Der große Brand von Vreden, im Kreise Ahaus am 4. August 1857, sowie die Beschreibung des großen und schrecklichen Brandes zu Olfen, im Kreise Lüdinghausen am 31. August 1857.

Landesbibliothek Oldenburg, Spr XIII 4c 2a:1,48

Das vorliegende Kolportage-Heftchen Der große Brand von Vreden, im Kreise Ahaus am 4. August 1857, sowie die Beschreibung des großen und schrecklichen Brandes zu Olfen, im Kreise Lüdinghausen am 31. August 1857. [o.J.] bietet verschiedene Ansatzpunkte für eine Analyse und macht zudem deutlich, dass der Bänkelsang populäre und aktuelle Themen der jeweiligen Zeit aufgreift und bearbeitet. In dem nachfolgenden Kommentar soll beschrieben werden, welche formalen und inhaltlichen Analyseaspekte der Text beinhaltet, welche Besonderheiten das Kolportageheftchen aufweist und welche vertiefenden Themen in weiterführenden Arbeiten betrachtet werden können. Dazu sollen zunächst der Aufbau und die inhaltliche Seite des Textes beschrieben werden. Anschließend wird die formale Seite des Textes näher beleuchtet.

Der Text erstreckt sich über vier nicht nummerierte, doppelseitig bedruckte Blätter. Auf die Titelseite folgen sechseinhalb Seiten Text, in dem die Brände von Vreden und Olfen im Jahr 1857 beschrieben werden. Dieser Teil ist noch einmal durch eine Zwischenüberschrift geteilt, wodurch es der Leserschaft leichtfällt, die Beschreibung der beiden Brände voneinander abzugrenzen. Auf der letzten Seite des Heftchens ist schließlich ein Lied abgedruckt, das die zuvor in Textform geschilderten Ereignisse in komprimierter Weise auf den Punkt bringt. Der beschriebene Aufbau aus einer Titelseite, einem sich anschließenden Prosateil und einem abschließenden Lied, ist typisch für ein Bänkelsang-Heftchen der Oldenburger Sammlung. Auffällig ist jedoch die vorliegende Gestaltung des Titelblattes. Im Katalog Bänkellieder und Jahrmarktdrucke von Egbert Koolman wird der hier als Teil der Titelseite bezeichnete Schriftzug Der große Brand von Vreden, im Kreise Ahaus am 4. August 1857, sowie die Beschreibung des großen und schrecklichen Brandes zu Olfen, im Kreise Lüdinghausen am 31. August 1857. als Kopftitel bezeichnet. Ich komme zu dem Ergebnis, dass die erste Seite des Heftchens auch als Titelseite ausgemacht werden kann, die aus drei Teilen besteht. Der erste Teil stellt den gerade genannten Titel des Textes dar. Im zweiten Teil wird auf die große Reichweite der im Heftchen beschriebenen Ereignisse verwiesen. Zudem wird eine Leseempfehlung ausgesprochen („Jedermann zum Lesen empfohlen“). Der dritte Abschnitt der Titelseite vertieft diese Leseempfehlung weiter und weist auf die interessanten und zugleich rührenden Begebenheiten der Geschichte hin. Die Leserschaft wird also bereits auf dieser ersten Seite auf den lesenswerten Text des Kolportage-Heftchens aufmerksam gemacht und es wird Neugierde geweckt. Vergleicht man das Titelblatt mit denen der anderen Heftchen in der Oldenburger Sammlung, so ist es allerdings eher ungewöhnlich, dass kein Bild, sondern einzig und allein ein Schriftzug abgedruckt ist. Typisch für Bänkelsang-Drucke ist dagegen, dass auf der Titelseite Angaben zum Autor und zum Erscheinungsjahr fehlen. Auch die Druckerei wird im Heftchen zunächst nicht genannt und erscheint erst auf der letzten Seite im Anschluss an das abgedruckte Lied. Einen Hinweis zur Jahresangabe des Heftchens liefert der Text, wo es heißt „Es war, wie bekannt, am Dienstage, den 4. August vorigen Jahres“ (S. 2). Hier wird deutlich, dass das Heftchen ein Jahr nach dem Brand, also im Jahr 1858, erschienen sein muss. Damit liegt in gewisser Weise Aktualität vor und das Kolportage-Heftchen erfüllt eine Nachrichten- und Informationsfunktion, da der Text in unmittelbarer Nähe zu den dort beschriebenen Ereignissen erschienen ist.

Landesbibliothek Oldenburg, Spr XIII 4c 2a:1,48, 1v

Das Kolportage-Heftchen beschreibt zwei Brände im Münsterland, die sich beide im August des Jahres 1857 ereignet haben. Damit ist der Text typologisch in die Kategorie ‚Katastrophen‘, genauer gesagt zu der zugehörigen Unterkategorie ‚Brand und Feuer‘ einzuordnen (vgl. Seminarergebnisse sowie Petzoldt 1974, S. 66-87). Der erste Brand betraf die Stadt Vreden, der zweite Brand die Stadt Olfen. Im vorliegenden Heftchen werden diese beiden Brände getrennt voneinander angeführt und beschrieben. Wie beim Aufbau bereits angerissen, sind die beiden Erzählungen durch eine Zwischenüberschritt voneinander getrennt.

Es zeigen sich in den beiden Ausführungen einige Parallelen. So wird in beiden Fällen zunächst der Ablauf der Brände beschrieben. Damit verbunden wird in beiden Textabschnitten auf die Ursache des Brandes und auf die Frage nach der Schuld eingegangen. Zudem werden beide Male Augenzeugenberichte angeführt, die den vorliegenden Text beglaubigen sollen und auf den Wahrheitsgehalt der Ereignisse verweisen. Zum Abschluss beider Textpassagen wird auf die Hilfe und Unterstützung hingewiesen, die die jeweilige Stadt im Anschluss an den Brand von den Nachbargemeinden und -städten in Form von Geld- und Sachspenden erhalten hat. Im Heftchen wird auf die Schwere und Tragik der Brände verwiesen und in beiden Fällen das Leid der Bevölkerung hervorgehoben, das sich durch den entstandenen Mangel und den nahenden Herbst bzw. Winter ergab. Schaut man genauer auf die jeweilige Stadtgeschichte der beiden Städte, so fällt auf, dass der Brand im Jahr 1857 für beide Städte ein tragisches Ereignis war. Für die Stadt Vreden war es bereits der zweite große Brand, den die Stadt zu verzeichnen hatte. So wurde bereits im August des Jahres 1811 der Großteil der Stadt durch einen verheerenden Brand zerstört (vgl. Geschichte der Stadt Vreden. https://www.vreden.de). Im August 1857 wurden dann wieder ca. 80 Prozent des Ortes durch den im Kolportage-Heftchen beschriebenen Brand zerstört. Bei der Stadt Olfen war es dagegen der erste Großbrand in der Geschichte des Ortes. Auch bei diesem verheerenden Brand wurden laut der Stadtgeschichte von Olfen 80 Prozent der Häuser im Ort zerstört und zudem eine Person von den Flammen des Feuers umgebracht (vgl. Geschichte der Stadt Olfen, https://www.olfen.de; Weidner: 15. April 1768 – „Feuer!”, https://www.lwl.org/). Dies deckt sich mit den Angaben und Beschreibungen im Kolportage-Heftchen. Der Brand stellt ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte der Stadt dar und erscheint sogar direkt auf der Internetseite der Stadtgeschichte von Olfen als eigener Abschnitt. Dies verdeutlicht noch einmal die Popularität des Stoffes, der in dem Kolportage-Heftchen aufgegriffen wird.

Betrachtet man die Textseiten genauer, so fällt auf, dass der Lesefluss an einigen Seitenübergängen gestört ist. Dies ist damit zu begründen, dass die Reihenfolge bzw. Anordnung der Textseiten im Heftchen nicht mit der Anordnung der inhaltlichen Ereignisse übereinstimmt. So sind die Seiten 5 und 6 vor den Seiten 3 und 4 angeordnet. Dadurch entsteht beim Lesen ein Bruch und die Ereignisse scheinen keine logische Reihenfolge zu haben. Betrachtet man die Bindung des Heftchens genauer, fällt auf, dass die Seiten ursprünglich genauso gebunden sein müssen, wie sie in der digitalen Form vorliegen. Der ‚Fehler‘ für die nicht passende Reihenfolge der Textseiten liegt also bereits in der Herstellung des Kolportage-Heftchens. Eine Ursache für die nicht passende Anordnung und Bindung der Seiten kann darin liegen, dass die Herstellung von Kolportage-Texten zur damaligen Zeit günstig und auf schnelle Art und Weise erfolgte.

Schaut man sich die formale Seite des Heftchens bezüglich der darin vorkommenden Gattungen an, so wird deutlich, dass der Bänkeltext verschiedene Gattungskonventionen mischt. Auf der einen Seite finden sich sachliche bzw. informative Passagen, die eine Nähe zur Zeitungsnachricht hervorrufen. Durch die zahlreichen Informationen, die der Text enthält, kann er auch eine Nachrichtenfunktion erfüllen. Auf der anderen Seite enthält der Text auch narrative Elemente, genauer gesagt Merkmale eines Kriminalromans. So wird in der Beschreibung beider Brände die Täter/Schuld-Frage des jeweiligen Brandes aufgegriffen und intensiv verfolgt. Diese unterhaltenden Elemente des Kolportage-Textes stehen im Widerspruch zu den sachlichen Passagen, die an Nachrichten erinnern. Weiterhin beinhaltet die Geschichte Stellen, in denen auf die Hilfe und Unterstützung der betroffenen Städte durch andere Ortschaften und Personen hingewiesen wird. Diese Passagen erfüllen in gewisser Weise eine kommunikative Funktion und stellen eine Würdigung der jeweiligen Unterstützer dar.

Auch die sprachliche Gestaltung des Textes kann näher analysiert werden. Die Ereignisse im Text werden mit einer sehr ausdrucksstarken Wortwahl beschrieben. Auffällig ist eine gehäufte Verwendung von beschreibenden Adjektiven, die die Schwere und das Leid des jeweiligen Unglücks hervorheben sollen („sehr interessant und merkwürdig“ (Titelseite), „gräßliche Bild des großen Brandunglücks“ (S. 2), „furchtbarer Sturmwind“ (S. 2), „verhängnißvollen Abende das gräßliche Unglück“ (S. 2)). Dadurch erhält die Leserschaft ein genaues Bild von den Ereignissen und der Not der Bevölkerung.

Die beiden großen Brände des Jahres 1857 im Münsterland weisen also einige Gemeinsamkeiten auf. Im Kolportage-Heftchen wird mit dem zum Schluss des Prosateils erfolgenden Rückgriff auf die Theodizee-Frage ebenfalls eine Verbindung zwischen den beiden Bränden gezogen. Dort heißt es zum Ende des Textes, dass die Ereignisse vom lieben Gott zugelassen wurden und er „[a]lles wieder zum Besten der leidenden Menschheit leiten“ (S. 7) wird. Es wird im Text also auf ein vorhandenes Muster zurückgegriffen, das zeigt, wie wichtig der Glaube für die Menschen zur damaligen Zeit war. Gott bzw. der Glaube dient als Abschluss oder Erklärung für Dinge, die eigentlich nicht abschließbar oder zu erklären sind. Außerdem wird darauf verwiesen bzw. gemahnt, dass Brandstiftung und jegliches Verbrechen von Gott gerichtet wird und niemand seiner Strafe entkommen kann.

Das sich anschließende Lied, das in Versform abgedruckt ist, stellt die zuvor ausführlich beschriebenen Ereignisse komprimiert dar. So werden in vier Strophen der Brand der Stadt Vreden und in zwei Strophen der Brand der Stadt Olfen beschrieben. Die letzten beiden Strophen führen die Brandkatastrophen zusammen und greifen die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Gottes Einfluss erneut auf.

Insgesamt liegt mit Der große Brand von Vreden, im Kreise Ahaus am 4. August 1857, sowie die Beschreibung des großen und schrecklichen Brandes zu Olfen, im Kreise Lüdinghausen am 31. August 1857. ein Kolportage-Heftchen vor, das typische Merkmale von Kolportage-Literatur erfüllt. Es wird ein aktueller und populärer Stoff aufgearbeitet und in Form eines Textes sowie eines Liedes dargeboten. Wie die Betrachtung der Seiten gezeigt hat, werden im Heftchen nur die Medien der Schrift und des Liedes verwendet. Beschreibende Bilder zu den Ausführungen sind nicht aufzufinden. Außerdem weist die Bindung bzw. Anordnung der Seiten darauf hin, dass für die Anfertigung der Kolportage-Heftchen nicht viel Geld investiert wurde und die Produktion schnell erfolgte, weshalb es zu den hier beschriebenen Fehlern in der Reihenfolge der Seiten kommen konnte. Alles in allem bietet das vorliegende Kolportage-Heftchen eine Fülle von Ansatzpunkten für die Analyse, die in weiterführenden Arbeiten näher beleuchtet und weiter ausgeführt werden können. Hierzu zählen die nähere Analyse der verwendeten Textgattungen, die Gestaltung des Titelblatts, der Vergleich der beiden Brände mit Rückgriff auf die jeweilige Stadtgeschichte, die Rolle des Glaubens und der Verweis auf die Theodizee-Frage am Ende des Heftchens, die Bindung und Anordnung der Seiten sowie die sprachliche Gestaltung des Textes.

Marie Rittmann