Capitain Nienaber aus Oldenburg rettete im Jahre 1854 hundert und dreißig Menschen das Leben an der Küste von Oporto

Landesbibliothek Oldenburg: Spr XIII 4 c 2c:2,60

Das Heftchen mit dem Titel Capitain Carl Nienaber aus Oldenburg rettete im Jahre 1854 hundert und dreißig Menschen das Leben an der Küste von Oporto ist im Quartformat aus einem Bogen gefertigt und wurde in Fraktur vom H. Klesser-Verlag in Oldenburg gedruckt. Ungewöhnlich ist das kleine, nahezu quadratische Format. Ein genaues Veröffentlichungsdatum ist nicht angegeben. Das Heftchen ist in fünf Teile gegliedert: Durch das Titelblatt erhalten wir nicht nur Informationen zur Produktion des Heftchens, sondern auch Orts- und Zeitangaben: 1854, an der Küste von Oporto. Es wird suggeriert, dass der Kapitän alleine 130 Menschen rettete. Die Fragen nach der Art und Weise bleiben offen und  motivieren dazu, den Text weiterzulesen. Dem Titelblatt folgt eine kurze Einleitung, welche lediglich offenbart, dass der Text auf Grundlage eines von Nienaber verfassten Briefes basiert. Auf die Schilderung der Rettungsaktion folgen eine Nachschrift sowie ein Lied und die ganzseitige Abbildung einer Krone mit dem Namen des Kapitäns und der Jahreszahl 1854.

Landesbibliothek Oldenburg: Spr XIII 4 c 2c:2,60

Insgesamt sind im Heftchen fünf Abbildungen in Form von Holzschnitten zu finden. Das Werk lässt sich der für Kolportagetexte typischen Kategorie ‚Naturkatastrophen‘ zuordnen, da sich sowohl die Geretteten als auch der Kapitän und sein Schiff mehrfach gegen Orkane behaupten müssen.

Die Figur des Carl Nienaber ist historisch bezeugt. In einer Auflistung der Handelskammer im Staatsarchiv der Stadt Bremen finden sich in den Abfahrtsdaten von Auswandererschiffen mehrere Einträge von C. Nienaber als Kapitän des Schiffes Gustav, das etwa am 07.09.1860 mit Ziel Baltimore auslief. 

Abfahrtsdaten von Auswandererschiffen. www.public-juling.de/auswanderung/abfahrtsdaten

Zudem liegt im Adressbuch der Hansestadt Bremen und der Hafenstädte Bremerhaven und Vegesack ein Eintrag von 1860 für einen Joh. Carl Heinr. Nienaber – von Beruf Kapitän – vor. Da das Schiff im Text seine Fahrt von der Weser aus startete, liegt der Wohnort Bremen also nahe. Die mediale Aufmerksamkeit für dieses Ereignis kann lediglich dem Heft selber entnommen werden; weitere Werke mit vergleichbaren Ereignissen sind nicht zu finden. In der Nachschrift des vorliegenden Heftchens findet sich allerdings der Verweis auf ein ähnliches Vorkommnis: Dort wird von einer Mitteilung im Oldenburger Volksboten von einem Vegesacker Kapitän mit dem Namen Claus Wenke berichtet,   der Ähnliches vollbracht haben soll, dessen Aktion jedoch von der Carl Nienabers überstrahlt werde. Ein Kapitän Claus Wenke findet sich ebenfalls in den Aufzeichnungen der Abfahrtsdaten von Auswanderungsschiffen aus Bremen (Schiff Louise Marie am 23.09.1846, Richtung Philadelphia).

Der Erzähler bedient sich in seinem Bericht der erzählten Figurenrede und es liegt eine Nullfokalisierung vor. Der Zeitpunkt des Erzählens liegt nach dem Erzählten; man spricht daher vom späteren Erzählen, da die Handlung bereits abgeschlossen ist. Der heterodiegetische Erzähler schildert das, was er dem Vorwort zufolge aus einem Brief des Kapitäns erfahren hat, in eigenen Worten. Dabei wird der Kampf zwischen der unüberwindbaren Natur (Meer und Sturm) und dem sich nicht beugenden Menschen (Carl Nienaber) besonders in den Fokus gerückt. Das Lied hebt dann die großartige Tat des Kapitäns noch einmal hervor. Es glorifiziert ihn und stellt ihn als selbstlosen Helden dar. Das Schema des Kreuzreimes abab cdcd wirkt beim Lesen und Singen sehr rhythmisch und melodisch. Das Motiv des Liedes ist die Verehrung eines Helden und es unterstreicht den unbändigen Willen des Kapitäns, den Widrigkeiten der Natur zu trotzen und selbst sein eigenes Leben zu riskieren, um das der anderen zu retten.

Der gesamte Text beinhaltet vielerlei Wertungen seitens des Erzählers, der die Taten des Kapitäns wohlwollend und mit Stolz kommentiert. Das Heftchen weist also viele für Kolportageliteratur typische Merkmale auf. Es hat den charakteristischen Aufbau und ist vermutlich, wie die meisten Heftchen aus der Oldenburger Sammlung, mittig ins 19. Jahrhundert zu datieren. Die verschiedenen Bestandteile bedienen unterschiedliche Leseinteressen und machen eine multimediale Darbietung, etwa auf  Jahrmärkten, wahrscheinlich. Den ebenso typischen Unterhaltungsaspekt erkennt man in der Abenteuergeschichte an der Mischung von Überraschungen, Schrecken und Wunderbarem (vgl. Werber 1997, 56). Die ebenfalls enthaltene Moral lässt erkennen, dass die ursprüngliche bildende Intention dieser Texte noch nicht gänzlich einem bloßen unterhaltenden Zweck weichen musste. Das Unterhaltende mit dem Nützlichen und Belehrenden zu verbinden, entspricht der zeitgenössischen Auffassung von Unterhaltung. Ungewöhnlich erscheint, dass keine göttlichen Eingriffe oder schauerliterarischen Motive auftauchen. Im Fokus steht nicht das Unglück der Fischer, sondern die Rettungsaktion durch den Kapitän und deren Folgen. Naturkatastrophen sind ein in der Kolportageliteratur sehr häufig anzutreffendes Motiv, bei dem das Schicksal theodizeehaft über Gott steht (vgl. Petzoldt 1974, 73f.).

Tobias Hallwaß / Lisa Meinlschmidt / Dominik Maas / Janina Wilcke