Ausführliche Geschichte des Räubers, Mörders und Menschenfressers Sawney Beane und seiner in Blutschande erzeugten Kinder und Enkel, welche in einer Höhle 25 Jahre sich von Menschenfleisch ernährten, nebst deren Entdeckung und Hinrichtung

Das Kolportageheft Ausführliche Geschichte des Räubers, Mörders und Menschenfressers Sawney Beane und seiner in Blutschande erzeugten Kinder und Enkel, welche in einer Höhle 25 Jahre sich von Menschenfleisch ernährten, nebst deren Entdeckung und Hinrichtung, das von der oldenburgischen Druckerei Büttner & Winter gedruckt wurde, setzt sich aus einem Titelblatt, einem fünfseitigen Prosatext sowie einem zweiseitigen Lied zusammen (vgl. Schenda 1971, 1490), das die Handlung des Prosatextes durch die Auslassung wichtiger Details und den wertenden Tonfall des lyrischen Ichs so aufbereitet, dass Zuhörer auf Jahrmärkten vermutlich zum Kauf des Heftchens verleitet wurden. Neben dem Medium Text enthält das Heftchen zwei Holzschnitt-Drucke, die nur entfernt etwas mit der Handlung der Geschichte zu tun haben, da Druckereien bestimmte Bildvorlagen besaßen, die sie aus Zeit- und Kostengründen immer wieder verwendeten (vgl. Atkinson / Roud 2017, 46f.).

Landesbibliothek Oldenburg, Spr XIII 4c 2a:2,5

Zum Inhalt | Sowohl der Prosatext als auch das Lied erzählen vom Leben und den Taten einer Räuberbande aus der Grafschaft Ost-Lothian in Schottland sowie ihrer Entdeckung und Hinrichtung. Ein arbeitsunwilliger junger Mann namens Beane gründet die Bande im Alter von 20 Jahren, indem er mit einer von der Gesellschaft verachteten Frau in eine Höhle am Meer zieht und dort Kinder und Enkel zeugt, die ohne Religion und Bildung aufwachsen. Ihr erstes Mordopfer, ein Schuhmachergeselle, bringt sie auf den Geschmack von Menschenfleisch. Von da an wächst die Bande stetig und ermordet in 25 Jahren mehr als 1000 Menschen. Die auf sie angesetzten Spione werden ebenfalls getötet oder finden keinerlei Hinweis auf ihre Existenz, was einerseits durch die Vorsicht der Räuber und andererseits durch die versteckte Lage ihrer Höhle begründet ist. Sie fliegen schließlich auf, als sie beim Überfall auf einen Mann und dessen Frau von Reisenden überrascht werden und von ihren Opfern ablassen und fliehen müssen. Der Mann überlebt und sucht zusammen mit den Reisenden die Königin in Glasgow auf, die 400 ihrer Soldaten auf die Suche nach der Bande schickt, sobald sie von dem Ereignis erfährt. Dank der mitgeführten Hunde können sie die Bande aufspüren, woraufhin Beane, seine Frau, ihre 14 Kinder und 32 Enkel in Edinburgh hingerichtet werden.

Ein Räubertext | Die große Anzahl der Kolportagehefte über Räuber zeugt von einer Faszination der Menschen für die Thematik. Auch die Erzählweise spielt dabei eine Rolle: Die Räuber in der Geschichte über Sawney Beane werden als gottlos und ungebildet aufwachsende, hinterhältige Massenmörder mit Gefallen am Kannibalismus beschrieben, die wie Tiere fernab der Zivilisation in einer Höhle leben. Die Ablehnung, die man ihnen gegenüber als Leser empfindet, entsteht sowohl durch die makabren Details der Geschichte als auch den wertenden Tonfall des Erzählens und die fehlenden Einblicke in die Psyche der Räuber. 

Die Szene, in der der Schuhmachergeselle ermordet wird, ist dahingehend anders, denn sie versucht, Schrecken zusätzlich durch die Identifikation des Lesers mit einem der Opfer zu erzeugen: Der junge Mann, der seine kranken Eltern pflegen möchte, ist im Gegensatz zu den Räubern selbstlos, gottesfürchtig und hart arbeitend. Diese persönliche Beschreibung führt zu einer emotionalen Involvierung der meist bürgerlichen Leserschaft von Kolportageheftchen in die Geschichte, da sie sich mit der Lebensart des Mannes identifizieren konnte. Auch die zeitdehnende Erzählweise hebt die Szene von den übrigen, stark zeitraffenden Passagen der Geschichte ab.

Die Andersartigkeit der beschriebenen Szene hat vermutlich eine tiefergehende Bedeutung: Vergleicht man das Kolportageheftchen mit anderen (älteren) Berichten über den Räuber Sawney Beane, so stellt sich heraus, dass sich die Darstellungen sowohl inhaltlich als auch erzählerisch stark ähneln und lediglich in Details unterscheiden (vgl. Johnson 1817; Johnson o.J.). Einzig die Szene über den Schuhmachergesellen scheint in keiner anderen Darstellung enthalten zu sein – sodass diese Szene möglicherweise nicht nacherzählt, sondern vom Autor des Kolportageheftchens eigenständig ergänzt wurde.

Chapbooks und Kolportageheftchen | Die Geschichte von Alexander (Sawney) Beane und seiner Bande spielt im 16. Jahrhundert und zählt zur schottischen Folklore. Schriftlich tauchte sie erstmals unter anderem in sogenannten Chapbooks auf (vgl. Hobbs/Cornwell 1997, 50–52). Chapbooks sind kleine Heftchen, die besonders zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert in Großbritannien weit verbreitet waren und starke Ähnlichkeiten zu Kolportageheftchen aufweisen: Sie wurden ebenfalls aus einem mehrfach gefalteten Stück Papier gefertigt und massenweise günstig an das Volk verkauft, decken eine große Bandbreite an sensationellen Themen ab und enthalten moralische Wertungen. (vgl. Richardson 2014)

Auch in anderen Teilen der Welt waren Menschen also fasziniert von Kolportagegeschichten. Diese Faszination existiert scheinbar noch heutzutage, denn die Legende über Sawney Beane wird zum Beispiel in Horrorfilmen wie Death Line oder Wrong Turn und der beliebten Anime-Serie Attack on Titan aufgegriffen. 

Anna-Lena Elschen / Janina Hoffmann / Inken Preussler / Birte Winkler