Bei diesem Kolportageheftchen handelt es sich – laut Angabe auf dem Titel – um eine Übersetzung aus dem Französischen und es wurde 1842 in Wismar, von G. W. Reimers aus Heide gedruckt und veröffentlicht. Das 18,3×11,0 cm Heftchen umfasst die üblichen (hier mit Nummern versehenen) acht Seiten der Kolportageliteratur, welche das Titelblatt (S.1), ein Gedicht (S. 2-3), einen Prosatext (S.4-6) und ein Lied (S.6-8) beinhalten. Diese Zusammenstellung aus drei Textelementen, insbesondere das am Anfang stehende Gedicht, ist im Vergleich zum strukturellen Aufbau anderer Heftchen ungewöhnlich. Die Gewichtung aller Textelemente ist dabei ungefähr ausgeglichen: Das Gedicht und das Lied umfassen je 2 Seiten, der Prosatext 2,5 Seiten. Abgesehen von dem üppigen Titelblatt, sind in dem Heftchen keine weiteren Bilder oder Verzierungen zu finden. Es ist insgesamt trotz des altersbedingten vergilbten Papiers in einem gut erhaltenen Zustand.
Inhaltlich beschreibt das Heftchen aktuelle Ereignisse: Die Überführung der sterblichen Überreste Napoleons und seine zweite Beisetzung im Pariser Invalidendom am 15. Dezember fanden im Jahr 1840 statt (vgl. Hunecke 2011, 348), also zwei Jahre vor Erscheinen des Heftchens in Deutschland.
Da es sich beim vorliegenden Heftchen um eine Übersetzung handelt, kann angenommen werden, dass das französische Original gegebenenfalls zeitlich noch früher verfasst wurde. Hier könnten weitere Forschungen hinsichtlich der Korrespondenz französischer und deutscher Kolportageliteratur ansetzen.
Der Name Napoleon ist heutzutage immer noch geläufig; in diesem Jahr jährt sich sein Todestag zum 200. Mal. Schon zu Lebzeiten betrieb Napoleon eine gezielte Medienpolitik, verbunden mit Zensur und gezielter Nachrichtenverbreitung, die auf eine geschickte Selbstinszenierung abzielte (vgl. Bleyer 2019, 64ff.). Die Bevölkerung Frankreichs trug ebenfalls zur Mitgestaltung und Verbreitung der Heroisierung Napoleons bei (vgl. Hunecke 2011, 345f.). Auch in Deutschland existierte eine rege Beschäftigung mit Napoleon vor und nach seinem Tod (vgl. Beßlich 2007). Dies scheint für uns die Erklärung zu sein, weshalb das Kolportageheftchen auch ins Deutsche übersetzt und vertrieben wurde, da ein Interesse der Bevölkerung an Heftchen dieser Art gewährleistet war. So lassen sich in gängigen Katalogen noch weitere deutschsprachige Heftchen unter dem Stichwort „Napoleon“ finden; und auch in der Oldenburger Sammlung ist ein weiteres Heftchen erhalten, das von Napoleons Taten berichtet.
Das Titelblatt | Besonders auffällig ist hier das präsentierte Wappen Napoleons I. als Kaiser der Franzosen (Größe: 54x62mm) und die bordürenartige Umrahmung, deren Ornamente militärisch inspirierten Ursprung vermuten lassen.
Das Gedicht „des Kaisers Asche“ | In dem Gedicht wird von der Verschiffung von Napoleons eingeäschertem Körper von St. Helena nach Paris erzählt, während der er als Geist die Mannschaft vor einem Sturm rettet. Dabei wird Napoleon heroisiert und vergöttlicht, wozu Formulierungen wie „Die Asche des größten der Helden“ und „Er, welcher im Leben ihr Engel oft war“ beitragen. Es wird klar, dass das französische Meinungsbild zu Napoleon sehr positiv ist und dass um den legendenhaften Napoleon als Kriegsheld und Bezwinger des Todes getrauert wird. Außerdem weist das Gedicht markante schauerliterarische Elemente auf, wie sie sich auch in anderen Kolportagetexten finden.
Der Prosatext „Napoleon le Grand“ | Hier wird Napoleon explizit als „Held“, „der Mächtigste dieser Erde“ und als Mann mit „hohe[r] Seelengröße“ bezeichnet. Gemäß des Titels des Heftchens werden einige große Schlachten und Feldzüge, die Verbannung auf Elba und St. Helena, Napoleons Tod, sowie die Überfahrt und der Leichenzug erwähnt.
Durch den sprachlichen Ausdruck und die Darstellung von Napoleons Lebensweg als Reihe tragischer, aber heroischer Ereignisse wird auch in diesem Teil des Heftchens Napoleon als Held präsentiert.
Das Lied | Das Lied handelt von der Ankunft des ehemaligen Kriegsschiffes ‚Belle Poule‘, das die Asche des ehemaligen Kaisers Napoleons zurück nach Frankreich überführt, und dem anschließenden Trauerzug. Das gesamte Lied ist von Huldigungen durchzogen und berichtet wiederholt von der Trauer um Napoleon. Neben der Trauer um seinen Tod empfindet das gesamte Volk auch Freude über seine ‚Rückkehr‘. Es wird deutlich, dass das gesamte Volk positiv gegenüber Napoleon gestimmt ist. Die Rückkehr von Napoleons Asche wird gar als ‚einziger Wunsch‘ des Volkes dargestellt, der von Gott erhört wurde.
Unser Gesamteindruck vom Heftchen ist, dass es als eine Art Hommage an Napoleon verfasst wurde. Da die Kolportageliteratur damals breite Bevölkerungsschichten in Frankreich aber auch in Deutschland und anderen Einflussgebieten Napoleons erreichte, haben solche Heftchen offenbar dazu beigetragen, den Mythos Napoleon zu nähren und zu verbreiten.
Ronja Gau / Maria Chiara Cleto Jankowsky / Theresia Remmert