Gegenseitige Macht der Liebe oder Schwur der Treue. Höchst merkwürdiger Vorfall aus der neusten Zeit.

Der Kolportagetext trägt den Titel Gegenseitige Macht der Liebe und den Zweittitel oder Schwur der Treue. Das Titelblatt beinhaltet außerdem einen Untertitel: Höchst merkwürdiger Vorfall aus der neusten Zeit. Das Heftchen ist von der Lüdecke’schen Buchdruckerei in Osnabrück gedruckt worden, das Entstehungsjahr ist unbekannt.

Bei dem Medium des Textes handelt es sich um ein Heftchen aus acht Seiten. Es setzt sich aus einem Titelblatt, dem Prosatext und einem Lied, welches sich am Ende des Heftchens befindet, zusammen. Bei der Untersuchung des Verhältnisses zwischen Prosatext und Lied wird deutlich, dass der Text wesentlich länger ist und den Hauptteil des Heftchens ausmacht. Die Handlung des Heftchens wird nicht in Kapitel unterteilt, jedoch geben mehrere einzelne Absätze der Erzählung eine Gliederung.

Das Titelblatt ist lediglich mit einigen dezenten Verzierungen versehen. Zu finden sind darauf Titel, Untertitel und Buchdruckerei. Da der Titel durch seine große Schrift hervorsticht, weckt er das Interesse des Lesers.

Das Heftchen lässt sich dem Typus „Liebesgeschichten und persönliche Tragik“ (vgl. Petzoldt 1974, 66ff.) zuordnen. Hierbei könnte man den Text sowohl der ‚romantischen Liebe‘ als auch der Thematik ‚Familie‘ zuordnen. Der Text behandelt die Liebe zwischen Mann und Frau, aber auch die Beziehung einer Mutter zu ihrem Kind.

Die histoire in Macht der Liebe behandelt ein französisches Liebespaar, welches auf dem Weg zur von beiden gewünschten Eheschließung vor einige Hindernisse gestellt wird. Georg und Clemence, die aus den „gleichen Standes- und Vermögensverhältnissen“ kommen und deren Familien einander gut verstehen, sind ein glückliches Liebespaar und möchten heiraten. Während Georgs Mutter ihre Einwilligung aus Paris schickt, bekommt Georg per Post mitgeteilt, dass er in den Krieg im fernen Indien ziehen muss. Als das Paar es nicht schafft, Clemences Vater zu einer vorzeitigen Hochzeit zu überreden, vollziehen sie die Ehe des Nachts heimlich im Garten. Georg fällt im Krieg, woraufhin Clemences Vater seine Tochter mittels einer (neuen) Hochzeit tröstet. So heiratet sie Herrn von Servi, zieht mit ihm nach Paris, wo sie ein Baby bekommt. Dennoch stirbt sie an Liebeskummer.

Inzwischen stellt sich heraus, dass die Todesbotschaft über Georg falsch war. Dieser ist lediglich in Gefangenschaft geraten und kann schließlich entkommen. In Paris angekommen erfährt er von Clemences Tod. Durch einen Zufall erscheint er bei den Beerdigungsvorbereitungen für Clemence in der Kirche. Georg schafft es, den Totengräber zur Graböffnung zu überreden, und erinnert sich an ihre letzten Worte: „Welche Zauberkraft haben deine Küsse, ich glaube, im Grabe belebt mich ein zweiter.“ Georg küsst also Clemence, welche tatsächlich aufwacht. Sie reisen „in die Colonien“, wo sie sich (erneut) trauen lassen, kehren jedoch nach einem Jahr zurück nach Paris, da Clemence ihre Tochter vermisst. Bei Clemences Anblick stirbt der Totengräber. Auch ihr Mann und ihre Tochter erkennen die Wiederauferstandene und sie landet vor Gericht, wo sie sich als eine bloß ähnlich aussehende ausgibt. Als Clemence jedoch auf ihre Tochter trifft, wird die Wahrheit enthüllt und sie muss zurück zu ihrem alten Ehemann. Schwach kommt sie bei diesem an und stirbt kurz darauf, da sie gemeinsam mit Georg ein Gift eingenommen hat.

Obwohl man moralisch gesehen der Figur der Clemence beispielsweise Ehebruch oder das Verlassen ihres Kindes vorwerfen könnte, wird zu Beginn der Geschichte durch die Beschreibung der Personen als unter anderem schön und wohlerzogen sichergestellt, dass der Leser eine Sympathie zu ihr, so wie zu Georg hegt.

Interessant ist auch, dass uns allen das Motiv des Gifts bekannt ist: Auch in Romeo und Julia wählt ein Liebespaar den gemeinsamen Tod.

Auf den Prosatext folgt ein Lied aus 13 vierzeiligen Strophen, welches im Kreuzreim geschrieben ist und dadurch melodisch wirkt. So wird die harmonisch liebevolle Stimmung unterstützt, die einen mit dem Paar mitfühlen lässt, ohne Kritik an den Handlungen der Liebenden auszuüben.

Die ersten zwei Strophen sind aus der Sicht Clemences verfasst, die ihre Liebe zu Georg bekundet. Darauf folgt eine erneute Wiedergabe der Handlung des Prosatextes durch ein unbeteiligtes lyrisches Ich. Hervorgehoben wird dabei stets die innige Liebe zwischen Georg und Clemence.

Da das Lied lediglich eine Wiedergabe des vorangegangenen Textes darstellt, liefert es keine neuen Aspekte oder Sichtweisen. Es untermauert jedoch die Stimmung, die im Prosatext aufkommt: die Macht der Liebe wird verdeutlicht. Dabei wird die Liebe zwischen Mann und Frau über die Liebe zwischen Mutter und Kind gestellt. Der Autor hat es geschafft, diese Hierarchie darzustellen, ohne sie unmoralisch wirken zu lassen.

Pia Strodthoff / Kelly Zwiebelhofer