Im Jahr 1842 versetzte ein Großflächenbrand die Bewohner/innen der Stadt Hamburg in Angst und Schrecken: In der Nacht zum 5. Mai entflammte ein Speicher in der Deichstraße und in den kommenden drei Tagen wurde ein Großteil der Stadt von den Flammen erfasst (vgl. NDR 2017). Von diesem Brand erzählt auch das Kolportageheftchen Hamburg in seiner fürchterlichen Unglückszeit, den 5. [sic!] 6. und 7. Mai 1842.
Einzuordnen ist dieses Heft in die Kategorie der Katastrophen, spezifischer betrachtet in die der Naturkatastrophen (vgl. Petzoldt 1974, 73f.). Das Heftchen umfasst acht Seiten mit den strukturellen Bestandteilen Titelblatt, Prosatext und Lied, die teilweise durch stilisierte Illustrationen geziert werden – wie sie sich identisch auch in anderen Heftchen finden.
Bei dem großen Brand in Hamburg handelte es sich um ein einschneidendes Ereignis für die Stadt und ihre Einwohner. Der Aspekt der Aktualität des Geschehnisses und ihr Modus der Darstellung im damaligen Zeitraum wird im Rahmen dieses Beitrags zentral analysiert. Anzumerken ist, dass das Brandereignis gemäß dem Titel des Heftchens nicht exakt mit dem Zeitraum des realen Geschehens (5. bis 8. Mai 1842) übereinstimmt, dennoch wird auch im Heftchen der 8. Mai als Datum der Beendigung des Feuers explizit erwähnt (vgl. S. 5). Bereits der Titel des Kolportageheftchens stellt die schon damalige Welt- und Hanse-Stadt Hamburg in den Vordergrund und erzeugt mit der Formulierung „Hamburg in seiner fürchterlichen Unglückszeit“ einen Anthropomorphismus. Das Bild auf dem Titelblatt, zwei sich umfassende Hände, symbolisiert den Zusammenhalt der Hamburger Bewohner, aber auch die Hilfe der umliegenden Gebiete.
Welche Aspekte des Ereignisses könnten für die damalige Leserschaft von Interesse gewesen sein und mit welchen sprachlichen Mitteln erfolgt die Darstellung? Der Beginn vermittelt Spannung, steht jedoch gleichzeitig im Kontrast zur Stille der Nacht mit ihrer Friedfertigkeit, Sorglosigkeit und Heiligkeit, welche durch einen „Säugling“ symbolisiert wird, der in „goldenen Schlaf gehüllet“ (S. 1) war. Die Leserschaft wird dann auf „das Unglück, den Untergang, den die Zukunft in ihrem dunklen Schooße ihm aufbewahrte“ (ebd.) vorbereitet, wohingegen die Bewohner der Stadt noch nichtsahnend waren. Der plötzlich geäußerte „Schreckensruf Feuer! Feuer!“ (S. 2) war ein Weckruf für die schlafenden Stadtbewohner. Eine Beschreibung der Brandausbreitung folgt, die in ihrer detailreich dargestellten Chronologie einen Eindruck vom Geschehen übermittelt. Trotz einerseits sachlicher und exakter Orts- und Zeitangaben werden andererseits mit Eloquenz und Bildhaftigkeit emotionsschürend das Brandunglück und sein Fortgang beschrieben. Der Brand wird im Text metaphorisch als „reißendes“, „wutentbranntes“ beziehungsweise als „unersättliches Element“, „Brandes Wut“, „verheerende Flamme“ und „Flammenmeer“ beschrieben und kulminiert in einem „reißenden Thier, das sich in seiner Wuth vergebens über seine Beute herwirft und ergrimmt“ (S. 4), und das motiviert war zu töten. Dies vermittelt den Eindruck eines aktiv handelnden, bestialischen Subjekts, welches Opfer forderte. Auffällig ist, dass der Text relativ sachlich über den Brandverlauf berichtet und nicht auf individuelle Schicksale eingeht. Am Schluss wird die Einäscherung von 2.000 Gebäuden auf 60 Straßen und die Obdachlosigkeit von nahezu 10.000 Menschen resümiert, bevor das Feuer eingedämmt wurde (vgl. S. 5).
Die Brandursache sowie die genaue Lokalisation des Brandausbruchs bleiben unerwähnt. Es werden Informationen über die Uhrzeit sowie über die jeweils ‚aktuelle‘ Brandlokalisation durch Straßen- und Gebäudenamen gegeben. Außerdem verschlimmerte ein von SSO kommender Wind die Brandausbreitung und deren Folgen (vgl. S. 3). Der Kolportagetext weist insgesamt einen hybriden Charakter auf: Einerseits wirkt er wie ein faktenorientierter, realitätsbezogener, informativer Augenzeugen-Bericht. Die Gebäudeschäden, aber auch die Schädigungen und Verletzungen der Menschen sind insbesondere für die Hamburger Leserschaft präsent, weil sie ‚in ihrer Stadt‘ direkt sicht- und erfahrbar sind, wie die zerstörte „ehrwürdige Petrikirche“ (S. 4f.). Andererseits wird bei der Schilderung der Brandausbreitung durch die Verwendung rhetorischer und gestalterischer Mitteldie Leserschaft adressiert, ihre Aufmerksamkeit aufrechterhalten und ein kurzweiliges, anschauliches und unterhaltendes Lesen erzeugt. Die Textgestaltung ermöglicht es den Adressat/innen, in das Geschehen einzutauchen beziehungsweise das „Schauspiel“ (S. 3) zu betrachten.
Wenn von Opfern die Rede ist, sind hauptsächlich Gebäudeschäden, aber auch Personen gemeint. Hervorzuheben ist, dass der Prosatext auf inhaltlich-chronologischer Ebene sachlich, aber auf rhetorisch-sprachlicher Ebene affektiv gestaltet ist – das macht seinen Hybridcharakter aus. Das Lied hingegen appelliert an die Menschen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen und das Unglück nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Laura Indefrey / Paula Reimann / Luisa Wegener