Konflikt belädt, gegen den sie sich automatisch wehren — eben weil sie nicht funktionalisiert werden wollen (ebd.) Auch wir haben diesen Aspekt des Öfteren angesprochen…und während des Seminars habe ich mir deswegen oft die Frage gestellt, wie Lehrende dem entgegen wirken könnten. Unter diesem Aspekt hat Angerer —meiner Meinung nach— eine passende Lösung gefunden, die mir irgendwie eine neue Sichtweise eröffnet hat. Und zwar erwähnt er, dass der Zugang zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust nicht nur durch die Sicht auf die Opfer vermittelt werden sollte – sondern vor Allem und am Besten durch eine kritische Reflexion des Verhaltens der Mittäter, Mittläufer und der Zuschauer (S.13). Eine Identifikation bzw. eine ‚Annäherung’ an die Täter*innen kann eine neue Reflexionsebene ermöglichen. Dahingehend können auch die Vermittlungskonzepte, die erarbeitet wurden, erneut reflektiert und ausgearbeitet werden. Eben weil Angerer auch erwähnt, dass Zeitzeug*innen bzw. Opfer des Holocaust bald nicht mehr ‚greifbar‘ sein werden, ist die Reflexion über die Täterschaft auch eine Möglichkeit den Aspekt der damaligen gesellschaftlichen Strukturen in das Hier und Jetzt zu übertragen, zu hinterfragen und daraus auch den eigenen Bezug zu ziehen.

  7. Johanna Schroeder says:

    Ich fand es sehr spannend, wie Christian Angerer die Stärken der Kunst und der Literatur als Medium der Vermittlung des Holocaust herausarbeitet und sie den allseits bekannten Formen gegenüberstellt: „[D]ank ihrer Freiheit zur Erfindung hat die Kunst die Chance, eine Gegenmacht zu vereinfachten Erzählungen im kollektiven Gedächtnis zu sein“ (S. 22). Kunst und Literatur können durch „ästhetische Interpretation und Differenzierung der Erinnerung“ (S.22) bewirken, dass wir, die sich mit der Geschichte auf diese Weise beschäftigen eine viel individuellere und auch intensivere Auseinandersetzung mit der Geschichte erfahren. Die Schwierigkeit oder wie es im Text beschrieben wird, die Unmöglichkeit der Darstellung des Holocaust kann durch eine Kombination aus „Realität und Fiktion“ (S. 22) umgangen werden, was in dokumentarischen Überlieferungen unmöglich zu erzählen ist, kann auf diese Weise und dadurch auch für nachfolgende Generationen, die ohne Zeitzeugen aufwachsen, erfahrbar gemacht werden. Diese Erfahrungen, die Angerer, so scheint es zumindest, immer mit einer emotionalen Erfahrbarkeit verbindet, kann als (Selbst)Reflexionsansatz für das Hier und Jetzt dienen. Dadurch wird eine Verbindung sowie eine Aktualität zwischen der Geschichte des Holocausts und dem Hier und Jetzt geschaffen, die essenziell für die Vermittlung der NS-Zeit ist.

  8. Sandra-Sabrina Schwerz says:

    Angerer beschreibt, dass es mithilfe künstlerischer Mittel möglich sei, mit der Holocaust-Erfahrung umzugehen und die „AutorInnen und KünstlerInnen mit ihren Werken dem Bedürfnis Ausdruck geben, die historische Erfahrung des Holocaust ästhetisch zu bewältigen“ (S. 2). Vor allem der Aspekt der Verschmelzung ästhetischer Maßstäbe mit historischen und moralischen Ansprüchen hat mich fasziniert, da Kunst auch mit der Erwartung von Authentizität konfrontiert wird (S. 16). Dies ist ja auch ein Aspekt, den wir im Seminar besprochen haben und der uns auch während unseres Besuches in Bergen-Belsen stetig begleitet hat. Angerer sagt dazu, dass es die grundlegende Aufgabe von Kunst und Literatur sei, „eine unannehmbare wie unverständliche Erfahrung ‚erzählbar‘ zu machen“ (S. 20). Obwohl die Holocaust-Erfahrung als solches für zukünftige Generationen und Schüler*innen unvorstellbar erscheint, ist die Kunst ein Weg dafür, eine Vorstellung vom Geschehenen zu ermöglichen: „Dabei haben Kunst und Literatur gegenüber alltagssprachlichen und wissenschaftlichen Zugängen den Vorteil, das Unbegreifliche mit Hilfe symbolischer Formen dennoch evozieren zu können.“ (S. 21). Auch das Beispiel des bildhaften Vergleiches, um die Erfahrung in der Vorstellung zu übertragen, finde ich an dieser Stelle sehr spannend. Besonders im Kopf geblieben ist mir die Aussage von Imre Kertész: „Vom Holocaust, dieser unfassbaren und unüberblickbaren Wirklichkeit, können wir uns allein mit Hilfe der ästhetischen Einbildungskraft eine wahrhafte Vorstellung machen“ (S. 21). Daran erkennt man noch einmal deutlich, welche Kraft der Kunst zugewiesen wird und was durch künstlerische Gestaltung bewirkt werden kann. Vor allem der Punkt, sich eine Vorstellung machen zu können als Voraussetzung dafür, „die Erfahrung weiter zu geben und ihre Konsequenzen zu bedenken“ ist meiner Meinung nach ein essentielles Ziel ästhetischer Darstellungen des Holocaust“ (S. 21).

Comments are closed.