Gerechte Strafe einer Raben-Mutter, oder: schreckliche Verirrung eines Weibes. Wahre Begebenheit der neuesten Zeit.

Das Heftchen, mit dem Untertitel Wahre Begebenheit der neuesten Zeit, wurde von C. Schulze u. Co. in Schmiedeberg (Prov. Sachsen) gedruckt. Das Heftchen hat das Format 17,8 x 11,0 cm und umfasst eine Titelseite, vier Seiten Text und zwei Seiten Lied. Das Lied besteht aus zehn Strophen mit je sechs Versen. Der Titel ist mit Ornamenten umrahmt, ansonsten schlicht gestaltet und enthält kein Bild. Dabei ist der Titel „Gerechte Strafe einer Raben-Mutter“ auffälliger, da er größer geschrieben ist, obwohl der zweite Titel – „schreckliche Verirrung eines Weibes“ – inhaltlich passender wäre.

Die Geschichte über die in die „südlichen Staaten Amerikas“ ausgewanderte Familie Harlengton spielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Vater, Emil Harlengton, nimmt seinen jüngeren Bruder Eduard auf seine Farm auf, welcher daraufhin seine Ehefrau begehrt. Es entstehen eine Romanze und ein gemeinsamer Plan für Mordanschläge gegen Emil und die Kinder. Dieser kann jedoch verhindert werden und die Verbrecher erhalten ihre gerechte Strafe.

Petzoldt (1974) ordnet Kolportage-Texte in Kategorien ein, was bei diesem Text nicht eindeutig möglich ist. Es lassen sich Elemente aus den verschiedenen Kategorien Liebesgeschichten und persönliche Tragik, Verbrechen und Prozeßberichte, Volkstümliche Motivik, Exotika und Religiöse Thematik finden. 

Liebesgeschichten und persönliche Tragik | Laut Petzoldt gibt es in dieser Kategorie nur zwei Arten, wie eine Geschichte endet; entweder mit der Vereinigung in der Ehe oder im Tod. Hier endet die Geschichte mit der Vereinigung der Liebenden im Tod. Auch, dass die Mutter sich gegen ihren Mann und ihre eigenen Kinder stellt, zeigt einen tragischen Verlauf und verkörpert Untreue, Boshaftigkeit und Verbrechen.

Verbrechen und Prozeßberichte | Eduard und die Mutter planen, Emil und die Kinder umzubringen. Dabei ist die Mutter eher in der Rolle der Mitläuferin, die von Eduard angestiftet wird. Auffällig ist, dass alle Personen mit urteilenden Adjektiven bzw. substantivierten Adjektiven beschrieben werden (Mutter = entsetzlich, herzlos, die Elende, Vater = brav, nichtsahnend, der Unglückliche). Zudem werden die schwarzen Knechte, im Rückgriff auf rassistische Stereotype, explizit als böse dargestellt. 

Volkstümliche Motivik | Verschiedene Elemente erinnern wiederholt an ein Märchen wie auch an eine Fabel. Typisch für eine Fabel ist die belehrende Absicht, die sich auch am Ende dieser Geschichte wiederfindet, als der Tiger statt der Kinder die Verbrecher frisst. Somit wendet sich das, was diese den Kindern antun wollten, gegen sie selbst. Zudem versorgt der Hund die Kinder und beschützt sie wie ein Vater. Diese Wendung zum glücklichen Ende ist ein typisches Merkmal für Märchen. Dazu gehört auch die ausgleichende Gerechtigkeit. Zudem ähneln Handlungselemente der Geschichte dem Schneewittchen-Märchen (Knechte bringen es nicht übers Herz, Emil zu töten, so wie der Förster bei Schneewittchen) sowie Hänsel und Gretel (Mutter will die eigenen Kinder töten und bringt sie dafür in den Wald).

Exotika | Der Reiz der Fremdheit lässt sich darin begründen, dass die Geschichte in Amerika spielt und mit dem Tiger als exotisches Element ausgeschmückt ist, welcher weder in Nord- noch in Südamerika zu finden ist. In der Literatur begegnet der Tiger als Symbol für das Grausamesteht zuweilen aber auch für Fürsorge und Rätselhaftigkeit (vgl. Ferretti 2012, 446).

Religiöse Thematik | In der Geschichte wird immer wieder Gerechtigkeit durch Gott geschaffen („Lohn der himmlischen Gerechtigkeit”). Beispielsweise wird der Hund als Beschützer der Kinder von Gott gesandt und die Geschichte wendet sich erst durch Gottes Eingreifen zum Guten („Gott gedachte es gut zu machen“). Außerdem fürchten die zum Mord beauftragen Knechte Gottes Strafe und bringen Emil deshalb nicht um. Auch im Lied wird Gott erwähnt, in dem es heißt „Gottes Auge schläfet nicht”.

Lied | Die Gestalt des Liedes ist durch Kreuz- und Paarreime sowie eine durchgehende jambische Struktur gekennzeichnet. Durch diese einheitliche Struktur lässt sich das Lied besonders gut vortragen. Allerdings weist das Lied einige inhaltliche Unterschiede zum Text auf. So wird die Moral im Lied nicht ganz deutlich, da das Gespräch zwischen Emil und den Kindern fehlt. Außerdem wird das ganze Vorhaben so dargestellt, als sei die Mutter unmittelbar am Plan beteiligt, während sie im Text eher wie eine Mitläuferin wirkt, die von Eduard beeinflusst wird. Was im Lied jedoch deutlicher wird, ist das schlechte Gewissen der Mutter, da sie ihre Schuld gesteht.

Hannah Bronsema / Elisabeth Horstjann / Marieke Polzin / Janka Wittschen