Gottfried v. Gardikzi, oder des Vaters Fluch u. Weheruf.

Landesbibliothek Oldenburg, Spr XIII 4c 2a:2,19

Das Bänkelsang-Heftchen Gottfried v. Gardikzi, oder des Vaters Fluch u. Weheruf. Eine wahre, dem Berichte einer Monatsschrift entnommene Geschichte, deren traurige Beendigung mit dem Brande der „Austria“ in enger Verbindung steht wurde in Jever durch C. L. Mettcker u. Söhne gedruckt und, aller Wahrscheinlichkeit nach, im Oktober 1865 in den Bestand der Zensurstelle in der Bibliothek Oldenburg aufgenommen. Das Datum ist mit Bleistift auf dem Titelblatt vermerkt und hinsichtlich der Verarbeitung des Brandes des Schiffes Austria 1858 plausibel. Das Heftchen hat acht Seiten mit Seitenzählung und ein Lied, welches auf der Seite sieben beginnt. Im Katalog Bänkellieder und Jahrmarktdrucke (Koolman 1990) hat der Text die Nummer 317, in der Bibliographie Tausend deutsche populäre Drucke (Schenda 1971) die Nummerierung 379.

Landesbibliothek Oldenburg, Spr XIII 4c 2a:2,19

Der Text behauptet für sich, wahr zu sein: „Eine wahre, dem Bericht einer Monatsschrift entnommene Geschichte“ (S. 1). Als wahr lässt sich zumindest der Brand des Schiffes Austria bestätigen. Durch den Bezug auf eine Monatsschrift versucht sich der Text, als authentisch hervorzuheben, der Bestand einer solchen Monatsschrift lässt sich aber nicht bestätigen.

Der Prosatext wird durch ein Motto, niedergeschrieben auf dem Titelblatt und durch einen Einschub vor dem Lied ergänzt, gerahmt und so moralisch wie inhaltlich ‚vorgedeutet‘.

Landesbibliothek Oldenburg, Spr XIII 4c 2a:2,19
Landesbibliothek Oldenburg, Spr XIII 4c 2a:2,19

Es ist zu unterstreichen, dass sich das Motto und die Erzählhaltung in gewisser Weise widersprechen. So kommentiert der Erzähler: „Der Vater, statt die Sache vernünftig zu überlegen, ward zornig und nannte in seinem Adelstolze Marie verächtlich eine bürgerliche Kreatur“ (S. 3). Mögliche Erklärungen dieser Diskrepanz könnten sein: 1.) Es liegt am (Ordnungs-)Schema, dass die Moral dem Inhalt entgegensteht; 2.) Durch Bearbeitungen des Ursprungstextes könnten Brüche entstanden sein; 3.) Das Motto könnte der Versuch sein, ein tabuisiertes Thema zu tarnen. Gerade die letzte Erklärungsmöglichkeit ist es hinsichtlich der breiten Motivwahl, der Kommentare der Erzählinstanz und des Inhalts selbst wert, in näheren Analysen betrachtet zu werden. Mithilfe des Mottos wird eine Moralvorstellung entworfen, welche das Ende (Tod des Liebespaares, Katastrophe) des Textes fatalistisch vorherbestimmt.

Gottfried v. Gardikzi, Sohn des Barons von Gardikzi, verliebt sich in die Bürgerliche Marie. Als der Baron die Beziehung wie auch die Heirat zwischen beiden mit einem Fluch ablehnt, fliehen diese aus ihrer Heimat und werden von Räubern überfallen. Gottfried erschießt den Hauptmann der Bande, wird selbst Anführer der Gruppe und sorgt so innerhalb dieser für einen ehrbaren Lebenswandel. Als Gottfried nach einigen Jahren vom nahenden Tod seines Vaters erfährt, zieht er zu ihm und bekommt sein Erbe zugesprochen – zudem erhofft sich der Baron, dass der Effekt seines Fluchs niemals erfolgen möge. Gottfried versucht mit seiner Frau, seinen Kindern und zwei seiner Gefährten auf dem Schiff Austria nach Amerika auszuwandern, dies scheitert jedoch aufgrund des Brandes katastrophal.

Das „Motivkaleidoskop“ (Braungart 1985, S. 371) ist innerhalb der Darstellung prägend. Auffindbar sind Motive des Märchenhaften, des Volkstümlichen, des Ständekampfes, einer tragischen Liebesgeschichte wie auch das Austria-Motiv, das Motiv des zurückkehrenden Sohnes, das Auswanderungsmotiv und das Räubermotiv (mit einem Wechsel zum Edelmütigem). Einige dieser Motive, v. a. der Ständekampf, profitieren von der oben dargestellten Tarnung; auch die Darstellung der Räuber ist diesbezüglich in den Blick zu nehmen. So „galten seine Raubzüge [die Raubzüge unter der Leitung Gottfrieds] den reichen Prassern und tyrannischen Edelleuten […] und von den Gütern, welche geraubt waren, ließ Gottfried 2 Theile unter die Armen und Nothleidenden vertheilen“ (S. 5). Im Gegensatz zu diesem „tyrannischen Edelleuten“ und Adeligen wirken die Räuber hier äußerst edel und wohltätig. Ähnliches lässt sich hinsichtlich der Soldaten und der Polizei erkennen: „So lebten Gottfried und Marie ungefähr 6 Jahre unter der Bande, ohne daß derselben von Seiten der Behörde durch energische Schritte große Gefahr gedroht hätte“ (S. 5) und die Soldaten, welche die Räuber angriffen, werden im Kampf geschlagen (vgl. S. 6). Warum solche ‚kritischen‘ Inhalte nicht zensiert wurden, lässt sich hinterfragen: Begründungen könnten der Unterhaltungsfaktor (im Sinne einer Komödie) wie auch die am Ende stehendende schicksalhafte, durch das Motto vorgedeutete Bestrafung sein.

Marc Goeppentin / Julia Senftner / Anna Strothotte