Darf ich von einem Gedenkort etwas mitnehmen?

Im Rahmen eines Besuch an einer NS-Gedenkstätte oder einem Gedenkort sollte ein Fundstück mitgenommen werden. Es sollte dann beobachtet werden, wie dieses Erinnerungsstück später im privaten Raum zu Hause wirkt. In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage, ob man von einem solchen Ort überhaupt etwas mitnehmen dürfe.

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12 Responses to Darf ich von einem Gedenkort etwas mitnehmen?

  1. Judith Luisa Polley says:

    Zu dem Thema der kleinen Steine habe ich interessante Hintergründe gefunden. Wir haben uns ja alle gefragt, warum so viele Steine an Gedenkstätten abgelegt werden und warum gerade ein Stein. Ich finde unter dem Aspekt sieht man auch die Handlung, einen Stein mitzunehmen, auch wenn er heruntergefallen ist doch noch mal anders. Denn es steckt die Handlung und das Gedenken einer anderen Person an jüdische Opfer dahinter. Hier mal eine Erklärung:
    “Auf jüdischen Gräbern legt man keine Blumen, sondern Steine ab. Diese Sitte ist kein Ritual der Religion und auch nicht in den jüdischen Schriften zu finden, sondern ein uralter Brauch. Er stammt aus der Zeit, in der Juden auf der Flucht aus Ägypten durch die Wüste zogen. Dort gab es keine Blumen und auch keine schönen Grabsteine. Wenn jemand gestorben war, brachten die Angehörigen zur Bestattung kleine Steine mit und schichteten sie auf dem Grab auf. Damit schützten sie den Leichnam vor wilden Tieren. Gleichzeitig markierten sie das Grab, damit Besucher es später finden konnten. Auf jüdischen Friedhöfen geht es aber auch um die Gleichheit aller Menschen. Niemand soll durch übertriebenen Blumenschmuck über andere gestellt werden.”
    siehe auch: warum legt man kleine Steine statt Blumen auf jüdische Gräber?
    Oder auch: “Auch ich war hier, sagt man damit und lässt etwas zurück von sich, etwas, das mit Ehrerbietung für die Toten zu tun hat und auch als Stütze für die Angehörigen gelten kann. Diese sehen, wenn sie das Grab besuchen: Sie sind nicht allein mit ihrem Verlust, es gibt viele, die an den Toten denken und den Verlust mit ihnen teilen. Und es gibt viele, die das zeigen möchten: diskret, anonym — aber sichtbar. Als eine Geste, die Kraft gibt.”
    siehe dazu: Steine auf dem Grabstein

  2. Anja Lambers says:

    Wirklich spannend was du herausgefunden hast Judith!
    Ich finde die Frage ist schwer zu beantworten, da es für mich glaube ich darauf ankommt, was man mitnimmt. Ich würde beispielsweise niemals etwas mitnehmen, von dem ich denken würde, dass ein anderer Mensch den Gegenstand dort mit Absicht, mit einer Bedeutung abgelegt hat, wie zum Beispiel solch einen Kieselstein auf einem Grab. Würde es jedoch eine Art Schotterweg geben, wo hunderte Kieselsteine auf dem Boden liegen, wäre es für mich kein Problem, einen solchen mitzunehmen, da ich annehmen würde, dass dieser Stein keine Bedeutung in dem Sinne hat. Mein Fundstück (Papierfächer aus einem Blumenkranz) habe ich somit auch nur mitgenommen, weil er bereits aus dem Kranz gefallen war und er wohl keine Bedeutung für einen einzelnen Menschen hatte.
    Allgemein finde ich, ist es eine schöne Idee, so etwas wie eine wild wachsende Blume von einem Gedenkort mitzunehmen und diesem eigentlich bedeutungslosen Gegenstand eine Bedeutung zu geben, indem man mit ihm diesen Gedenkort verbindet.

  3. Fenja Marie Knop says:

    Spannend Judith!
    Ich kann mich Anja zu 100% anschließen. Für mich ist es ebenfalls abhängig davon, was man von dem Ort mitnimmt, wie Anja schon begründet hat. Bestenfalls sollte man sich informieren. An dieser Stelle muss ich immer an Sandras kleinen Stein denken, welcher ein Stück von einem anderen, zerstörten Gedenkstein darstellt. Ich finde es sehr gut, dass Sandra sich über ihr Fundstück informiert hat und diesen auch wieder zurück bringen möchte. So lange nicht in den eigentlich Gedenkort eingegriffen und vielleicht sogar ein Stück zerstört wird oder persönliche Gegenstände/ Andenken von anderen Personen mitgenommen werden, finde ich es völlig akzeptabel!

  4. Sandra-Sabrina Schwerz says:

    Ich kann mich dem Gesagten nur anschließen 🙂 Aufjedenfall sehr spannend, deine Recherche Judith! Ich bin auch der Meinung, dass es darauf ankommt, was man mitnimmt. Ich finde es defintiv wichtig und super, dass wir uns mit den mitgenommenen Sachen auseinandersetzen und wir ihnen teilweise einen neuen Nutzen zuschreiben (bspw. im Haushalt als Dekoration). Somit geraten sie auch durch unsere Skizzen und Fotos nicht in Vergessenheit und erhalten vielleicht auch einen neuen Nutzen.

  5. Franciska Henning says:

    Ich finde es klasse, nun endlich die Hintergrundinformationen zu dem Brauch mit den Steinen zu haben! Das ist sehr spannend. Vielen Dank fürs raus suchen!
    Ich denke auch das diese Frage, wie so vieles in dem Bereich extrem individuell zu betrachten ist.
    Wo ich der Aufgabenstellung etwas von dem Ort mitzunehmen zu Beginn des Seminars sehr kritisch gegenüberstand, kann ich nun sagen das sich meine Ansicht gewandelt hat und ich diese Aufgabe für sehr lehrreich erachte. Denn so wurden wir gezwungen sehr genau unsere Handlungen an diesem Ort zu reflektieren und uns auch nur mit dem kleinsten Details und Gegenständen auseinander zu setzen, ihre Bedeutung für den Ort und das Gedenken zu reflektieren und dabei etwas über uns selbst und unseren Umgang mit dem Thema zu erfahren. Dies halte ich also vielleicht auch innerhalb der Vermittlungsarbeit für eine gelungene Einstiegsaufgabe, um eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit der Geschichte und ihrer Bedeutung für die Gegenwart zu fördern.

    • Shila Aghassi says:

      Ich kann mich dir nur anschließen! Du nennst in deinem Beitrag genau die Punkte, die auch für mich eine große Rollen spielen: Auseinandersetzung mit Handlungen und Gefühlen, Reflexion und Gegenwartsbedeutung. Nicht nur für die schulische Vermittlung, sondern auch für mich persönlich, habe ich diese Aufgabe als sehr bedeutsam wahrgenommen.

  6. Dorothea Cramer says:

    Die herausfordernde Aufgabe unserer Dozentin etwas von unserem Gedenkstättenbesuch MITzunehmen hat innerhalb unseres Seminars ja für reichlich Diskussionsstoff gesorgt. Das persönliche Erleben hat bei mir persönlich zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung geführt, von der ich unter der Rubrik Fundstück berichte. Ich musste im Nachhinein auch darüber nachdenken, warum es vielleicht schwer gefallen ist etwas und insbesondere einen Stein mitzunehmen, der so ‘aufgeladen’ erscheint. Wenn man bedenkt, dass Kinder beispielsweise viel unvoreingenommener ständig Dinge mitnehmen müssen…ein Stock, ein Stein oder eine Blüte…dann liegt es vermutlich daran, dass wir sehr erwachsen geworden sind und Dinge symbolisch mit einer Bedeutung aufladen, die im Falle des Steines ein Sediment transformieren. Hat wirklich jemand bewusst den Stein dort abgelegt? Oder gehen wir nur davon aus? Ich für meinen Teil spüre die Bedeutung und konnte sie für mich bewältigen. Eine spannende Erfahrung!

  7. Johanna Schroeder says:

    Das ist wahnsinnig spannend was du da recherchiert hast Judith! Jetzt kennt man den tatsächlichen Hintergrund des Brauchs und es lassen sich viele unserer Beobachtungen, die wir wären unseren Recherchen vor Ort aber auch in Bergen Belsen gemacht haben erklären.
    Ich stand zu Beginn des Seminars der Aufgabe etwas von unseren Gedenkorten mitzunehmen etwas skeptisch gegenüber, da mich genau diese Frage beschäftigt hat; Darf man von einem Gedenkort überhaupt etwas mitnehmen und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Das war auch der Grund, warum ich mich bei meinem ersten Besuch dagegen entschieden habe etwas von diesem Ort mitzunehmen. Außerdem war und bin ich immer noch der Ansicht, dass dieser Gegenstand nicht wahllos gewählt werden sollte und nur um die gestellte Aufgabe zu erfüllen. Ein solcher Gegenstand sollte gut gewählt sein, persönliche Bedeutung oder zumindest eine persönliche Verbindung zwischen dem Ort, dem Gegenstand und sich selbst herstellen und auf keinen Fall sollte er Teil des Gedenkortes selbst sein. Dazu zählt für mich der Gedenkort selbst (Tafel, Stein, Säule, etc.) sowie an diesem Gedenkort bewusst platzierte Gegenstände (frische Blumen, Kränze, Steine, Bilder, etc.). Was die unmittelbare Umgebung des Ortes angeht bin ich der Meinung, dass man von dort durchaus etwas mitnehmen darf. Allerdings sollte das alles in Maßen und dem Gedenkort angemessen passieren.

  8. Alysha Burrichter says:

    Vielen Dank für deiner Recherche Judtih! Das klärt wirklich vieles auf und eröffnet auch einen Aspekt, welcher aufzeigt, dass man nicht einfach alles unhinterfragt von einer Gedenkstätte mitnehmen sollte. Es wichtig sich darüber Gedanken zu machen, ob es sich dabei um ein für den Ort vorgesehenes Element handelt, oder eines, dass am Ort war, aber erstmal keine Bedeutung für diesen hat. Diese Differenzierung legitmiert für mich das Mitnehmen, denn wie Franciska sagte hilft uns dieser Gegenstand über den Ort zu reflektieren, auch wenn er an sich keine Bedeutung für den Ort hat, erhält durch uns s/eine/unsere Bedeutung.

  9. Lavinia von Hören says:

    Bei mir hat die Aufgabe, einen Gegenstand von einem Gedenkort mitzunehmen, Unsicherheit ausgelöst. Aus diesem Grund habe ich bei meiner Recherche vor Ort keinen Gegenstand entwendet. Besonders Dorothea schien im Nachhinein große Schwierigkeiten damit gehabt zu haben, einen Stein von ihrem Gedenkort mitgenommen zu haben. Für mich ist das verständlich – irgendwie entsteht das Gefühl, man würde in den Gedenkort selbst eingreifen und etwas entwenden, das dazugehört. Ich persönlich habe mit mir selbst, auch aufbauend auf Diskussionen im Seminar, ausgemacht, dass die Mitnahme eines Gegenstandes für mich in Ordnung ist, sobald…
    … er nicht absichtlich abgelegt wirkt
    … er nicht auf einem Gedenkstein abgelegt wurde
    … er nicht offensichtlich zum Gedenkort gehört
    UND
    … es sich um Naturmaterialien (Blumen, Rinde, Steine etc.) handelt, die am und um den Gedenkort zu finden sind, aber nicht bewusst für das Gedenken dort platziert wurden.

  10. Alicia Alexy says:

    In mir hat die Aufgabe, einen Gegenstand mitzunehmen, viele Emotionen ausgelöst. An meinen ersten Gedenkort bin ich mit der Intention des Dokumentierens und Anteilnehmens herangegangen. Und gleichzeitig hatte ich im Hinterkopf, dass ich etwas mitnehmen kann/ soll..sogar muss. Das Suchen nach einem geeigneten Gegenstand hat mich zunächst irgendwie aufgewühlt, weil ich nichts unersetzliches mitnehmen wollte. ..So fiel die Wahl auf einen kleinen Stock, der von den Bäumen heruntergefallen war und auf einer Gedenktafel lag.

    Zuhause angekommen platzierte ich diesen Stock auf einem Regal und in der Retrospektive kann ich sagen, dass ich seitdem immer darauf geachtet habe, dass de Stock: 1. von nichts überdeckt wird, 2. nicht bewegt wird, 3. im angemessen Abstand von den anderen Gegenständen platziert ist.
    Diese Handlungen scheine ich fast unterbewusst gemacht zu haben und erkenne in der Reflexion ein gewisses Muster. Der Stock ist für mich emotional und symbolisch aufgeladen – für nicht involvierte Personen ist er wirklich nur ein simpler Stock, doch für mich symbolisiert er eben jenes Mahnmal und die Atmosphäre des Ortes.

    Eben weil ich selbst diese emotionale Erfahrung gemacht habe und damit einen eigenen symbolischen Gedenkort in meinem Raum geschaffen habe, möchte auch ich mich für die Mitnahme von Gegenständen aussprechen. Gerade Schüler*innen können von dieser Erfahrung profitieren und so den Ort des Gedenkens mit nach Hause nehmen, weiter gedenken und mitfühlen.
    Auch möchte ich mich den Aspekten von Lavina anschließen und bewerte diese “Ausschlusskriterien” als angemessen.

  11. Valerie Elisabeth Schwenke says:

    Ich denke auch, dass es entscheidend ist, was von dem Gedenkort mitgenommen wird. Auch ich würde den Auswahlkriterien Lavinias zustimmen und persönlich nichts entwenden, welches bewusst an dem Ort abgelegt wurde. So würde ich z.B. keine Blumen mitnehmen, die davor abgelegt wurden und auch Steine, die direkt auf oder vor dem Gedenkstein plaziert wurden. Bei dieser Mitnahme hätte ich das Gefühl das Gedenkenen eines/r Anderen zu zerstören, die vielleicht ein familiäres Schicksal mit diesem Gedenkort verbinden.
    Bei der Mitnahme habe ich mir viele Gedanken gemacht und daher meist Blätter mitgenommen, die von dicht stehenden Bäumen stammten. Dabei hatte ich das Gefühl, dass sie von diesem Ort stammen und ich sie damit eindeutig für mich persönlich verbinde. Die Bäume standen wohl noch nicht da, als sich die Verbrechen an diesen Orten zutrugen. Trotzdem transportieren sie für mich das Gedenken an diese Orte und ich kann beobachten, wie sie langsam verwelken/trocknen.

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