Der N***fürst oder: der Schwur des Sohnes am Grabe seiner Mutter

Landesbibliothek Oldenburg: Spr XIII 4 c 2a:1,36

Einleitung | Das 1858 in Hamburg erschienene Kolportageheftchen Der Negerfürst oder: der Schwur des Sohnes am Grabe seiner Mutter befasst sich mit der Rache eines Sohnes am Mörder seiner Mutter. Das Heftchen umfasst 8 Seiten und besteht aus den strukturellen Bestandteilen Titelblatt, Prosatext und Lied, welches die Geschichte noch einmal zusammenfasst. Schon auf dem Titelblatt betont ein Motto – „Der Mörder führt mit sich’rer Hand / Des Dolches blut’gen Stahl, / Allein der Rächer ungesehn,/ Ereilt ihn jedes Mal.“ – das Rache-Motiv. Dies stellt die Ausgangssituation der Geschichte dar. Oberhalb des Mottos befindet sich zentral mittig die Abbildung eines Schiffes.

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Die Geschichte spielt in der Mitte des 19. Jahrhundert und handelt von dem Tod Clementines, der Mutter der Hauptfigur Julius von Blüthenstein, die durch den Verehrer Erich Blutlich im Streit mit einem Nebenbuhler mit einem Dolch ermordet wird. Infolge eines Racheschwurs am Grabe seiner Mutter segelt Julius von Blüthenstein auf der Suche nach dem Mörder seiner Mutter über das Meer und findet nach zweimonatiger Überfahrt den Mörder Erich Blutlich auf einer fernen Insel. Blutlich hält auf dieser Insel Sklaven und unterdrückt die Bevölkerung. Durch Julius von Blüthensteins Ankunft werden die Bewohner zu einer Revolution ermutigt, die in der Ermordung Blutlichs und der Befreiung der Insel durch Julius mündet.

Petzoldt (1974) kategorisiert Kolportage-Geschichten in verschiedene Gruppen. In dem vorliegenden Kolportageheftchen lassen sich die beschriebene Revolution und der Mord an Julius’ Mutter den Gruppen ‚Verbrechen‘ sowie ‚Kriegsereignisse‘ zuordnen. Darüber hinaus lassen sich aber auch die Motive der Rache und Werte & Moral identifizieren und den Gruppen der ‚persönlichen Tragik‘ sowie ‚religiösen Themen‘ zuordnen. Im Mittelpunkt der weiteren Analyse steht die Auseinandersetzung mit dem Motiv der Rache sowie die Bedeutung von übernatürlichen Mächten für die Erzählung und deren Verbindung mit Wert- und Moral-Vorstellungen: 

Rachemotiv, Geisterwesen, Werte & Moral| Das Kolportageheftchen rückt immer wieder übernatürliche Mächte in den Blick und schafft damit einen Bezug zu dem Motiv Werte & Moral. Erich Blutlich, der Mörder Clementines, lebt frei von Grundsätzen und verfolgt das Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ (S. 3), um seine Leidenschaften zu befriedigen. Dass zur Erlangung eines Ziels alle Mittel erlaubt sind, unabhängig von Recht und Moral, entspricht der Theorie des Machiavellismus. Blutlich hat nur ein Ziel vor Augen: Clementine für sich zu gewinnen. Man kann schon fast von Besessenheit sprechen, wenn man folgende Textstelle liest: „In rasender Sinnglut hatte er geschworen, um jeden Preis, und wäre es mit frevelnder Gewalt, die Reize Clementines für sich gewinnen zu wollen.“ (S. 3) Ein „Dämon“ führt Blutlich in Versuchung, den Lebensgefährten Clementines, Theodor, rachsüchtig zu töten, um sich in den Besitz der Witwe („des Kleinodes“, S. 4) zu setzen. Die Wortwahl deutet auf eine unheimliche Macht im Inneren des Mannes hin. Letztendlich bringt „eine teuflische Freude“ (S. 4) den Mörder dazu, „den Nebenbuhler“ (S. 4) mithilfe eines Dolches zu töten. Die böse Macht im Inneren Blutlichs nimmt Überhand, jedoch lenkt die griechische Rachegöttin Nemesis seine Hand und der Dolch trifft das Herz der Frau.

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Eben jene Mächte innerhalb des Menschen lassen sich auch bei Julius feststellen, allerdings in Form einer guten Macht, nämlich die Gegenspieler von Dämonen, den Engeln. Sie bilden in ihm das Gegenstück zu den finsteren Dämonen von Blutlich. Der Sohn der Witwe, Julius, geht dem Wunsch seiner Mutter nach, sich zu rächen, und begegnet Blutlich, der durch Sklaverei Menschenhandel betreibt. Durch Julius Kauf mehrerer Sklaven zeigt sich seine gutherzige Art, im Gegensatz zu dem Mörder seiner Mutter, der sich abfällig über Julius rachesüchtiges Vorgehen äußert. Anstatt die Menschen wie Sklaven zu halten, was der Text als Teufelswerk konnotiert, befreit Julius (ganz im Sinne seiner Mutter und der göttlichen Motive) Blutlichs Sklaven und macht sie zu freien Menschen (S. 5). Eben diese Tat wird wiederum mit Vertrauen seitens der Inselbewohner bestärkt, indem sie Julius zum Fürsten ernennen (S. 6). So wird Blutlich zur Verkörperung eines besonderen Geisterwesens, des Satans. Sein teuflischer Charakter spiegelt sein unmoralisches Verhalten wider und setzt ihn in den Vergleich zu seinem Gegenspieler Julius, der als gutherziger, gut erzogener Mann handelt. Diese Gegensätzlichkeit verstärkt das Motiv Gut vs. Böse. 

Arne Chorengel / Onno Heubaum /  Henrike Timphaus / Lydia Westrup